Zietz, Luise: Das Frauenwahlrecht[,] eine geschichtlich begründete Forderung. In: Frauenwahlrecht! Hrsg. zum Zweiten Sozialdemokratischen Frauentag. 12. Mai 1912, S. 4–6.Frauenwahlrecht [Beginn Spaltensatz][irrelevantes Material - 48 Zeilen fehlen]Das Frauenwahlrecht eine geschichtlich begründete Forderung. Großherzige Zukunftsdenker unter den Vorkämpfern des Alle diese Verfechter sozialer Gerechtigkeit für beide Geschlechter Es ist bekannt, wie die wirtschaftliche Entwicklung, Die Möglichkeit, Frauenarbeit in der Großindustrie zu Steht diese Tatsache fest, so ist damit der Anspruch der Frauenwahlrecht [Beginn Spaltensatz][irrelevantes Material – 48 Zeilen fehlen]Das Frauenwahlrecht eine geschichtlich begründete Forderung. Großherzige Zukunftsdenker unter den Vorkämpfern des Alle diese Verfechter sozialer Gerechtigkeit für beide Geschlechter Es ist bekannt, wie die wirtschaftliche Entwicklung, Die Möglichkeit, Frauenarbeit in der Großindustrie zu Steht diese Tatsache fest, so ist damit der Anspruch der <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0001" n="4"/> <fw place="top" type="header">Frauenwahlrecht</fw><lb/> <cb type="start"/> <gap reason="insignificant" unit="lines" quantity="48"/><lb/> <div n="1"> <head>Das Frauenwahlrecht<lb/> eine geschichtlich begründete Forderung.</head><lb/> <p>Großherzige Zukunftsdenker unter den Vorkämpfern des<lb/> Bürgertums und geniale Frauen der verschiedenen Revo-<lb/> lutionsepochen, die erfüllt waren von einem glühenden Frei-<lb/> heitsdrang haben frühzeitig die Forderung der politischen<lb/> Gleichberechtigung des Weibes mit großem Geschick und<lb/> starker Energie vertreten. Es sei erinnert an Olympe de<lb/> Gouges, die während der französischen Revolution der Er-<lb/> klärung der Menschenrechte, die nur <choice><sic>Männerrrechte</sic><corr>Männerrechte</corr></choice> waren,<lb/> kühn die Erklärung der Frauenrechte gegenüberstellte: es sei<lb/> hingewiesen auf Mary Wollstonecraft, die Engländerin, die<lb/> 1792 in einem Werke voll leidenschaftlichen Feuers die<lb/> Rechte der Frauen forderte. Unter den frühen männlichen<lb/> Vorkämpfern für Frauenrechte nennen wir den französischen<lb/> Philosophen Condorcet und den Königsberger Oberbürger-<lb/> meister Theodor v. Hippel.</p><lb/> <p>Alle diese Verfechter sozialer Gerechtigkeit für beide Geschlechter<lb/> haben ihre Forderung rein ideologisch begründet, sie reklamiert<lb/> als ein Naturrecht, das mit jedem Menschen geboren werde.<cb/> Heute hat die wirtschaftliche Entwicklung, haben die durch<lb/> die revolutionierten Produktionsverhältnisse der ideellen Be-<lb/> gründung eine wuchtige materielle beigegeben. Geben wir<lb/> zu, worin diese materille Begründung besteht.</p><lb/> <p>Es ist bekannt, wie die wirtschaftliche Entwicklung,<lb/> die den Kapitalismus zum Siege führte, die Produktions-<lb/> weise von Grund auf umwälzte, wie sie das Handwerk zer-<lb/> trümmerte, desgleichen die Manufaktur und an ihre Stelle<lb/> die maschinelle Großindustrie setzte. Zu gleicher Zeit mit<lb/> dieser entwickelte sich der Handel und Verkehr in fabelhaften<lb/> Maße und rapider Schnelligkeit. Die grundstürzende<lb/> Wandlung der Produktions- und Betriebsweise bedingte<lb/> eine ebenso gründliche Wandlung der Produktionsverhält-<lb/> nisse, das heißt der Beziehungen der Menschen zueinander.<lb/> Eine Weise dieser geänderten Produktionsverhältnisse besteht<lb/> in der Wandlung der Arbeit und der Stellung der Frau.<lb/> Der Kapitalismus hat nämlich nicht nur den zünftigen<lb/> Handwerker niederkonturriert, sondern gleichfalls den Uni-<lb/> versalhandwerker der Familie und das war früher die Frau.<lb/> Sie war es im umfassendem Maße, solange die Familie, der<lb/> Einzelhaushalt eine sich selbst genügende Wirtschaftseinheit<lb/> war. Handwerk und Manufaktur brachen aus diesem Bau Stein<lb/> um Stein, und die maschinelle Großindustrie zertrümmerte<lb/> ihn ganz. Sie raubte der Frau die letzte produktive Tätig-<lb/> keit in der Familie und für diese. Doch damit nicht genug!<lb/> Sie brachte ihr und den Übrigen die Unsicherheit der Exi-<lb/> stenz, oft die Existenzlosigkeit, und trieb sie dadurch in die<lb/> Erwerbsarbeit, mitten hinein in den brausenden und fluten-<lb/> den Strom des gesellschaftlichen Betriebes.</p><lb/> <p>Die Möglichkeit, Frauenarbeit in der Großindustrie zu<lb/> verwenden, ist durch die weitgehende Arbeitsteilung und<lb/> durch die Anwendung von Werkzeug- und Kraftmaschinen ge-<lb/> geben. Jhr war, für die durch die Not gepeitschte Arbeiterin,<lb/> auch gleichzeitig die Notwendigkeit zur gewerblichen Berufs-<lb/> arbeit beigestellt und der unersättliche Profithunger des Ka-<lb/> pitals warnte die Unternehmer zur weitgehenden Verwen-<lb/> dung weiblicher Fähigkeit und Kraft. Heute gibt es wohl<lb/> kaum ein wichtiges Gebiet menschlicher Arbeit, das nicht<lb/> zu einem Betätigungsfeld der Frau geworden wäre. 9 ½<lb/> Millionen Frauen und Mädchen, die als Erwerbstätige<lb/> im Hauptberuf auf den verschiedensten Gebieten wirken,<lb/> wurden 1907 in Deutschland gezählt. Und was einer beson-<lb/> deren Registrierung bedarf, ist die Tatsache, daß die beruf-<lb/> liche Frauenarbeit auch in der Landwirtschaft in außerordent-<lb/> lich schnellem Tempo überhand nimmt. Die deutsche Land-<lb/> wirtschaft wies 1895 zirka 2 ¾ Millionen Erwerberinnen<lb/> auf, deren Zahl bis 1907 auf 4 ½ Millionen gestiegen ist,<lb/> und das bei gleichzeitigen Rückgang der Gesamtbevölkerung<lb/> auf dem Lande. Die weiblichen Arbeiter sind ein unentbehr-<lb/> licher Faktor im gesellschaftlichen Produktionsprozeß geworden.</p><lb/> <p>Steht diese Tatsache fest, so ist damit der Anspruch der<lb/> Frau auf politische Gleichberechtigung gegeben, ihre ökono-<lb/> mischen Leistungen sind die beste Begründung dafür. Sie<lb/> sind es um so mehr, da die Entwicklung gleichzeitig gesell-<lb/> schaftliche Verhältnisse schuf, in denen das Wahlrecht für<lb/> die Frauen zu einer unentbehrlichen Waffe, zu einer sozialen<lb/> Lebensnotwendigkeit wird. Gefährlich genug: infolge der<lb/> Ausweitung und Komplizierung des gesellschaftlichen<lb/> Lebens, der Schaffung und Vermehrung sozialer Aufgaben<lb/> für den Staat und der veränderten Stellung der Frau in<lb/> der Gesellschaft, wird das Jnteresse des weiblichen Geschlechts<lb/> durch unendlich viele Fäden verknüpft mit der Politik, mit<lb/> all ihren Maßnahmen und Einrichtungen. Einfluß zu ge-<lb/> winnen auf all das politische Leben wird zur zwingenden<lb/> Notwendigkeit für die Frau. Das objektive Recht der Frau<lb/> auf politische Mitbestimmung ist denn auch zu einer<lb/> subjektiven Forderung geworden. Wie könnte es auch anders<lb/> sein! Die Wandlung in der Arbeit und der Stellung der<lb/> Frau brachten naturgemäß eine Wandlung in ihren An-<lb/> schauungen und in ihrem Streben. Die Welt ist das „Haus<lb/> der Frau“ geworden, deren Lebenskreis sich stark erweitert<lb/> hat. Andere Aufgaben gilt es für die nun zu erfüllen, die<cb/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [4/0001]
Frauenwahlrecht
________________________________________________
Das Frauenwahlrecht
eine geschichtlich begründete Forderung.
Großherzige Zukunftsdenker unter den Vorkämpfern des
Bürgertums und geniale Frauen der verschiedenen Revo-
lutionsepochen, die erfüllt waren von einem glühenden Frei-
heitsdrang haben frühzeitig die Forderung der politischen
Gleichberechtigung des Weibes mit großem Geschick und
starker Energie vertreten. Es sei erinnert an Olympe de
Gouges, die während der französischen Revolution der Er-
klärung der Menschenrechte, die nur Männerrechte waren,
kühn die Erklärung der Frauenrechte gegenüberstellte: es sei
hingewiesen auf Mary Wollstonecraft, die Engländerin, die
1792 in einem Werke voll leidenschaftlichen Feuers die
Rechte der Frauen forderte. Unter den frühen männlichen
Vorkämpfern für Frauenrechte nennen wir den französischen
Philosophen Condorcet und den Königsberger Oberbürger-
meister Theodor v. Hippel.
Alle diese Verfechter sozialer Gerechtigkeit für beide Geschlechter
haben ihre Forderung rein ideologisch begründet, sie reklamiert
als ein Naturrecht, das mit jedem Menschen geboren werde.
Heute hat die wirtschaftliche Entwicklung, haben die durch
die revolutionierten Produktionsverhältnisse der ideellen Be-
gründung eine wuchtige materielle beigegeben. Geben wir
zu, worin diese materille Begründung besteht.
Es ist bekannt, wie die wirtschaftliche Entwicklung,
die den Kapitalismus zum Siege führte, die Produktions-
weise von Grund auf umwälzte, wie sie das Handwerk zer-
trümmerte, desgleichen die Manufaktur und an ihre Stelle
die maschinelle Großindustrie setzte. Zu gleicher Zeit mit
dieser entwickelte sich der Handel und Verkehr in fabelhaften
Maße und rapider Schnelligkeit. Die grundstürzende
Wandlung der Produktions- und Betriebsweise bedingte
eine ebenso gründliche Wandlung der Produktionsverhält-
nisse, das heißt der Beziehungen der Menschen zueinander.
Eine Weise dieser geänderten Produktionsverhältnisse besteht
in der Wandlung der Arbeit und der Stellung der Frau.
Der Kapitalismus hat nämlich nicht nur den zünftigen
Handwerker niederkonturriert, sondern gleichfalls den Uni-
versalhandwerker der Familie und das war früher die Frau.
Sie war es im umfassendem Maße, solange die Familie, der
Einzelhaushalt eine sich selbst genügende Wirtschaftseinheit
war. Handwerk und Manufaktur brachen aus diesem Bau Stein
um Stein, und die maschinelle Großindustrie zertrümmerte
ihn ganz. Sie raubte der Frau die letzte produktive Tätig-
keit in der Familie und für diese. Doch damit nicht genug!
Sie brachte ihr und den Übrigen die Unsicherheit der Exi-
stenz, oft die Existenzlosigkeit, und trieb sie dadurch in die
Erwerbsarbeit, mitten hinein in den brausenden und fluten-
den Strom des gesellschaftlichen Betriebes.
Die Möglichkeit, Frauenarbeit in der Großindustrie zu
verwenden, ist durch die weitgehende Arbeitsteilung und
durch die Anwendung von Werkzeug- und Kraftmaschinen ge-
geben. Jhr war, für die durch die Not gepeitschte Arbeiterin,
auch gleichzeitig die Notwendigkeit zur gewerblichen Berufs-
arbeit beigestellt und der unersättliche Profithunger des Ka-
pitals warnte die Unternehmer zur weitgehenden Verwen-
dung weiblicher Fähigkeit und Kraft. Heute gibt es wohl
kaum ein wichtiges Gebiet menschlicher Arbeit, das nicht
zu einem Betätigungsfeld der Frau geworden wäre. 9 ½
Millionen Frauen und Mädchen, die als Erwerbstätige
im Hauptberuf auf den verschiedensten Gebieten wirken,
wurden 1907 in Deutschland gezählt. Und was einer beson-
deren Registrierung bedarf, ist die Tatsache, daß die beruf-
liche Frauenarbeit auch in der Landwirtschaft in außerordent-
lich schnellem Tempo überhand nimmt. Die deutsche Land-
wirtschaft wies 1895 zirka 2 ¾ Millionen Erwerberinnen
auf, deren Zahl bis 1907 auf 4 ½ Millionen gestiegen ist,
und das bei gleichzeitigen Rückgang der Gesamtbevölkerung
auf dem Lande. Die weiblichen Arbeiter sind ein unentbehr-
licher Faktor im gesellschaftlichen Produktionsprozeß geworden.
Steht diese Tatsache fest, so ist damit der Anspruch der
Frau auf politische Gleichberechtigung gegeben, ihre ökono-
mischen Leistungen sind die beste Begründung dafür. Sie
sind es um so mehr, da die Entwicklung gleichzeitig gesell-
schaftliche Verhältnisse schuf, in denen das Wahlrecht für
die Frauen zu einer unentbehrlichen Waffe, zu einer sozialen
Lebensnotwendigkeit wird. Gefährlich genug: infolge der
Ausweitung und Komplizierung des gesellschaftlichen
Lebens, der Schaffung und Vermehrung sozialer Aufgaben
für den Staat und der veränderten Stellung der Frau in
der Gesellschaft, wird das Jnteresse des weiblichen Geschlechts
durch unendlich viele Fäden verknüpft mit der Politik, mit
all ihren Maßnahmen und Einrichtungen. Einfluß zu ge-
winnen auf all das politische Leben wird zur zwingenden
Notwendigkeit für die Frau. Das objektive Recht der Frau
auf politische Mitbestimmung ist denn auch zu einer
subjektiven Forderung geworden. Wie könnte es auch anders
sein! Die Wandlung in der Arbeit und der Stellung der
Frau brachten naturgemäß eine Wandlung in ihren An-
schauungen und in ihrem Streben. Die Welt ist das „Haus
der Frau“ geworden, deren Lebenskreis sich stark erweitert
hat. Andere Aufgaben gilt es für die nun zu erfüllen, die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2018-06-26T14:45:59Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-06-26T14:45:59Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |