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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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erstes Buch.
chen verstand/ in ihrer rede/ hörete/ und in ihren
so überaus hertzentzükkenden gebehrden erblikte; so
wuste ich nicht/ was ich von ihr urteilen solte. Ich
muste gestehen/ daß ihre achtjährige jugend so manches
zwanzig-ja dreissig jähriges alter übertraf. Ich muste
bekennen/ daß sie/ so jung als sie war/ eben so reif am
verstande sei: und daß sie dadurch ein volwachsenes
Frauenzimmer beschähmete. Ich muste/ dan anders
konte ich nicht urteilen/ so hochvernünftig führete
sie ihre reden/ daß in der gantzen welt kein Frauenzim-
mer zu finden/ das weiser sei/ oder nur an weisheit ihr
gliche. Es war mit lust an zu sehen/ es war mit ergetz-
ligkeit an zu hören; wie sie meine Fürstin so gar höflich/
so überausliebseelig/ und mit so sehr füglich angebrach-
ten worten empfing. Ein iedes wort hatte einen sonder-
lichen nachdruk. Kein einiges ward leer ausgesprochen.
Nicht eines war überflüßig. Alle miteinander ziereten
ihre rede ausdermaßen/ ja so/ daß nicht eines konte
entbehret werden. Und es schien/ daß sie zuvor alle und
iede auf der goldwage ihres verstandes abgewogen/ ehe sie
eines darvon über die behände zunge herausschiessenlies.

Wir verharreten bei ihr drei tage. Diese drei tage
kahmen uns kürtzer vor/ als drei vierteilstunden an un-
serm hofe. Dan diese zeit über hielt sie uns/ so lange
der tag währete/ auch wohl zu weilen schier eine halbe
nacht/ fort und fort geselschaft. Der tag war kaum an-
gebrochen/ verlangte meine Fürstin schon die schöne As-
senat
zu sehen: welche auch ihr zu liebe früher auf-
stund/ als sie sonst gewohnet. Dan diese zwo Fürstin-
nen liebeten einander dermaßen/ daß keine der andern
in der liebe nachgab. Und ob sie schon so ungleiches al-
ter hatten/ indem Nitokris bei sechs jahren älter
war/ als Assenat; so schienen sie gleichwohl eine seele zu
sein. Ihre hertzen hatten sich gleichsam so zusammen-
verbunden/ daß eine ohne die andere kaum leben konte.

Ni-

erſtes Buch.
chen verſtand/ in ihrer rede/ hoͤrete/ und in ihren
ſo uͤberaus hertzentzuͤkkenden gebehrden erblikte; ſo
wuſte ich nicht/ was ich von ihr urteilen ſolte. Ich
muſte geſtehen/ daß ihre achtjaͤhrige jugend ſo manches
zwanzig-ja dreiſſig jaͤhriges alter uͤbertraf. Ich muſte
bekennen/ daß ſie/ ſo jung als ſie war/ eben ſo reif am
verſtande ſei: und daß ſie dadurch ein volwachſenes
Frauenzimmer beſchaͤhmete. Ich muſte/ dan anders
konte ich nicht urteilen/ ſo hochvernuͤnftig fuͤhrete
ſie ihre reden/ daß in der gantzen welt kein Frauenzim-
mer zu finden/ das weiſer ſei/ oder nur an weisheit ihr
gliche. Es war mit luſt an zu ſehen/ es war mit ergetz-
ligkeit an zu hoͤren; wie ſie meine Fuͤrſtin ſo gar hoͤflich/
ſo uͤberausliebſeelig/ und mit ſo ſehr fuͤglich angebrach-
ten worten empfing. Ein iedes wort hatte einen ſonder-
lichen nachdruk. Kein einiges ward leer ausgeſprochen.
Nicht eines war uͤberfluͤßig. Alle miteinander ziereten
ihre rede ausdermaßen/ ja ſo/ daß nicht eines konte
entbehret werden. Und es ſchien/ daß ſie zuvor alle und
iede auf der goldwage ihres verſtandes abgewogen/ ehe ſie
eines darvon uͤber die behaͤnde zunge herausſchieſſenlies.

Wir verharreten bei ihr drei tage. Dieſe drei tage
kahmen uns kuͤrtzer vor/ als drei vierteilſtunden an un-
ſerm hofe. Dan dieſe zeit uͤber hielt ſie uns/ ſo lange
der tag waͤhrete/ auch wohl zu weilen ſchier eine halbe
nacht/ fort und fort geſelſchaft. Der tag war kaum an-
gebrochen/ verlangte meine Fuͤrſtin ſchon die ſchoͤne Aſ-
ſenat
zu ſehen: welche auch ihr zu liebe fruͤher auf-
ſtund/ als ſie ſonſt gewohnet. Dan dieſe zwo Fuͤrſtin-
nen liebeten einander dermaßen/ daß keine der andern
in der liebe nachgab. Und ob ſie ſchon ſo ungleiches al-
ter hatten/ indem Nitokris bei ſechs jahren aͤlter
war/ als Aſſenat; ſo ſchienen ſie gleichwohl eine ſeele zu
ſein. Ihre hertzen hatten ſich gleichſam ſo zuſammen-
verbunden/ daß eine ohne die andere kaum leben konte.

Ni-
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[31/0055] erſtes Buch. chen verſtand/ in ihrer rede/ hoͤrete/ und in ihren ſo uͤberaus hertzentzuͤkkenden gebehrden erblikte; ſo wuſte ich nicht/ was ich von ihr urteilen ſolte. Ich muſte geſtehen/ daß ihre achtjaͤhrige jugend ſo manches zwanzig-ja dreiſſig jaͤhriges alter uͤbertraf. Ich muſte bekennen/ daß ſie/ ſo jung als ſie war/ eben ſo reif am verſtande ſei: und daß ſie dadurch ein volwachſenes Frauenzimmer beſchaͤhmete. Ich muſte/ dan anders konte ich nicht urteilen/ ſo hochvernuͤnftig fuͤhrete ſie ihre reden/ daß in der gantzen welt kein Frauenzim- mer zu finden/ das weiſer ſei/ oder nur an weisheit ihr gliche. Es war mit luſt an zu ſehen/ es war mit ergetz- ligkeit an zu hoͤren; wie ſie meine Fuͤrſtin ſo gar hoͤflich/ ſo uͤberausliebſeelig/ und mit ſo ſehr fuͤglich angebrach- ten worten empfing. Ein iedes wort hatte einen ſonder- lichen nachdruk. Kein einiges ward leer ausgeſprochen. Nicht eines war uͤberfluͤßig. Alle miteinander ziereten ihre rede ausdermaßen/ ja ſo/ daß nicht eines konte entbehret werden. Und es ſchien/ daß ſie zuvor alle und iede auf der goldwage ihres verſtandes abgewogen/ ehe ſie eines darvon uͤber die behaͤnde zunge herausſchieſſenlies. Wir verharreten bei ihr drei tage. Dieſe drei tage kahmen uns kuͤrtzer vor/ als drei vierteilſtunden an un- ſerm hofe. Dan dieſe zeit uͤber hielt ſie uns/ ſo lange der tag waͤhrete/ auch wohl zu weilen ſchier eine halbe nacht/ fort und fort geſelſchaft. Der tag war kaum an- gebrochen/ verlangte meine Fuͤrſtin ſchon die ſchoͤne Aſ- ſenat zu ſehen: welche auch ihr zu liebe fruͤher auf- ſtund/ als ſie ſonſt gewohnet. Dan dieſe zwo Fuͤrſtin- nen liebeten einander dermaßen/ daß keine der andern in der liebe nachgab. Und ob ſie ſchon ſo ungleiches al- ter hatten/ indem Nitokris bei ſechs jahren aͤlter war/ als Aſſenat; ſo ſchienen ſie gleichwohl eine ſeele zu ſein. Ihre hertzen hatten ſich gleichſam ſo zuſammen- verbunden/ daß eine ohne die andere kaum leben konte. Ni-

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/55>, abgerufen am 29.11.2024.