Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 1. [Braunschweig], [1763].
Jetzt irrt er unruhvoll, und schwebt von Baum zu Baum; Mit unsichtbarem Fuß hüpft er auf grünen Matten, Wälzt sich durch hohes Gras, und lispelt in dem Schat- ten. Noch in dem Augenblick, da er die Veilchen küßt, Eilt er der Tulpe zu, weil sie erhabner ist. Von dar eilt er aufs neu zum Veilchenstock zurücke, Und liebt sie alle zwar, allein nur Augenblicke. Er kräuselt Gras und Laub, wie man sein Haar ge- krümmt. Die Seele, da man ihr den alten Körper nimmt, Thut, was sie sonst gethan; sie liebt so schnell im Winde, Wie
Jetzt irrt er unruhvoll, und ſchwebt von Baum zu Baum; Mit unſichtbarem Fuß huͤpft er auf gruͤnen Matten, Waͤlzt ſich durch hohes Gras, und liſpelt in dem Schat- ten. Noch in dem Augenblick, da er die Veilchen kuͤßt, Eilt er der Tulpe zu, weil ſie erhabner iſt. Von dar eilt er aufs neu zum Veilchenſtock zuruͤcke, Und liebt ſie alle zwar, allein nur Augenblicke. Er kraͤuſelt Gras und Laub, wie man ſein Haar ge- kruͤmmt. Die Seele, da man ihr den alten Koͤrper nimmt, Thut, was ſie ſonſt gethan; ſie liebt ſo ſchnell im Winde, Wie
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Verwandlungen.
Ach (dacht er) Charamund! was iſt mit dir geſchehn?
Wie? ſoll dich nun nicht mehr Selinde ſchimmern
ſehn?
Dreymal war er bemuͤht, Selinden noch zu nennen;
Dreymal haͤtt er geweint, haͤtt er nur weinen koͤnnen.
Zuletzt ſchoß er dahin in den bebluͤmten Raum.
Jetzt irrt er unruhvoll, und ſchwebt von Baum
zu Baum;
Mit unſichtbarem Fuß huͤpft er auf gruͤnen Matten,
Waͤlzt ſich durch hohes Gras, und liſpelt in dem Schat-
ten.
Noch in dem Augenblick, da er die Veilchen kuͤßt,
Eilt er der Tulpe zu, weil ſie erhabner iſt.
Von dar eilt er aufs neu zum Veilchenſtock zuruͤcke,
Und liebt ſie alle zwar, allein nur Augenblicke.
Er kraͤuſelt Gras und Laub, wie man ſein Haar ge-
kruͤmmt.
Die Seele, da man ihr den alten Koͤrper nimmt,
Thut, was ſie ſonſt gethan; ſie liebt ſo ſchnell im Winde,
Wie
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