Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Der unvermittelte Uebergang von einer Bodengattung zur andern tritt nirgend so anschaulich zu Tage, als in der deutschen Tiefebene zwischen Elbe und Oder. Vom Weizgrunde zum Unlande, auf dem die wilde Tabakspflanze in einzelnen Stengeln emporschießt, ist oft nur ein Schritt; die saftigste Wiese und Weide grenzt hart an die Sandscholle; der Berg fällt ganz steil zum Bruche und morastigen Fenne ab, und ein Weg von einer halben Stunde führt mehrmal durch Elslake, Buch- und Eichenkamp und verkrüppelte Kieferheide. Selbst die Grenzen sind zuweilen nicht nach festen Linien und Malen anzugeben, sondern wechseln nach der Möglichkeit, die Nutzung zu ziehen. Wie die Flüsse und Seen in Wasserjahren ihr Gebiet vergrößern und den Rohrrand -- das Gelege -- erweitern, so tritt das Recht des angrenzenden Wiesenbesitzers zurück, der nicht weiter gehen darf, als er mit der Sense zu reichen vermag, während das anschießende und sich verbreitende Rohr dem Besitzer des Geleges zuwächs't, Der unvermittelte Uebergang von einer Bodengattung zur andern tritt nirgend so anschaulich zu Tage, als in der deutschen Tiefebene zwischen Elbe und Oder. Vom Weizgrunde zum Unlande, auf dem die wilde Tabakspflanze in einzelnen Stengeln emporschießt, ist oft nur ein Schritt; die saftigste Wiese und Weide grenzt hart an die Sandscholle; der Berg fällt ganz steil zum Bruche und morastigen Fenne ab, und ein Weg von einer halben Stunde führt mehrmal durch Elslake, Buch- und Eichenkamp und verkrüppelte Kieferheide. Selbst die Grenzen sind zuweilen nicht nach festen Linien und Malen anzugeben, sondern wechseln nach der Möglichkeit, die Nutzung zu ziehen. Wie die Flüsse und Seen in Wasserjahren ihr Gebiet vergrößern und den Rohrrand — das Gelege — erweitern, so tritt das Recht des angrenzenden Wiesenbesitzers zurück, der nicht weiter gehen darf, als er mit der Sense zu reichen vermag, während das anschießende und sich verbreitende Rohr dem Besitzer des Geleges zuwächs't, <TEI> <text> <pb facs="#f0007"/> <body> <div> <p>Der unvermittelte Uebergang von einer Bodengattung zur andern tritt nirgend so anschaulich zu Tage, als in der deutschen Tiefebene zwischen Elbe und Oder.</p><lb/> <p>Vom Weizgrunde zum Unlande, auf dem die wilde Tabakspflanze in einzelnen Stengeln emporschießt, ist oft nur ein Schritt; die saftigste Wiese und Weide grenzt hart an die Sandscholle; der Berg fällt ganz steil zum Bruche und morastigen Fenne ab, und ein Weg von einer halben Stunde führt mehrmal durch Elslake, Buch- und Eichenkamp und verkrüppelte Kieferheide. Selbst die Grenzen sind zuweilen nicht nach festen Linien und Malen anzugeben, sondern wechseln nach der Möglichkeit, die Nutzung zu ziehen. Wie die Flüsse und Seen in Wasserjahren ihr Gebiet vergrößern und den Rohrrand — das Gelege — erweitern, so tritt das Recht des angrenzenden Wiesenbesitzers zurück, der nicht weiter gehen darf, als er mit der Sense zu reichen vermag, während das anschießende und sich verbreitende Rohr dem Besitzer des Geleges zuwächs't,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
Der unvermittelte Uebergang von einer Bodengattung zur andern tritt nirgend so anschaulich zu Tage, als in der deutschen Tiefebene zwischen Elbe und Oder.
Vom Weizgrunde zum Unlande, auf dem die wilde Tabakspflanze in einzelnen Stengeln emporschießt, ist oft nur ein Schritt; die saftigste Wiese und Weide grenzt hart an die Sandscholle; der Berg fällt ganz steil zum Bruche und morastigen Fenne ab, und ein Weg von einer halben Stunde führt mehrmal durch Elslake, Buch- und Eichenkamp und verkrüppelte Kieferheide. Selbst die Grenzen sind zuweilen nicht nach festen Linien und Malen anzugeben, sondern wechseln nach der Möglichkeit, die Nutzung zu ziehen. Wie die Flüsse und Seen in Wasserjahren ihr Gebiet vergrößern und den Rohrrand — das Gelege — erweitern, so tritt das Recht des angrenzenden Wiesenbesitzers zurück, der nicht weiter gehen darf, als er mit der Sense zu reichen vermag, während das anschießende und sich verbreitende Rohr dem Besitzer des Geleges zuwächs't,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/7 |
Zitationshilfe: | Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/7>, abgerufen am 16.02.2025. |