Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Assenat

Josef erschrak über diesen plötzlichen zufal. Er het-
te gern das gesinde gerufen. Aber er durfte nicht. Auch
konte er nicht; so sehr hämmete der schrik seine zunge.
Darüm hub er die Fürstin allein auf/ und setzte sie ge-
mächlich in einen ruhestuhl nieder. Da kahm sie über
eine weile wieder zu sich selbst. Und als sie den Josef
erblikte/ der ihr mit der hand ein stärkwasser im schnupf-
tuche vor die nasenlöcher hielt; da sprach sie mit
schwächlicher und böbender stimme: Ist noch so viel
liebe/ und so viel mitleidens bei euch? Aber ach! war-
üm sucht ihr mir das leben wieder zu bringen/ das schon
verflogen war? Wisset ihr nicht/ daß ihr zugleich meine
schmertzen wiederbringet/ die mit dem leben verschwun-
den? Mir war wohl: warüm liesset ihr mich nicht al-
so bleiben? Ihr suchet mich doch nur aufs neue zu pei-
nigen. Ihr erneuert doch nur meine angst/ an stat daß
ihr sie lindern soltet: welches anders nicht/ als durch
eine hertzliche gegenliebe/ geschehen mag. Aber darzu
kan ich euch nicht bewegen. Und es scheinet/ als wan
eure grausamkeit und meine liebe üm die wette streiten/
zu sehen/ welche die andere vertilgen kan.

Auf diese worte fing endlich Josef auch an. Wie
schöpfet doch meine gnädige Frau von mir so gar böse
gedanken? Leiste ich ihr dan nicht allen müglichsten ge-
hohrsam? Bin ich ihr nicht zugetahn mit euserster
treue? Erweise ich ihr dan nicht alle untertähnigste lie-
be? Ja ich versichere sie/ daß ich sie über alles liebe/ selbst
so weit/ als mir immermehr geziemet. Weiter kan sich
diese liebe nicht erstrekken. Die treue/ die ich ihren Eh-
liebsten bezeugen mus/ lesset ein mehres nicht zu. Ein
mehres kan und wird sie auch selbsten nicht suchen. Ich
wil mehr sagen. Ein kind kan seine Mutter/ unter de-
rer hertzen es gelegen/ höher nicht lieben/ als ich sie liebe.
Ja diese liebe steiget so hoch/ daß ich auch mein leben
vor sie laßen wolte. Mein bluht wolte ich vor sie ver-

gies-
Der Aſſenat

Joſef erſchrak uͤber dieſen ploͤtzlichen zufal. Er het-
te gern das geſinde gerufen. Aber er durfte nicht. Auch
konte er nicht; ſo ſehr haͤmmete der ſchrik ſeine zunge.
Daruͤm hub er die Fuͤrſtin allein auf/ und ſetzte ſie ge-
maͤchlich in einen ruheſtuhl nieder. Da kahm ſie uͤber
eine weile wieder zu ſich ſelbſt. Und als ſie den Joſef
erblikte/ der ihr mit der hand ein ſtaͤrkwaſſer im ſchnupf-
tuche vor die naſenloͤcher hielt; da ſprach ſie mit
ſchwaͤchlicher und boͤbender ſtimme: Iſt noch ſo viel
liebe/ und ſo viel mitleidens bei euch? Aber ach! war-
uͤm ſucht ihr mir das leben wieder zu bringen/ das ſchon
verflogen war? Wiſſet ihr nicht/ daß ihr zugleich meine
ſchmertzen wiederbringet/ die mit dem leben verſchwun-
den? Mir war wohl: waruͤm lieſſet ihr mich nicht al-
ſo bleiben? Ihr ſuchet mich doch nur aufs neue zu pei-
nigen. Ihr erneuert doch nur meine angſt/ an ſtat daß
ihr ſie lindern ſoltet: welches anders nicht/ als durch
eine hertzliche gegenliebe/ geſchehen mag. Aber darzu
kan ich euch nicht bewegen. Und es ſcheinet/ als wan
eure grauſamkeit und meine liebe uͤm die wette ſtreiten/
zu ſehen/ welche die andere vertilgen kan.

Auf dieſe worte fing endlich Joſef auch an. Wie
ſchoͤpfet doch meine gnaͤdige Frau von mir ſo gar boͤſe
gedanken? Leiſte ich ihr dan nicht allen muͤglichſten ge-
hohrſam? Bin ich ihr nicht zugetahn mit euſerſter
treue? Erweiſe ich ihr dan nicht alle untertaͤhnigſte lie-
be? Ja ich verſichere ſie/ daß ich ſie uͤber alles liebe/ ſelbſt
ſo weit/ als mir immermehr geziemet. Weiter kan ſich
dieſe liebe nicht erſtrekken. Die treue/ die ich ihren Eh-
liebſten bezeugen mus/ leſſet ein mehres nicht zu. Ein
mehres kan und wird ſie auch ſelbſten nicht ſuchen. Ich
wil mehr ſagen. Ein kind kan ſeine Mutter/ unter de-
rer hertzen es gelegen/ hoͤher nicht lieben/ als ich ſie liebe.
Ja dieſe liebe ſteiget ſo hoch/ daß ich auch mein leben
vor ſie laßen wolte. Mein bluht wolte ich vor ſie ver-

gieſ-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0146" n="122"/>
        <fw place="top" type="header">Der A&#x017F;&#x017F;enat</fw><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi> er&#x017F;chrak u&#x0364;ber die&#x017F;en plo&#x0364;tzlichen zufal. Er het-<lb/>
te gern das ge&#x017F;inde gerufen. Aber er durfte nicht. Auch<lb/>
konte er nicht; &#x017F;o &#x017F;ehr ha&#x0364;mmete der &#x017F;chrik &#x017F;eine zunge.<lb/>
Daru&#x0364;m hub er die Fu&#x0364;r&#x017F;tin allein auf/ und &#x017F;etzte &#x017F;ie ge-<lb/>
ma&#x0364;chlich in einen ruhe&#x017F;tuhl nieder. Da kahm &#x017F;ie u&#x0364;ber<lb/>
eine weile wieder zu &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t. Und als &#x017F;ie den <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi><lb/>
erblikte/ der ihr mit der hand ein &#x017F;ta&#x0364;rkwa&#x017F;&#x017F;er im &#x017F;chnupf-<lb/>
tuche vor die na&#x017F;enlo&#x0364;cher hielt; da &#x017F;prach &#x017F;ie mit<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;chlicher und bo&#x0364;bender &#x017F;timme: I&#x017F;t noch &#x017F;o viel<lb/>
liebe/ und &#x017F;o viel mitleidens bei euch? Aber ach! war-<lb/>
u&#x0364;m &#x017F;ucht ihr mir das leben wieder zu bringen/ das &#x017F;chon<lb/>
verflogen war? Wi&#x017F;&#x017F;et ihr nicht/ daß ihr zugleich meine<lb/>
&#x017F;chmertzen wiederbringet/ die mit dem leben ver&#x017F;chwun-<lb/>
den? Mir war wohl: waru&#x0364;m lie&#x017F;&#x017F;et ihr mich nicht al-<lb/>
&#x017F;o bleiben? Ihr &#x017F;uchet mich doch nur aufs neue zu pei-<lb/>
nigen. Ihr erneuert doch nur meine ang&#x017F;t/ an &#x017F;tat daß<lb/>
ihr &#x017F;ie lindern &#x017F;oltet: welches anders nicht/ als durch<lb/>
eine hertzliche gegenliebe/ ge&#x017F;chehen mag. Aber darzu<lb/>
kan ich euch nicht bewegen. Und es &#x017F;cheinet/ als wan<lb/>
eure grau&#x017F;amkeit und meine liebe u&#x0364;m die wette &#x017F;treiten/<lb/>
zu &#x017F;ehen/ welche die andere vertilgen kan.</p><lb/>
        <p>Auf die&#x017F;e worte fing endlich <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi> auch an. Wie<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfet doch meine gna&#x0364;dige Frau von mir &#x017F;o gar bo&#x0364;&#x017F;e<lb/>
gedanken? Lei&#x017F;te ich ihr dan nicht allen mu&#x0364;glich&#x017F;ten ge-<lb/>
hohr&#x017F;am? Bin ich ihr nicht zugetahn mit eu&#x017F;er&#x017F;ter<lb/>
treue? Erwei&#x017F;e ich ihr dan nicht alle unterta&#x0364;hnig&#x017F;te lie-<lb/>
be? Ja ich ver&#x017F;ichere &#x017F;ie/ daß ich &#x017F;ie u&#x0364;ber alles liebe/ &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;o weit/ als mir immermehr geziemet. Weiter kan &#x017F;ich<lb/>
die&#x017F;e liebe nicht er&#x017F;trekken. Die treue/ die ich ihren Eh-<lb/>
lieb&#x017F;ten bezeugen mus/ le&#x017F;&#x017F;et ein mehres nicht zu. Ein<lb/>
mehres kan und wird &#x017F;ie auch &#x017F;elb&#x017F;ten nicht &#x017F;uchen. Ich<lb/>
wil mehr &#x017F;agen. Ein kind kan &#x017F;eine Mutter/ unter de-<lb/>
rer hertzen es gelegen/ ho&#x0364;her nicht lieben/ als ich &#x017F;ie liebe.<lb/>
Ja die&#x017F;e liebe &#x017F;teiget &#x017F;o hoch/ daß ich auch mein leben<lb/>
vor &#x017F;ie laßen wolte. Mein bluht wolte ich vor &#x017F;ie ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gie&#x017F;-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0146] Der Aſſenat Joſef erſchrak uͤber dieſen ploͤtzlichen zufal. Er het- te gern das geſinde gerufen. Aber er durfte nicht. Auch konte er nicht; ſo ſehr haͤmmete der ſchrik ſeine zunge. Daruͤm hub er die Fuͤrſtin allein auf/ und ſetzte ſie ge- maͤchlich in einen ruheſtuhl nieder. Da kahm ſie uͤber eine weile wieder zu ſich ſelbſt. Und als ſie den Joſef erblikte/ der ihr mit der hand ein ſtaͤrkwaſſer im ſchnupf- tuche vor die naſenloͤcher hielt; da ſprach ſie mit ſchwaͤchlicher und boͤbender ſtimme: Iſt noch ſo viel liebe/ und ſo viel mitleidens bei euch? Aber ach! war- uͤm ſucht ihr mir das leben wieder zu bringen/ das ſchon verflogen war? Wiſſet ihr nicht/ daß ihr zugleich meine ſchmertzen wiederbringet/ die mit dem leben verſchwun- den? Mir war wohl: waruͤm lieſſet ihr mich nicht al- ſo bleiben? Ihr ſuchet mich doch nur aufs neue zu pei- nigen. Ihr erneuert doch nur meine angſt/ an ſtat daß ihr ſie lindern ſoltet: welches anders nicht/ als durch eine hertzliche gegenliebe/ geſchehen mag. Aber darzu kan ich euch nicht bewegen. Und es ſcheinet/ als wan eure grauſamkeit und meine liebe uͤm die wette ſtreiten/ zu ſehen/ welche die andere vertilgen kan. Auf dieſe worte fing endlich Joſef auch an. Wie ſchoͤpfet doch meine gnaͤdige Frau von mir ſo gar boͤſe gedanken? Leiſte ich ihr dan nicht allen muͤglichſten ge- hohrſam? Bin ich ihr nicht zugetahn mit euſerſter treue? Erweiſe ich ihr dan nicht alle untertaͤhnigſte lie- be? Ja ich verſichere ſie/ daß ich ſie uͤber alles liebe/ ſelbſt ſo weit/ als mir immermehr geziemet. Weiter kan ſich dieſe liebe nicht erſtrekken. Die treue/ die ich ihren Eh- liebſten bezeugen mus/ leſſet ein mehres nicht zu. Ein mehres kan und wird ſie auch ſelbſten nicht ſuchen. Ich wil mehr ſagen. Ein kind kan ſeine Mutter/ unter de- rer hertzen es gelegen/ hoͤher nicht lieben/ als ich ſie liebe. Ja dieſe liebe ſteiget ſo hoch/ daß ich auch mein leben vor ſie laßen wolte. Mein bluht wolte ich vor ſie ver- gieſ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/146
Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/146>, abgerufen am 21.12.2024.