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Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 1. [Braunschweig], [1763].

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Verwandlungen.

Wenn zur Gesellschaft nur die Lippen mit geklagt,
Und nie das Herz gewußt, was euer Mund gesagt.

Er sagt es; und ihr Fuß schlägt Wurzeln in die
Erde.

Sie wollen beyde fliehn, mit ängstlicher Geberde;
Allein der Arm wird grün, indem er Rettung bath;
Die Hand, die bittend fleht, wird in dem Flehn ein
Blatt.

Jhr dünngewordner Leib wird schon mit Rind umge-
ben,

Und beyde grünen noch bis diesen Tag, als Reben.
So oft in jedem Jahr die Trauerzeit erscheint,
Da sie, als Fräulein noch, Selindens Fall beweint;
So lassen sie, auch noch als Reben, Thränen fließen,
Und weinen, wie sonst oft, ob sie es gleich nicht wissen.
Selind ermuntert sich; mit blassem Angesicht,
Steht sie erschrocken auf, und sieht die Fräulein nicht.
Mit zarter Stimme ruft sie ihre holden Namen,
Aus

Verwandlungen.

Wenn zur Geſellſchaft nur die Lippen mit geklagt,
Und nie das Herz gewußt, was euer Mund geſagt.

Er ſagt es; und ihr Fuß ſchlaͤgt Wurzeln in die
Erde.

Sie wollen beyde fliehn, mit aͤngſtlicher Geberde;
Allein der Arm wird gruͤn, indem er Rettung bath;
Die Hand, die bittend fleht, wird in dem Flehn ein
Blatt.

Jhr duͤnngewordner Leib wird ſchon mit Rind umge-
ben,

Und beyde gruͤnen noch bis dieſen Tag, als Reben.
So oft in jedem Jahr die Trauerzeit erſcheint,
Da ſie, als Fraͤulein noch, Selindens Fall beweint;
So laſſen ſie, auch noch als Reben, Thraͤnen fließen,
Und weinen, wie ſonſt oft, ob ſie es gleich nicht wiſſen.
Selind ermuntert ſich; mit blaſſem Angeſicht,
Steht ſie erſchrocken auf, und ſieht die Fraͤulein nicht.
Mit zarter Stimme ruft ſie ihre holden Namen,
Aus
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[212/0276] Verwandlungen. Wenn zur Geſellſchaft nur die Lippen mit geklagt, Und nie das Herz gewußt, was euer Mund geſagt. Er ſagt es; und ihr Fuß ſchlaͤgt Wurzeln in die Erde. Sie wollen beyde fliehn, mit aͤngſtlicher Geberde; Allein der Arm wird gruͤn, indem er Rettung bath; Die Hand, die bittend fleht, wird in dem Flehn ein Blatt. Jhr duͤnngewordner Leib wird ſchon mit Rind umge- ben, Und beyde gruͤnen noch bis dieſen Tag, als Reben. So oft in jedem Jahr die Trauerzeit erſcheint, Da ſie, als Fraͤulein noch, Selindens Fall beweint; So laſſen ſie, auch noch als Reben, Thraͤnen fließen, Und weinen, wie ſonſt oft, ob ſie es gleich nicht wiſſen. Selind ermuntert ſich; mit blaſſem Angeſicht, Steht ſie erſchrocken auf, und ſieht die Fraͤulein nicht. Mit zarter Stimme ruft ſie ihre holden Namen, Aus

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Zitationshilfe: Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 1. [Braunschweig], [1763], S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften01_1763/276>, abgerufen am 24.11.2024.