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Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862.

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zusehen, die Spuren der Erfahrungen, aus denen sie
herstammen, eingedrückt sind, dass umgekehrt von den
Dingen, worüber wir gar keine Erfahrung haben, uns
auch jeder Begriff fehlt? Wie sollen wir uns endlich
von der Wirklichkeit dessen überzeugen, dessen Vor¬
stellung, wie man annimmt, rein von uns selbst gebildet,
nicht durch eine Einwirkung des Objekts auf uns her¬
vorgerufen ist? Andererseits aber ist Kant ganz in
seinem Rechte, wenn er läugnet, dass irgend eine Vor¬
stellung anders, als durch Vermittlung unserer Selbst¬
thätigkeit und in den uns durch die Natur unseres Er¬
kennens vorgeschriebenen Formen, zu Stande komme.
Was uns unmittelbar in der Erfahrung gegeben ist, das
sind immer nur die einzelnen Eindrücke, diese bestimmten
Empfindungen, als Vorgänge in unserem Bewusstsein.
Schon die Art, wie wir die Einwirkung der Dinge auf¬
nehmen, die Qualität und die Stärke der Empfindung,
die sie in uns hervorbringt, ist durch die Beschaffenheit
unserer Sinneswerkzeuge und die Gesetze unseres Em¬
pfindungsvermögens bedingt; noch viel augenscheinlicher
ist unsere eigene Thätigkeit mit im Spiele, wenn wir
die Einzelempfindungen zu Gesammtbildern verbinden,
wenn wir das, was zunächst nur in unserem Bewusstsein
gegeben ist, in der Anschauung des Objekts aus uns
heraussetzen, wenn wir aus den Wahrnehmungen allge¬
meine Begriffe abstrahiren, wenn wir von den Thatsachen
der Erfahrung auf die Ursachen schliessen, die ihnen zu
Grunde liegen. Das allerdings ist nicht richtig, dass uns

zusehen, die Spuren der Erfahrungen, aus denen sie
herstammen, eingedrückt sind, dass umgekehrt von den
Dingen, worüber wir gar keine Erfahrung haben, uns
auch jeder Begriff fehlt? Wie sollen wir uns endlich
von der Wirklichkeit dessen überzeugen, dessen Vor¬
stellung, wie man annimmt, rein von uns selbst gebildet,
nicht durch eine Einwirkung des Objekts auf uns her¬
vorgerufen ist? Andererseits aber ist Kant ganz in
seinem Rechte, wenn er läugnet, dass irgend eine Vor¬
stellung anders, als durch Vermittlung unserer Selbst¬
thätigkeit und in den uns durch die Natur unseres Er¬
kennens vorgeschriebenen Formen, zu Stande komme.
Was uns unmittelbar in der Erfahrung gegeben ist, das
sind immer nur die einzelnen Eindrücke, diese bestimmten
Empfindungen, als Vorgänge in unserem Bewusstsein.
Schon die Art, wie wir die Einwirkung der Dinge auf¬
nehmen, die Qualität und die Stärke der Empfindung,
die sie in uns hervorbringt, ist durch die Beschaffenheit
unserer Sinneswerkzeuge und die Gesetze unseres Em¬
pfindungsvermögens bedingt; noch viel augenscheinlicher
ist unsere eigene Thätigkeit mit im Spiele, wenn wir
die Einzelempfindungen zu Gesammtbildern verbinden,
wenn wir das, was zunächst nur in unserem Bewusstsein
gegeben ist, in der Anschauung des Objekts aus uns
heraussetzen, wenn wir aus den Wahrnehmungen allge¬
meine Begriffe abstrahiren, wenn wir von den Thatsachen
der Erfahrung auf die Ursachen schliessen, die ihnen zu
Grunde liegen. Das allerdings ist nicht richtig, dass uns

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[22/0026] zusehen, die Spuren der Erfahrungen, aus denen sie herstammen, eingedrückt sind, dass umgekehrt von den Dingen, worüber wir gar keine Erfahrung haben, uns auch jeder Begriff fehlt? Wie sollen wir uns endlich von der Wirklichkeit dessen überzeugen, dessen Vor¬ stellung, wie man annimmt, rein von uns selbst gebildet, nicht durch eine Einwirkung des Objekts auf uns her¬ vorgerufen ist? Andererseits aber ist Kant ganz in seinem Rechte, wenn er läugnet, dass irgend eine Vor¬ stellung anders, als durch Vermittlung unserer Selbst¬ thätigkeit und in den uns durch die Natur unseres Er¬ kennens vorgeschriebenen Formen, zu Stande komme. Was uns unmittelbar in der Erfahrung gegeben ist, das sind immer nur die einzelnen Eindrücke, diese bestimmten Empfindungen, als Vorgänge in unserem Bewusstsein. Schon die Art, wie wir die Einwirkung der Dinge auf¬ nehmen, die Qualität und die Stärke der Empfindung, die sie in uns hervorbringt, ist durch die Beschaffenheit unserer Sinneswerkzeuge und die Gesetze unseres Em¬ pfindungsvermögens bedingt; noch viel augenscheinlicher ist unsere eigene Thätigkeit mit im Spiele, wenn wir die Einzelempfindungen zu Gesammtbildern verbinden, wenn wir das, was zunächst nur in unserem Bewusstsein gegeben ist, in der Anschauung des Objekts aus uns heraussetzen, wenn wir aus den Wahrnehmungen allge¬ meine Begriffe abstrahiren, wenn wir von den Thatsachen der Erfahrung auf die Ursachen schliessen, die ihnen zu Grunde liegen. Das allerdings ist nicht richtig, dass uns

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Zitationshilfe: Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862/26>, abgerufen am 21.11.2024.