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Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.

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daß die Frau entschieden die Bahn radikaler Forderungen beschreitet.
Und zwar nicht bloß die gebildete Frau, sondern auch die Bäuerin, die
arme Muschikin begehrt ihren Platz in der Sonne der Gleichheit.

Kurz im allgemeinen wie im besonderen fordert unsere Partei
und muß sie fordern die Form des allgemeinen Wahlrechts, welche diesen
Namen verdient, nämlich das Wahlrecht für jedes großjährige mensch-
liche Wesen.

Eduard Bernstein:

Meiner Ansicht nach ist die Frage des Frauenstimmrechts für den
Sozialismus und die Arbeiterklasse nicht eine solche erster Wichtigkeit.
Sie ist mehr eine Forderung der Gerechtigkeit als des praktischen Jnter-
esses für die allgemeine Emanzipationsbewegung. Die große Masse der
Frauen, und sogar der Frauen der Arbeiterklasse stehen ihr sehr gleich-
gültig gegenüber. Und das unter anderem aus dem Grunde, daß die
Frau als Arbeiterin sich in der großen Mehrzahl der Fälle in der
gleichen Lage befindet, wie der Geselle des Mittelalters. Jhre Stellung
als Lohnarbeiterin ist nur eine vorübergehende Etappe ihres sozialen
Lebens, im Gegensatz zu dem männlichen Arbeiter, für den die Stellung
als Lohnarbeiter die soziale Endstufe seines Lebens bleibt. Daher auch
die überall empfundene große Schwierigkeit, die Arbeiterinnen dauernd
in Gewerkschaften für die wirtschaftlichen Kämpfe zusammen zu halten.
Ueberall sind die Arbeiterinnengewerkschaften gering an Zahl und sehr
schwach. Soweit ich in Betreff der gewerkschaftlich organisierten Ar-
beiterinnen unterrichtet bin, sind die meisten von ihnen nur dank dem
Zureden und manchmal sogar dank dem Zwange seitens ihrer männlichen
Kollegen organisiert.

Daraus schließe ich, daß die Frage des Frauenstimmrechts nicht eine
Vorzugstellung in der Reihe der Forderungen einnimmt, welche die
Arbeiterklasse stellt. Jch würde daher nicht zögern, sie dringenderen
Bedürfnissen der Bewegung unterzuordnen und sogar gegen den Antrag
auf Einführung des Frauenstimmrechts zu stimmen, wenn ich überzeugt
wäre, daß die Einführung jene Bedürfnisse ernstlich schädigen könnte.

Jedoch bin ich nicht der Meinung, daß dies in den fortgeschritteneren
Ländern und besonders in Frankreich heute der Fall sein kann. Un-
zuträglichkeiten mag es hier und da als Folge der Einführung des
Frauenstimmrechts geben. Abgeordnetenmandate können für einige
Parlamentsperioden hier und da verloren gehen, allein man darf eine
Forderung der Gerechtigkeit nicht bloßen Unzuträglichkeiten aufopfern.
Und außerdem bleiben große Entschädigungen dafür nicht aus. Die
erste davon ist, daß das Frauenstimmrecht gerade die Frauen und
besonders auch die Frauen der Arbeiterklasse politisch erziehen wird,
und auf die Dauer muß das die sozialistische Agitation sehr wirk-
sam unterstützen. Die Klerikalen geben sich einem für sie selbst
verhängnisvollen Jrrtum hin, wenn sie wähnen, daß das Frauen-
wahlrecht ihre Geschäfte besorgen werde. Vorübergehend mag
es ihnen einige Mandate verschaffen, obgleich sogar das mir sehr
fraglich erscheint. Doch angenommen, dem wäre so, was würde daraus
folgen? Der entsprechende Wahlausfall würde das monarchistische und
klerikale Frankreich nicht wieder aufrichten, er würde höchstens der Re-
publik einige Schwierigkeiten bereiten. Die Einführung des Frauen-
wahlrechts würde aber auf der anderen Seite die demokratischen Ein-
richtungen um ein sehr wertvolles Recht vermehren, welches den Geist der
Unabhängigkeit bei denjenigen entwickeln und fördern würde, welche heute

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daß die Frau entschieden die Bahn radikaler Forderungen beschreitet.
Und zwar nicht bloß die gebildete Frau, sondern auch die Bäuerin, die
arme Muschikin begehrt ihren Platz in der Sonne der Gleichheit.

Kurz im allgemeinen wie im besonderen fordert unsere Partei
und muß sie fordern die Form des allgemeinen Wahlrechts, welche diesen
Namen verdient, nämlich das Wahlrecht für jedes großjährige mensch-
liche Wesen.

Eduard Bernstein:

Meiner Ansicht nach ist die Frage des Frauenstimmrechts für den
Sozialismus und die Arbeiterklasse nicht eine solche erster Wichtigkeit.
Sie ist mehr eine Forderung der Gerechtigkeit als des praktischen Jnter-
esses für die allgemeine Emanzipationsbewegung. Die große Masse der
Frauen, und sogar der Frauen der Arbeiterklasse stehen ihr sehr gleich-
gültig gegenüber. Und das unter anderem aus dem Grunde, daß die
Frau als Arbeiterin sich in der großen Mehrzahl der Fälle in der
gleichen Lage befindet, wie der Geselle des Mittelalters. Jhre Stellung
als Lohnarbeiterin ist nur eine vorübergehende Etappe ihres sozialen
Lebens, im Gegensatz zu dem männlichen Arbeiter, für den die Stellung
als Lohnarbeiter die soziale Endstufe seines Lebens bleibt. Daher auch
die überall empfundene große Schwierigkeit, die Arbeiterinnen dauernd
in Gewerkschaften für die wirtschaftlichen Kämpfe zusammen zu halten.
Ueberall sind die Arbeiterinnengewerkschaften gering an Zahl und sehr
schwach. Soweit ich in Betreff der gewerkschaftlich organisierten Ar-
beiterinnen unterrichtet bin, sind die meisten von ihnen nur dank dem
Zureden und manchmal sogar dank dem Zwange seitens ihrer männlichen
Kollegen organisiert.

Daraus schließe ich, daß die Frage des Frauenstimmrechts nicht eine
Vorzugstellung in der Reihe der Forderungen einnimmt, welche die
Arbeiterklasse stellt. Jch würde daher nicht zögern, sie dringenderen
Bedürfnissen der Bewegung unterzuordnen und sogar gegen den Antrag
auf Einführung des Frauenstimmrechts zu stimmen, wenn ich überzeugt
wäre, daß die Einführung jene Bedürfnisse ernstlich schädigen könnte.

Jedoch bin ich nicht der Meinung, daß dies in den fortgeschritteneren
Ländern und besonders in Frankreich heute der Fall sein kann. Un-
zuträglichkeiten mag es hier und da als Folge der Einführung des
Frauenstimmrechts geben. Abgeordnetenmandate können für einige
Parlamentsperioden hier und da verloren gehen, allein man darf eine
Forderung der Gerechtigkeit nicht bloßen Unzuträglichkeiten aufopfern.
Und außerdem bleiben große Entschädigungen dafür nicht aus. Die
erste davon ist, daß das Frauenstimmrecht gerade die Frauen und
besonders auch die Frauen der Arbeiterklasse politisch erziehen wird,
und auf die Dauer muß das die sozialistische Agitation sehr wirk-
sam unterstützen. Die Klerikalen geben sich einem für sie selbst
verhängnisvollen Jrrtum hin, wenn sie wähnen, daß das Frauen-
wahlrecht ihre Geschäfte besorgen werde. Vorübergehend mag
es ihnen einige Mandate verschaffen, obgleich sogar das mir sehr
fraglich erscheint. Doch angenommen, dem wäre so, was würde daraus
folgen? Der entsprechende Wahlausfall würde das monarchistische und
klerikale Frankreich nicht wieder aufrichten, er würde höchstens der Re-
publik einige Schwierigkeiten bereiten. Die Einführung des Frauen-
wahlrechts würde aber auf der anderen Seite die demokratischen Ein-
richtungen um ein sehr wertvolles Recht vermehren, welches den Geist der
Unabhängigkeit bei denjenigen entwickeln und fördern würde, welche heute

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[81/0091] daß die Frau entschieden die Bahn radikaler Forderungen beschreitet. Und zwar nicht bloß die gebildete Frau, sondern auch die Bäuerin, die arme Muschikin begehrt ihren Platz in der Sonne der Gleichheit. Kurz im allgemeinen wie im besonderen fordert unsere Partei und muß sie fordern die Form des allgemeinen Wahlrechts, welche diesen Namen verdient, nämlich das Wahlrecht für jedes großjährige mensch- liche Wesen. Eduard Bernstein: Meiner Ansicht nach ist die Frage des Frauenstimmrechts für den Sozialismus und die Arbeiterklasse nicht eine solche erster Wichtigkeit. Sie ist mehr eine Forderung der Gerechtigkeit als des praktischen Jnter- esses für die allgemeine Emanzipationsbewegung. Die große Masse der Frauen, und sogar der Frauen der Arbeiterklasse stehen ihr sehr gleich- gültig gegenüber. Und das unter anderem aus dem Grunde, daß die Frau als Arbeiterin sich in der großen Mehrzahl der Fälle in der gleichen Lage befindet, wie der Geselle des Mittelalters. Jhre Stellung als Lohnarbeiterin ist nur eine vorübergehende Etappe ihres sozialen Lebens, im Gegensatz zu dem männlichen Arbeiter, für den die Stellung als Lohnarbeiter die soziale Endstufe seines Lebens bleibt. Daher auch die überall empfundene große Schwierigkeit, die Arbeiterinnen dauernd in Gewerkschaften für die wirtschaftlichen Kämpfe zusammen zu halten. Ueberall sind die Arbeiterinnengewerkschaften gering an Zahl und sehr schwach. Soweit ich in Betreff der gewerkschaftlich organisierten Ar- beiterinnen unterrichtet bin, sind die meisten von ihnen nur dank dem Zureden und manchmal sogar dank dem Zwange seitens ihrer männlichen Kollegen organisiert. Daraus schließe ich, daß die Frage des Frauenstimmrechts nicht eine Vorzugstellung in der Reihe der Forderungen einnimmt, welche die Arbeiterklasse stellt. Jch würde daher nicht zögern, sie dringenderen Bedürfnissen der Bewegung unterzuordnen und sogar gegen den Antrag auf Einführung des Frauenstimmrechts zu stimmen, wenn ich überzeugt wäre, daß die Einführung jene Bedürfnisse ernstlich schädigen könnte. Jedoch bin ich nicht der Meinung, daß dies in den fortgeschritteneren Ländern und besonders in Frankreich heute der Fall sein kann. Un- zuträglichkeiten mag es hier und da als Folge der Einführung des Frauenstimmrechts geben. Abgeordnetenmandate können für einige Parlamentsperioden hier und da verloren gehen, allein man darf eine Forderung der Gerechtigkeit nicht bloßen Unzuträglichkeiten aufopfern. Und außerdem bleiben große Entschädigungen dafür nicht aus. Die erste davon ist, daß das Frauenstimmrecht gerade die Frauen und besonders auch die Frauen der Arbeiterklasse politisch erziehen wird, und auf die Dauer muß das die sozialistische Agitation sehr wirk- sam unterstützen. Die Klerikalen geben sich einem für sie selbst verhängnisvollen Jrrtum hin, wenn sie wähnen, daß das Frauen- wahlrecht ihre Geschäfte besorgen werde. Vorübergehend mag es ihnen einige Mandate verschaffen, obgleich sogar das mir sehr fraglich erscheint. Doch angenommen, dem wäre so, was würde daraus folgen? Der entsprechende Wahlausfall würde das monarchistische und klerikale Frankreich nicht wieder aufrichten, er würde höchstens der Re- publik einige Schwierigkeiten bereiten. Die Einführung des Frauen- wahlrechts würde aber auf der anderen Seite die demokratischen Ein- richtungen um ein sehr wertvolles Recht vermehren, welches den Geist der Unabhängigkeit bei denjenigen entwickeln und fördern würde, welche heute 6

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-08-28T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-28T12:13:05Z)

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Zitationshilfe: Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/91>, abgerufen am 22.12.2024.