Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Obervormund -- mit zehn Hieben bestraft und damit unter gehöriger Verwarnung begnadigt. Endlich nach langer Haft, gegen den Winter, kam das Endurteil gegen den Schmied heraus; es lautete auf neun Monat Zuchthaus. An demselben Tage, an dem die Nachricht ins Dorf kam, trafen auch der Gerichtsdiener und Gensdarm auf der Mühle ein und las Ersterer ein Decret vor folgenden Inhalts: "Wie diesseits glaubhaft zur Anzeige gebracht worden, soll der Müller mit einer ungeaichten Metze, die noch dazu zu groß ist, messen und auf diese Weise die Mahlgäste betrügen. Der Gerichtsdiener hat sich in Begleitung des Gensdarmen an Ort und Stelle zu begeben, und wenn die Anzeige richtig befunden wird, den Müller zu arretiren und mit der Mahlmetze einzuliefern." Wo ist Eure Mahlmetze? Zeigt mir keine falsche! sagte der Gerichtsdiener; denn Flunkereien sind hier nicht angebracht! -- Gott bewahre! erwiderte der Müller, hier ist die Metze; sie ist von Kupfer, und mit ihr wird öffentlich und ohne daß sich ein Mahlgast beschwert, seitdem die Mühle steht, seit 1750 genutzt. Seht hier die Jahreszahl darin! Ich habe die Sache so vorgefunden, als ich die Mühle vom Vater ererbt habe, und ich bin mir keines Unrechts bewußt! Der Gerichtsdiener hatte eine geaichte Metze zur Obervormund — mit zehn Hieben bestraft und damit unter gehöriger Verwarnung begnadigt. Endlich nach langer Haft, gegen den Winter, kam das Endurteil gegen den Schmied heraus; es lautete auf neun Monat Zuchthaus. An demselben Tage, an dem die Nachricht ins Dorf kam, trafen auch der Gerichtsdiener und Gensdarm auf der Mühle ein und las Ersterer ein Decret vor folgenden Inhalts: „Wie diesseits glaubhaft zur Anzeige gebracht worden, soll der Müller mit einer ungeaichten Metze, die noch dazu zu groß ist, messen und auf diese Weise die Mahlgäste betrügen. Der Gerichtsdiener hat sich in Begleitung des Gensdarmen an Ort und Stelle zu begeben, und wenn die Anzeige richtig befunden wird, den Müller zu arretiren und mit der Mahlmetze einzuliefern.“ Wo ist Eure Mahlmetze? Zeigt mir keine falsche! sagte der Gerichtsdiener; denn Flunkereien sind hier nicht angebracht! — Gott bewahre! erwiderte der Müller, hier ist die Metze; sie ist von Kupfer, und mit ihr wird öffentlich und ohne daß sich ein Mahlgast beschwert, seitdem die Mühle steht, seit 1750 genutzt. Seht hier die Jahreszahl darin! Ich habe die Sache so vorgefunden, als ich die Mühle vom Vater ererbt habe, und ich bin mir keines Unrechts bewußt! Der Gerichtsdiener hatte eine geaichte Metze zur <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0029"/> Obervormund — mit zehn Hieben bestraft und damit unter gehöriger Verwarnung begnadigt. Endlich nach langer Haft, gegen den Winter, kam das Endurteil gegen den Schmied heraus; es lautete auf neun Monat Zuchthaus.</p><lb/> <p>An demselben Tage, an dem die Nachricht ins Dorf kam, trafen auch der Gerichtsdiener und Gensdarm auf der Mühle ein und las Ersterer ein Decret vor folgenden Inhalts:</p><lb/> <p>„Wie diesseits glaubhaft zur Anzeige gebracht worden, soll der Müller mit einer ungeaichten Metze, die noch dazu zu groß ist, messen und auf diese Weise die Mahlgäste betrügen. Der Gerichtsdiener hat sich in Begleitung des Gensdarmen an Ort und Stelle zu begeben, und wenn die Anzeige richtig befunden wird, den Müller zu arretiren und mit der Mahlmetze einzuliefern.“</p><lb/> <p>Wo ist Eure Mahlmetze? Zeigt mir keine falsche! sagte der Gerichtsdiener; denn Flunkereien sind hier nicht angebracht! —</p><lb/> <p>Gott bewahre! erwiderte der Müller, hier ist die Metze; sie ist von Kupfer, und mit ihr wird öffentlich und ohne daß sich ein Mahlgast beschwert, seitdem die Mühle steht, seit 1750 genutzt. Seht hier die Jahreszahl darin! Ich habe die Sache so vorgefunden, als ich die Mühle vom Vater ererbt habe, und ich bin mir keines Unrechts bewußt!</p><lb/> <p>Der Gerichtsdiener hatte eine geaichte Metze zur<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0029]
Obervormund — mit zehn Hieben bestraft und damit unter gehöriger Verwarnung begnadigt. Endlich nach langer Haft, gegen den Winter, kam das Endurteil gegen den Schmied heraus; es lautete auf neun Monat Zuchthaus.
An demselben Tage, an dem die Nachricht ins Dorf kam, trafen auch der Gerichtsdiener und Gensdarm auf der Mühle ein und las Ersterer ein Decret vor folgenden Inhalts:
„Wie diesseits glaubhaft zur Anzeige gebracht worden, soll der Müller mit einer ungeaichten Metze, die noch dazu zu groß ist, messen und auf diese Weise die Mahlgäste betrügen. Der Gerichtsdiener hat sich in Begleitung des Gensdarmen an Ort und Stelle zu begeben, und wenn die Anzeige richtig befunden wird, den Müller zu arretiren und mit der Mahlmetze einzuliefern.“
Wo ist Eure Mahlmetze? Zeigt mir keine falsche! sagte der Gerichtsdiener; denn Flunkereien sind hier nicht angebracht! —
Gott bewahre! erwiderte der Müller, hier ist die Metze; sie ist von Kupfer, und mit ihr wird öffentlich und ohne daß sich ein Mahlgast beschwert, seitdem die Mühle steht, seit 1750 genutzt. Seht hier die Jahreszahl darin! Ich habe die Sache so vorgefunden, als ich die Mühle vom Vater ererbt habe, und ich bin mir keines Unrechts bewußt!
Der Gerichtsdiener hatte eine geaichte Metze zur
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Zitationshilfe: | Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/29>, abgerufen am 16.02.2025. |