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Ritterhold von Blauen [i. e. Zesen, Philipp von]: Adriatische Rosemund. Amsterdam, 1645.

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vihrtes Buhch.
äuglen als eine angebohrne eigenschaft zu-geschri-
ben würd/ und daß es zweierlei ist/ entweder ein
leut-säliges/ oder ein wält-säliges; das leut-sälige
lihb-äuglen kömt der Kluginne zu/ das wält-sälige
der Libinne: welches lätstere widerüm kan geteilet
wärden in ein keusches/ welches einer chrlichen
Jungfrauen und jünglinge oder jung-manne ge-
zihmet; und dahr-nahch in ein geiles/ welches un-
teusche gemühter veruhrsachchen; und dises ist es
äben/ welches mit keuschen sünnen nicht geschähen
kan. Di keusche sünnen nuhn (wan ich seine ehrste
frage beantworten sol) sein di-jenigen/ welche mit
einem rein und lauterem härzen gebraucht wärden.
Als/ ich kan eines stimme wohl gärn und mit grohs-
ser begihrd' hören/ und dadurch auch zur libe bewo-
gen wärden; ich kan eines lihbliche gebährden und
ahrtige leibes-gestalt/ samt der schöhnheit/ wohl
mit entzukkung anschauen; aber indähm mein härz
keusch ist/ so ist auch dässelben würkung untadel-
haftig. Jch kan eines jünglinges lippen und wan-
gen noch wohl an di meinigen kommen lahssen/ und
gleich-wohl ein unverrüktes härze behalten.

Das weus ich nicht (fihl ihr Markhold in di rä-
de) ob das härz nicht ein wenig wanken solte/ nahch-
dähm ein kus (dan disen verstähet si jah durch di be-
rührung der wangen und lippen) der anglümmende
zunder einer inbrünstigen Libe sein sol. Jah di lip-
pen (wi jener fohr di wahrheit aus-gibet) sein di
anfäng' und di aller-kähnesten wärk-zeuge der Li-
be/ von denen es zu den händen kömt/ welche das
sühsse libes-gift/ das di lippen dem munde gleich-
sam eingeflöhsset haben/ halb-zitternde entfünden/
und sich aus däm gehäge nicht leichtlich halten lahs-
sen. Aber mit was führ gedanken/ möcht' ich wohr
gärne wüssen/ di Holländischen Jungfrauen einem
jünglinge den abschihds-kus gäben/ und ob sich ihr
härz auch so schne-rein und so unverrukt dahr-bei
befündet?

Jch
K 6

vihrtes Buhch.
aͤuglen als eine angebohrne eigenſchaft zu-geſchri-
ben wuͤrd/ und daß es zweierlei iſt/ entweder ein
leut-ſaͤliges/ oder ein waͤlt-ſaͤliges; das leut-ſaͤlige
lihb-aͤuglen koͤmt der Kluginne zu/ das waͤlt-ſaͤlige
der Libinne: welches laͤtſtere wideruͤm kan geteilet
waͤrden in ein keuſches/ welches einer chrlichen
Jungfrauen und juͤnglinge oder jung-manne ge-
zihmet; und dahr-nahch in ein geiles/ welches un-
teuſche gemuͤhter veruhrſachchen; und diſes iſt es
aͤben/ welches mit keuſchen ſuͤnnen nicht geſchaͤhen
kan. Di keuſche ſuͤnnen nuhn (wan ich ſeine ehrſte
frage beantworten ſol) ſein di-jenigen/ welche mit
einem rein und lauterem haͤrzen gebraucht waͤrden.
Als/ ich kan eines ſtimme wohl gaͤrn und mit grohſ-
ſer begihrd’ hoͤren/ und dadurch auch zur libe bewo-
gen waͤrden; ich kan eines lihbliche gebaͤhrden und
ahrtige leibes-geſtalt/ ſamt der ſchoͤhnheit/ wohl
mit entzůkkung anſchauen; aber indaͤhm mein haͤrz
keuſch iſt/ ſo iſt auch daͤſſelben würkung untadel-
haftig. Jch kan eines juͤnglinges lippen und wan-
gen noch wohl an di meinigen kommen lahſſen/ und
gleich-wohl ein unverruͤktes haͤrze behalten.

Das weus ich nicht (fihl ihr Markhold in di raͤ-
de) ob das haͤrz nicht ein wenig wanken ſolte/ nahch-
daͤhm ein kus (dan diſen verſtaͤhet ſi jah durch di be-
ruͤhrung der wangen und lippen) der angluͤmmende
zunder einer inbruͤnſtigen Libe ſein ſol. Jah di lip-
pen (wi jener fohr di wahrheit aus-gibet) ſein di
anfaͤng’ und di aller-kaͤhneſten waͤrk-zeuge der Li-
be/ von denen es zu den haͤnden koͤmt/ welche das
ſuͤhſſe libes-gift/ das di lippen dem munde gleich-
ſam eingefloͤhſſet haben/ halb-zitternde entfuͤnden/
und ſich aus daͤm gehaͤge nicht leichtlich halten lahſ-
ſen. Aber mit was fuͤhr gedanken/ moͤcht’ ich wohr
gaͤrne wuͤſſen/ di Hollaͤndiſchen Jungfrauen einem
juͤnglinge den abſchihds-kus gaͤben/ und ob ſich ihr
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[227/0243] vihrtes Buhch. aͤuglen als eine angebohrne eigenſchaft zu-geſchri- ben wuͤrd/ und daß es zweierlei iſt/ entweder ein leut-ſaͤliges/ oder ein waͤlt-ſaͤliges; das leut-ſaͤlige lihb-aͤuglen koͤmt der Kluginne zu/ das waͤlt-ſaͤlige der Libinne: welches laͤtſtere wideruͤm kan geteilet waͤrden in ein keuſches/ welches einer chrlichen Jungfrauen und juͤnglinge oder jung-manne ge- zihmet; und dahr-nahch in ein geiles/ welches un- teuſche gemuͤhter veruhrſachchen; und diſes iſt es aͤben/ welches mit keuſchen ſuͤnnen nicht geſchaͤhen kan. Di keuſche ſuͤnnen nuhn (wan ich ſeine ehrſte frage beantworten ſol) ſein di-jenigen/ welche mit einem rein und lauterem haͤrzen gebraucht waͤrden. Als/ ich kan eines ſtimme wohl gaͤrn und mit grohſ- ſer begihrd’ hoͤren/ und dadurch auch zur libe bewo- gen waͤrden; ich kan eines lihbliche gebaͤhrden und ahrtige leibes-geſtalt/ ſamt der ſchoͤhnheit/ wohl mit entzůkkung anſchauen; aber indaͤhm mein haͤrz keuſch iſt/ ſo iſt auch daͤſſelben würkung untadel- haftig. Jch kan eines juͤnglinges lippen und wan- gen noch wohl an di meinigen kommen lahſſen/ und gleich-wohl ein unverruͤktes haͤrze behalten. Das weus ich nicht (fihl ihr Markhold in di raͤ- de) ob das haͤrz nicht ein wenig wanken ſolte/ nahch- daͤhm ein kus (dan diſen verſtaͤhet ſi jah durch di be- ruͤhrung der wangen und lippen) der angluͤmmende zunder einer inbruͤnſtigen Libe ſein ſol. Jah di lip- pen (wi jener fohr di wahrheit aus-gibet) ſein di anfaͤng’ und di aller-kaͤhneſten waͤrk-zeuge der Li- be/ von denen es zu den haͤnden koͤmt/ welche das ſuͤhſſe libes-gift/ das di lippen dem munde gleich- ſam eingefloͤhſſet haben/ halb-zitternde entfuͤnden/ und ſich aus daͤm gehaͤge nicht leichtlich halten lahſ- ſen. Aber mit was fuͤhr gedanken/ moͤcht’ ich wohr gaͤrne wuͤſſen/ di Hollaͤndiſchen Jungfrauen einem juͤnglinge den abſchihds-kus gaͤben/ und ob ſich ihr haͤrz auch ſo ſchne-rein und ſo unverrůkt dahr-bei befuͤndet? Jch K 6

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Zitationshilfe: Ritterhold von Blauen [i. e. Zesen, Philipp von]: Adriatische Rosemund. Amsterdam, 1645, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_rosemund_1645/243>, abgerufen am 24.11.2024.