Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

empirische Ich, das Subjekt, welches im Gegensatz zum
Objekt steht, von dem reinen oder absoluten Ich, welches
diesem Gegensatz vorangeht und das Subjekt, wie das
Objekt, als seine Erscheinungsform erst hervorbringt.
Aber mit welchem Recht, fragt Schelling nicht ohne
Grund, kann dieses unendliche Wesen noch "Ich" genannt
werden? Ich ist eben die selbstbewusste Persönlichkeit,
das Subjekt; dasjenige, was sowohl Objekt als Subjekt
ist, ist ebendamit weder Subjekt noch Objekt, es ist also
auch nicht Ich, es ist nur das Absolute als solches. So
bricht der Fichte'sche Begriff des absoluten Ich in der
Mitte auseinander: auf die eine Seite stellt sich das
Absolute, das weder Subjekt noch Objekt, weder Ich
noch nicht-Ich, sondern nur ihre absolute Identität und
Indifferenz ist; auf die andere das abgeleitete Sein in
den zwei Hauptformen des Objekts und Subjekts, der
Natur und des Geistes; die Sache der Philosophie ist es,
diese beiden Seiten denkend zu vermitteln, das Abge¬
leitete aus dem Ursprünglichen, Geist und Natur aus
dem Absoluten zu erklären.

Geistvoll, aber mit mangelhafter Methode, unter
unruhigem Wechsel der wissenschaftlichen Form und des
Ausdrucks, versuchte sich Schelling an dieser Er¬
klärung; Hegel unternahm es, die gleiche Aufgabe in
geduldiger Arbeit des Gedankens mit systematischer
Strenge und Vollständigkeit zu lösen. Wenn sich das
absolute Wesen in Natur und Geist offenbart, so muss
die Nothwendigkeit dieser Offenbarung in ihm selbst

empirische Ich, das Subjekt, welches im Gegensatz zum
Objekt steht, von dem reinen oder absoluten Ich, welches
diesem Gegensatz vorangeht und das Subjekt, wie das
Objekt, als seine Erscheinungsform erst hervorbringt.
Aber mit welchem Recht, fragt Schelling nicht ohne
Grund, kann dieses unendliche Wesen noch „Ich“ genannt
werden? Ich ist eben die selbstbewusste Persönlichkeit,
das Subjekt; dasjenige, was sowohl Objekt als Subjekt
ist, ist ebendamit weder Subjekt noch Objekt, es ist also
auch nicht Ich, es ist nur das Absolute als solches. So
bricht der Fichte'sche Begriff des absoluten Ich in der
Mitte auseinander: auf die eine Seite stellt sich das
Absolute, das weder Subjekt noch Objekt, weder Ich
noch nicht-Ich, sondern nur ihre absolute Identität und
Indifferenz ist; auf die andere das abgeleitete Sein in
den zwei Hauptformen des Objekts und Subjekts, der
Natur und des Geistes; die Sache der Philosophie ist es,
diese beiden Seiten denkend zu vermitteln, das Abge¬
leitete aus dem Ursprünglichen, Geist und Natur aus
dem Absoluten zu erklären.

Geistvoll, aber mit mangelhafter Methode, unter
unruhigem Wechsel der wissenschaftlichen Form und des
Ausdrucks, versuchte sich Schelling an dieser Er¬
klärung; Hegel unternahm es, die gleiche Aufgabe in
geduldiger Arbeit des Gedankens mit systematischer
Strenge und Vollständigkeit zu lösen. Wenn sich das
absolute Wesen in Natur und Geist offenbart, so muss
die Nothwendigkeit dieser Offenbarung in ihm selbst

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="16"/>
empirische Ich, das Subjekt, welches im Gegensatz zum<lb/>
Objekt steht, von dem reinen oder absoluten Ich, welches<lb/>
diesem Gegensatz vorangeht und das Subjekt, wie das<lb/>
Objekt, als seine Erscheinungsform erst hervorbringt.<lb/>
Aber mit welchem Recht, fragt <hi rendition="#g">Schelling</hi> nicht ohne<lb/>
Grund, kann dieses unendliche Wesen noch &#x201E;Ich&#x201C; genannt<lb/>
werden? Ich ist eben die selbstbewusste Persönlichkeit,<lb/>
das Subjekt; dasjenige, was sowohl Objekt als Subjekt<lb/>
ist, ist ebendamit weder Subjekt noch Objekt, es ist also<lb/>
auch nicht Ich, es ist nur das Absolute als solches. So<lb/>
bricht der Fichte'sche Begriff des absoluten Ich in der<lb/>
Mitte auseinander: auf die eine Seite stellt sich das<lb/>
Absolute, das weder Subjekt noch Objekt, weder Ich<lb/>
noch nicht-Ich, sondern nur ihre absolute Identität und<lb/>
Indifferenz ist; auf die andere das abgeleitete Sein in<lb/>
den zwei Hauptformen des Objekts und Subjekts, der<lb/>
Natur und des Geistes; die Sache der Philosophie ist es,<lb/>
diese beiden Seiten denkend zu vermitteln, das Abge¬<lb/>
leitete aus dem Ursprünglichen, Geist und Natur aus<lb/>
dem Absoluten zu erklären.</p><lb/>
        <p>Geistvoll, aber mit mangelhafter Methode, unter<lb/>
unruhigem Wechsel der wissenschaftlichen Form und des<lb/>
Ausdrucks, versuchte sich <hi rendition="#g">Schelling</hi> an dieser Er¬<lb/>
klärung; <hi rendition="#g">Hegel</hi> unternahm es, die gleiche Aufgabe in<lb/>
geduldiger Arbeit des Gedankens mit systematischer<lb/>
Strenge und Vollständigkeit zu lösen. Wenn sich das<lb/>
absolute Wesen in Natur und Geist offenbart, so muss<lb/>
die Nothwendigkeit dieser Offenbarung in ihm selbst<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0020] empirische Ich, das Subjekt, welches im Gegensatz zum Objekt steht, von dem reinen oder absoluten Ich, welches diesem Gegensatz vorangeht und das Subjekt, wie das Objekt, als seine Erscheinungsform erst hervorbringt. Aber mit welchem Recht, fragt Schelling nicht ohne Grund, kann dieses unendliche Wesen noch „Ich“ genannt werden? Ich ist eben die selbstbewusste Persönlichkeit, das Subjekt; dasjenige, was sowohl Objekt als Subjekt ist, ist ebendamit weder Subjekt noch Objekt, es ist also auch nicht Ich, es ist nur das Absolute als solches. So bricht der Fichte'sche Begriff des absoluten Ich in der Mitte auseinander: auf die eine Seite stellt sich das Absolute, das weder Subjekt noch Objekt, weder Ich noch nicht-Ich, sondern nur ihre absolute Identität und Indifferenz ist; auf die andere das abgeleitete Sein in den zwei Hauptformen des Objekts und Subjekts, der Natur und des Geistes; die Sache der Philosophie ist es, diese beiden Seiten denkend zu vermitteln, das Abge¬ leitete aus dem Ursprünglichen, Geist und Natur aus dem Absoluten zu erklären. Geistvoll, aber mit mangelhafter Methode, unter unruhigem Wechsel der wissenschaftlichen Form und des Ausdrucks, versuchte sich Schelling an dieser Er¬ klärung; Hegel unternahm es, die gleiche Aufgabe in geduldiger Arbeit des Gedankens mit systematischer Strenge und Vollständigkeit zu lösen. Wenn sich das absolute Wesen in Natur und Geist offenbart, so muss die Nothwendigkeit dieser Offenbarung in ihm selbst

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862/20
Zitationshilfe: Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862/20>, abgerufen am 22.11.2024.