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Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.

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wird. Die Geschichte verbietet uns so liebenswürdige Jllusionen. Das
allgemeine Wahlrecht ist nie das Wahlrecht nach dem Herzen der
Bourgeoisie gewesen, deren politische Vertreter die Liberalen doch sind.
Die politische "Freiheit, die sie meinte", war stets und überall die
plutokratische Beschränkung des Zensuswahlrechts. Das allgemeine
Wahlrecht gehört zu jenen ideologischen Reminiszenzen alter Jugend-
sünden, die der Liberalismus in sein Programm aus den stürmischen
Tagen übernommen hat, da die Bourgeoisie in ihrer Auseinandersetzung
mit dem Feudalismus der kleinbürgerlichen und proletarischen Massen
benötigte. Mit der Befestigung der bourgeoisen Klassenherrschaft wächst
die Gleichgültigkeit, mit der Bedrohung dieser Klassenherrschaft durch
das Proletariat aber steigt der Haß der Liberalen gegen das allgemeine
Wahlrecht. Was aber die rötlich angehauchten "Freisinnigen" aller
Namen anbelangt, so verraucht ihre schöne Leidenschaft für das "Prinzip
der reinen Demokratie" in dem Maße, als dank der kapitalistischen
Produktion die Um- und Neubildung sozialer Schichten, als die Klassen-
scheidung schärfer vor sich geht und die verschwommenen politischen
Urnebel des "Volkes", der "kleinen Leute" sich zu festen politischen
Körpern zusammenballen, deren Bahnen durch ökonomische, durch
Klasseninteressen bestimmt werden. Je mehr Kleinbürgertum und
Kleinbauerntum in ihrer wirtschaftlichen Existenz erschüttert und zersetzt
an politischer Bedeutung als Klassen verlieren und die Gefolgschaft der
"Mittelstandsretter", Antisemiten, Bauernbündler und anderer reaktio-
närer Gruppen bilden; je mehr das Proletariat seiner wirtschaftlichen
Rolle entsprechend an Zahl und Bedeutung zunimmt und sich als Klasse
im Lager der Sozialdemokratie konzentriert: um so bourgeoiser, kapita-
listischer wird die Politik der bürgerlichen "Volksparteien", um so un-
zweideutiger vollzieht sich die Sammlung des Liberalismus nach rechts
hin. Nicht der Kampf für das allgemeine Wahlrecht, der Kampf
gegen es -- hinter welcher Maske er sich auch bergen möge -- wird je
länger je überwiegender die Sorge der "geeinten" Liberalen. Das all-
gemeine Wahlrecht ist nicht der Schlußstein der bürgerlichen Emanzipa-
tion. Es steht -- von den Ländern mit alter bäuerlicher Demokratie
abgesehen -- an der geschichtlichen Schwelle, wo das proletarische
Emanzipationsringen beginnt; es ist das Schiboleth im Kampfe zwischen
den ausbeutenden und den ausgebeuteten Klassen der kapitalistischen
Ordnung; die geschichtliche Entwickelung legt seine Eroberung und seinen
Schutz immer mehr in die Hände des Proletariats.



VI.
Die bürgerliche Frauenbewegung und die politischen
Parteien.

Das angeführte Tatsachenmaterial steht nicht "in Keilschrift auf
drei Ziegelstein'" verzeichnet, es dürfte auch den Frauenrechtlerinnen
bekannt sein. Wollten sie daher für das Frauenstimmrecht kämpfen --
und zwar als allgemeines Frauenwahlrecht, nicht als Damenwahl-
recht --, so müßten sie offen aussprechen: die Forderung voller sozialer
und politischer Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts zählt in
Deutschland unter den politischen Parteien nur eine einzige wirklich zu-
verlässige, treue Verteidigerin: die Sozialdemokratie. Allein vor diesem

wird. Die Geschichte verbietet uns so liebenswürdige Jllusionen. Das
allgemeine Wahlrecht ist nie das Wahlrecht nach dem Herzen der
Bourgeoisie gewesen, deren politische Vertreter die Liberalen doch sind.
Die politische „Freiheit, die sie meinte‟, war stets und überall die
plutokratische Beschränkung des Zensuswahlrechts. Das allgemeine
Wahlrecht gehört zu jenen ideologischen Reminiszenzen alter Jugend-
sünden, die der Liberalismus in sein Programm aus den stürmischen
Tagen übernommen hat, da die Bourgeoisie in ihrer Auseinandersetzung
mit dem Feudalismus der kleinbürgerlichen und proletarischen Massen
benötigte. Mit der Befestigung der bourgeoisen Klassenherrschaft wächst
die Gleichgültigkeit, mit der Bedrohung dieser Klassenherrschaft durch
das Proletariat aber steigt der Haß der Liberalen gegen das allgemeine
Wahlrecht. Was aber die rötlich angehauchten „Freisinnigen‟ aller
Namen anbelangt, so verraucht ihre schöne Leidenschaft für das „Prinzip
der reinen Demokratie‟ in dem Maße, als dank der kapitalistischen
Produktion die Um- und Neubildung sozialer Schichten, als die Klassen-
scheidung schärfer vor sich geht und die verschwommenen politischen
Urnebel des „Volkes‟, der „kleinen Leute‟ sich zu festen politischen
Körpern zusammenballen, deren Bahnen durch ökonomische, durch
Klasseninteressen bestimmt werden. Je mehr Kleinbürgertum und
Kleinbauerntum in ihrer wirtschaftlichen Existenz erschüttert und zersetzt
an politischer Bedeutung als Klassen verlieren und die Gefolgschaft der
„Mittelstandsretter‟, Antisemiten, Bauernbündler und anderer reaktio-
närer Gruppen bilden; je mehr das Proletariat seiner wirtschaftlichen
Rolle entsprechend an Zahl und Bedeutung zunimmt und sich als Klasse
im Lager der Sozialdemokratie konzentriert: um so bourgeoiser, kapita-
listischer wird die Politik der bürgerlichen „Volksparteien‟, um so un-
zweideutiger vollzieht sich die Sammlung des Liberalismus nach rechts
hin. Nicht der Kampf für das allgemeine Wahlrecht, der Kampf
gegen es — hinter welcher Maske er sich auch bergen möge — wird je
länger je überwiegender die Sorge der „geeinten‟ Liberalen. Das all-
gemeine Wahlrecht ist nicht der Schlußstein der bürgerlichen Emanzipa-
tion. Es steht — von den Ländern mit alter bäuerlicher Demokratie
abgesehen — an der geschichtlichen Schwelle, wo das proletarische
Emanzipationsringen beginnt; es ist das Schiboleth im Kampfe zwischen
den ausbeutenden und den ausgebeuteten Klassen der kapitalistischen
Ordnung; die geschichtliche Entwickelung legt seine Eroberung und seinen
Schutz immer mehr in die Hände des Proletariats.



VI.
Die bürgerliche Frauenbewegung und die politischen
Parteien.

Das angeführte Tatsachenmaterial steht nicht „in Keilschrift auf
drei Ziegelstein'‟ verzeichnet, es dürfte auch den Frauenrechtlerinnen
bekannt sein. Wollten sie daher für das Frauenstimmrecht kämpfen —
und zwar als allgemeines Frauenwahlrecht, nicht als Damenwahl-
recht —, so müßten sie offen aussprechen: die Forderung voller sozialer
und politischer Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts zählt in
Deutschland unter den politischen Parteien nur eine einzige wirklich zu-
verlässige, treue Verteidigerin: die Sozialdemokratie. Allein vor diesem

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-08-28T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-28T12:13:05Z)

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Zitationshilfe: Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/31>, abgerufen am 23.11.2024.