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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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Der Assenat
das allerfeindlichste/ ja mordtähtigste beginnen/ aus
dem mittel zu reumen? O ihr ehrvergessene schänder
des gantzen stammes der redlichen Ebreer! o ihr
Gottsvergessene Höllenbrände! o ihr greuliche Nat-
terngezüchte der pech- und schwefel-sümpfe des Abgrun-
des! Ach! du gerechter Himmel! Dieses wort fing ihm
Judah plötzlich auf/ seinen zorn zu stillen. Der Him-
mel/ sagte er/ ist freilich gerecht. Er hat es so wohl
geschikt/ daß er Josefs leben in seine beschirmung ge-
nommen.

Das sage/ das klage ich eben/ fuhr Ruben fort/ daß
ihr ihm das leben genommen. So verstund er diese re-
den; weil er/ aus übermäßiger entzükkung seiner sin-
nen/ sie nicht recht hörete. Doch bekahm er endlich sei-
nen verstand ie mehr und mehr wieder. Er kahm wie-
der zu sich selbst. Und da vernam er erst recht/ daß Jo-
sef
noch lebete. Da sahe er das geld/ darvor ihn seine
Brüder verkauft. Das verfluchte er. Das verspiehe
er. Aber was wolte er tuhn. Es war geschehen. Er
war verkauft. Das zeichen sahe er vor augen. Darüm
sagte er: besser verkauft/ als ermordet. Nun habe ich
noch diesen trost: Gott ist getreu. Verlesset schon den
Josef sein ungetreues Gebrüder; so wird doch der
Himmel ihn nicht verlaßen. Aber womit bedekken wir
indessen diesen häslichen schandflek vor der ehrbaren
welt? Womit trösten wir unsern alten Vater? Der
wird sich todt grähmen/ wan er erfähret/ daß ihr seinen
Sohn verkauft. Hierauf stiegen ihnen allen die träh-
nen ins gesichte. Sie wündschten es ungeschehen. Aber
wündsche seind winde; und fliegen mit den winden dar-
von. Dieser wundsch nützte weniger/ als nichts. Nie-
mand war damit geholfen.

Nachdem sie lange genug gekärmet/ und sich nun
müde gehärmet hatten/ vermeinten sie/ es sei besser den
Vater in ein kurtzes hertzleid/ als in eine ewige beküm-

mer-

Der Aſſenat
das allerfeindlichſte/ ja mordtaͤhtigſte beginnen/ aus
dem mittel zu reumen? O ihr ehrvergeſſene ſchaͤnder
des gantzen ſtammes der redlichen Ebreer! o ihr
Gottsvergeſſene Hoͤllenbraͤnde! o ihr greuliche Nat-
terngezuͤchte der pech- und ſchwefel-ſuͤmpfe des Abgrun-
des! Ach! du gerechter Himmel! Dieſes wort fing ihm
Judah ploͤtzlich auf/ ſeinen zorn zu ſtillen. Der Him-
mel/ ſagte er/ iſt freilich gerecht. Er hat es ſo wohl
geſchikt/ daß er Joſefs leben in ſeine beſchirmung ge-
nommen.

Das ſage/ das klage ich eben/ fuhr Ruben fort/ daß
ihr ihm das leben genommen. So verſtund er dieſe re-
den; weil er/ aus uͤbermaͤßiger entzuͤkkung ſeiner ſin-
nen/ ſie nicht recht hoͤrete. Doch bekahm er endlich ſei-
nen verſtand ie mehr und mehr wieder. Er kahm wie-
der zu ſich ſelbſt. Und da vernam er erſt recht/ daß Jo-
ſef
noch lebete. Da ſahe er das geld/ darvor ihn ſeine
Bruͤder verkauft. Das verfluchte er. Das verſpiehe
er. Aber was wolte er tuhn. Es war geſchehen. Er
war verkauft. Das zeichen ſahe er vor augen. Daruͤm
ſagte er: beſſer verkauft/ als ermordet. Nun habe ich
noch dieſen troſt: Gott iſt getreu. Verleſſet ſchon den
Joſef ſein ungetreues Gebruͤder; ſo wird doch der
Himmel ihn nicht verlaßen. Aber womit bedekken wir
indeſſen dieſen haͤslichen ſchandflek vor der ehrbaren
welt? Womit troͤſten wir unſern alten Vater? Der
wird ſich todt graͤhmen/ wan er erfaͤhret/ daß ihr ſeinen
Sohn verkauft. Hierauf ſtiegen ihnen allen die traͤh-
nen ins geſichte. Sie wuͤndſchten es ungeſchehen. Aber
wuͤndſche ſeind winde; und fliegen mit den winden dar-
von. Dieſer wundſch nuͤtzte weniger/ als nichts. Nie-
mand war damit geholfen.

Nachdem ſie lange genug gekaͤrmet/ und ſich nun
muͤde gehaͤrmet hatten/ vermeinten ſie/ es ſei beſſer den
Vater in ein kurtzes hertzleid/ als in eine ewige bekuͤm-

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[78/0102] Der Aſſenat das allerfeindlichſte/ ja mordtaͤhtigſte beginnen/ aus dem mittel zu reumen? O ihr ehrvergeſſene ſchaͤnder des gantzen ſtammes der redlichen Ebreer! o ihr Gottsvergeſſene Hoͤllenbraͤnde! o ihr greuliche Nat- terngezuͤchte der pech- und ſchwefel-ſuͤmpfe des Abgrun- des! Ach! du gerechter Himmel! Dieſes wort fing ihm Judah ploͤtzlich auf/ ſeinen zorn zu ſtillen. Der Him- mel/ ſagte er/ iſt freilich gerecht. Er hat es ſo wohl geſchikt/ daß er Joſefs leben in ſeine beſchirmung ge- nommen. Das ſage/ das klage ich eben/ fuhr Ruben fort/ daß ihr ihm das leben genommen. So verſtund er dieſe re- den; weil er/ aus uͤbermaͤßiger entzuͤkkung ſeiner ſin- nen/ ſie nicht recht hoͤrete. Doch bekahm er endlich ſei- nen verſtand ie mehr und mehr wieder. Er kahm wie- der zu ſich ſelbſt. Und da vernam er erſt recht/ daß Jo- ſef noch lebete. Da ſahe er das geld/ darvor ihn ſeine Bruͤder verkauft. Das verfluchte er. Das verſpiehe er. Aber was wolte er tuhn. Es war geſchehen. Er war verkauft. Das zeichen ſahe er vor augen. Daruͤm ſagte er: beſſer verkauft/ als ermordet. Nun habe ich noch dieſen troſt: Gott iſt getreu. Verleſſet ſchon den Joſef ſein ungetreues Gebruͤder; ſo wird doch der Himmel ihn nicht verlaßen. Aber womit bedekken wir indeſſen dieſen haͤslichen ſchandflek vor der ehrbaren welt? Womit troͤſten wir unſern alten Vater? Der wird ſich todt graͤhmen/ wan er erfaͤhret/ daß ihr ſeinen Sohn verkauft. Hierauf ſtiegen ihnen allen die traͤh- nen ins geſichte. Sie wuͤndſchten es ungeſchehen. Aber wuͤndſche ſeind winde; und fliegen mit den winden dar- von. Dieſer wundſch nuͤtzte weniger/ als nichts. Nie- mand war damit geholfen. Nachdem ſie lange genug gekaͤrmet/ und ſich nun muͤde gehaͤrmet hatten/ vermeinten ſie/ es ſei beſſer den Vater in ein kurtzes hertzleid/ als in eine ewige bekuͤm- mer-

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/102>, abgerufen am 30.11.2024.