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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Latente und specifische Wärme.
drei Fällen das Gesetz der Proportionalität mit der Temperatur, und werde also durch
eine gerade Linie dargestellt. Aus unsern frühern Erörterungen geht aber hervor,
dass das Gesetz nur von einer gewissen oberen, bereits dem gasförmigen Aggregat-
zustand zugehörigen Grenze an für alle Körper, dagegen für den festen und flüssigen
Zustand bei den meisten Körpern nur annähernd gültig ist. Während sich das Aus-
dehnungsgesetz der festen Körper noch sehr häufig der geraden Linie nähert, weicht
dagegen das Ausdehnungsgesetz der Flüssigkeiten um so mehr davon ab, je näher
man dem Siedepunkt kommt. Eine Ausnahme bildet natürlich auch hier das Wasser,
das ebenso rasch beim Uebergang in den festen Zustand sein Volum vergrössert, wie
die meisten andern Körper dasselbe vermindern. Ueber die Volumveränderung beim
Schmelzen fester Körper hat Kopp genaue Versuche angestellt. Er brachte die Kör-
per, die er zum Schmelzen bringen wollte, z. B. Phosphor, Schwefel, Stearin, in ein
Glasgefäss, das mit der geeigneten Flüssigkeit: Wasser oder Oel, gefüllt und oben
durch einen Kork verschlossen war, durch welchen eine feine Messröhre in das Gefäss
hinabreichte. Wurde nun das Gefäss im Oelbad auf eine bestimmte Temperatur er-
wärmt, so stieg die Flüssigkeit in der Messröhre in die Höhe, theils wegen ihrer
eigenen Ausdehnung theils wegen der Ausdehnung des in ihr enthaltenen festen Kör-
pers. War nun der Voluminhalt des Gefässes, der Ausdehnungscoefficient der Flüssig-
keit und derjenige des Glasgefässes ermittelt, so liess sich die Ausdehnung des herein-
gebrachten festen Körpers leicht aus der gemessenen Gesammtausdehnung berechnen.
Auf diese Weise fand Kopp, dass der Phosphor sehr annähernd dem in Fig. 190
dargestellten Gesetze folgt, während der Schwefel, sobald er flüssig geworden ist, sich
proportional der Temperatursteigerung, als fester Körper aber mit steigender Tempe-
ratur wachsend ausdehnt. Das Stearin zeigt diesseits des Schmelzpunktes, etwa bei
50°, eine rasche Volumänderung, indem es plötzlich zusammensintert, um dann noch-
mals schnell sein Volum zu vergrössern, worauf es bei 60° unter schneller Volumzu-
nahme flüssig wird.

Drittes Capitel.
Latente und specifische Wärme.

Der Uebergang der Körper aus einem Aggregatzustand in einen258
Begriff der la-
tenten Wärme.

andern ist regelmässig von Wärmeveränderungen begleitet. Wird ein
fester Körper flüssig oder ein flüssiger gasförmig, so verschwindet
Wärme: dagegen kommt, wenn ein Gas flüssig oder eine Flüssigkeit
fest wird, umgekehrt Wärme zum Vorschein. Diese Wärmeverän-
derung bei der Ueberführung aus einem Aggregatzustand in einen
andern ist für jeden Körper eine durchaus constante, und zwar wird,
wenn ein bestimmter Körper aus dem flüssigen in den festen Zustand
übergeht, genau ebenso viel Wärme frei, als beim Uebertritt aus dem
festen in den flüssigen Zustand gebunden wird; ebenso kommt die-
selbe Wärme, die erfordert wird, um eine Flüssigkeit in Gas zu
verwandeln, wieder zum Vorschein, sobald das Gas in den flüssi-
gen Zustand übergeht. Das Gesetz der Wärmeveränderungen beim
Wechsel des Aggregatzustandes lässt sich hiernach folgendermas-
sen formuliren: Wenn ein Körper in einen flüssigeren Aggregat-
zustand übergeht, so wird ebenso viel freie Wärme latent, als bei der

Latente und specifische Wärme.
drei Fällen das Gesetz der Proportionalität mit der Temperatur, und werde also durch
eine gerade Linie dargestellt. Aus unsern frühern Erörterungen geht aber hervor,
dass das Gesetz nur von einer gewissen oberen, bereits dem gasförmigen Aggregat-
zustand zugehörigen Grenze an für alle Körper, dagegen für den festen und flüssigen
Zustand bei den meisten Körpern nur annähernd gültig ist. Während sich das Aus-
dehnungsgesetz der festen Körper noch sehr häufig der geraden Linie nähert, weicht
dagegen das Ausdehnungsgesetz der Flüssigkeiten um so mehr davon ab, je näher
man dem Siedepunkt kommt. Eine Ausnahme bildet natürlich auch hier das Wasser,
das ebenso rasch beim Uebergang in den festen Zustand sein Volum vergrössert, wie
die meisten andern Körper dasselbe vermindern. Ueber die Volumveränderung beim
Schmelzen fester Körper hat Kopp genaue Versuche angestellt. Er brachte die Kör-
per, die er zum Schmelzen bringen wollte, z. B. Phosphor, Schwefel, Stearin, in ein
Glasgefäss, das mit der geeigneten Flüssigkeit: Wasser oder Oel, gefüllt und oben
durch einen Kork verschlossen war, durch welchen eine feine Messröhre in das Gefäss
hinabreichte. Wurde nun das Gefäss im Oelbad auf eine bestimmte Temperatur er-
wärmt, so stieg die Flüssigkeit in der Messröhre in die Höhe, theils wegen ihrer
eigenen Ausdehnung theils wegen der Ausdehnung des in ihr enthaltenen festen Kör-
pers. War nun der Voluminhalt des Gefässes, der Ausdehnungscoëfficient der Flüssig-
keit und derjenige des Glasgefässes ermittelt, so liess sich die Ausdehnung des herein-
gebrachten festen Körpers leicht aus der gemessenen Gesammtausdehnung berechnen.
Auf diese Weise fand Kopp, dass der Phosphor sehr annähernd dem in Fig. 190
dargestellten Gesetze folgt, während der Schwefel, sobald er flüssig geworden ist, sich
proportional der Temperatursteigerung, als fester Körper aber mit steigender Tempe-
ratur wachsend ausdehnt. Das Stearin zeigt diesseits des Schmelzpunktes, etwa bei
50°, eine rasche Volumänderung, indem es plötzlich zusammensintert, um dann noch-
mals schnell sein Volum zu vergrössern, worauf es bei 60° unter schneller Volumzu-
nahme flüssig wird.

Drittes Capitel.
Latente und specifische Wärme.

Der Uebergang der Körper aus einem Aggregatzustand in einen258
Begriff der la-
tenten Wärme.

andern ist regelmässig von Wärmeveränderungen begleitet. Wird ein
fester Körper flüssig oder ein flüssiger gasförmig, so verschwindet
Wärme: dagegen kommt, wenn ein Gas flüssig oder eine Flüssigkeit
fest wird, umgekehrt Wärme zum Vorschein. Diese Wärmeverän-
derung bei der Ueberführung aus einem Aggregatzustand in einen
andern ist für jeden Körper eine durchaus constante, und zwar wird,
wenn ein bestimmter Körper aus dem flüssigen in den festen Zustand
übergeht, genau ebenso viel Wärme frei, als beim Uebertritt aus dem
festen in den flüssigen Zustand gebunden wird; ebenso kommt die-
selbe Wärme, die erfordert wird, um eine Flüssigkeit in Gas zu
verwandeln, wieder zum Vorschein, sobald das Gas in den flüssi-
gen Zustand übergeht. Das Gesetz der Wärmeveränderungen beim
Wechsel des Aggregatzustandes lässt sich hiernach folgendermas-
sen formuliren: Wenn ein Körper in einen flüssigeren Aggregat-
zustand übergeht, so wird ebenso viel freie Wärme latent, als bei der

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[391/0413] Latente und specifische Wärme. drei Fällen das Gesetz der Proportionalität mit der Temperatur, und werde also durch eine gerade Linie dargestellt. Aus unsern frühern Erörterungen geht aber hervor, dass das Gesetz nur von einer gewissen oberen, bereits dem gasförmigen Aggregat- zustand zugehörigen Grenze an für alle Körper, dagegen für den festen und flüssigen Zustand bei den meisten Körpern nur annähernd gültig ist. Während sich das Aus- dehnungsgesetz der festen Körper noch sehr häufig der geraden Linie nähert, weicht dagegen das Ausdehnungsgesetz der Flüssigkeiten um so mehr davon ab, je näher man dem Siedepunkt kommt. Eine Ausnahme bildet natürlich auch hier das Wasser, das ebenso rasch beim Uebergang in den festen Zustand sein Volum vergrössert, wie die meisten andern Körper dasselbe vermindern. Ueber die Volumveränderung beim Schmelzen fester Körper hat Kopp genaue Versuche angestellt. Er brachte die Kör- per, die er zum Schmelzen bringen wollte, z. B. Phosphor, Schwefel, Stearin, in ein Glasgefäss, das mit der geeigneten Flüssigkeit: Wasser oder Oel, gefüllt und oben durch einen Kork verschlossen war, durch welchen eine feine Messröhre in das Gefäss hinabreichte. Wurde nun das Gefäss im Oelbad auf eine bestimmte Temperatur er- wärmt, so stieg die Flüssigkeit in der Messröhre in die Höhe, theils wegen ihrer eigenen Ausdehnung theils wegen der Ausdehnung des in ihr enthaltenen festen Kör- pers. War nun der Voluminhalt des Gefässes, der Ausdehnungscoëfficient der Flüssig- keit und derjenige des Glasgefässes ermittelt, so liess sich die Ausdehnung des herein- gebrachten festen Körpers leicht aus der gemessenen Gesammtausdehnung berechnen. Auf diese Weise fand Kopp, dass der Phosphor sehr annähernd dem in Fig. 190 dargestellten Gesetze folgt, während der Schwefel, sobald er flüssig geworden ist, sich proportional der Temperatursteigerung, als fester Körper aber mit steigender Tempe- ratur wachsend ausdehnt. Das Stearin zeigt diesseits des Schmelzpunktes, etwa bei 50°, eine rasche Volumänderung, indem es plötzlich zusammensintert, um dann noch- mals schnell sein Volum zu vergrössern, worauf es bei 60° unter schneller Volumzu- nahme flüssig wird. Drittes Capitel. Latente und specifische Wärme. Der Uebergang der Körper aus einem Aggregatzustand in einen andern ist regelmässig von Wärmeveränderungen begleitet. Wird ein fester Körper flüssig oder ein flüssiger gasförmig, so verschwindet Wärme: dagegen kommt, wenn ein Gas flüssig oder eine Flüssigkeit fest wird, umgekehrt Wärme zum Vorschein. Diese Wärmeverän- derung bei der Ueberführung aus einem Aggregatzustand in einen andern ist für jeden Körper eine durchaus constante, und zwar wird, wenn ein bestimmter Körper aus dem flüssigen in den festen Zustand übergeht, genau ebenso viel Wärme frei, als beim Uebertritt aus dem festen in den flüssigen Zustand gebunden wird; ebenso kommt die- selbe Wärme, die erfordert wird, um eine Flüssigkeit in Gas zu verwandeln, wieder zum Vorschein, sobald das Gas in den flüssi- gen Zustand übergeht. Das Gesetz der Wärmeveränderungen beim Wechsel des Aggregatzustandes lässt sich hiernach folgendermas- sen formuliren: Wenn ein Körper in einen flüssigeren Aggregat- zustand übergeht, so wird ebenso viel freie Wärme latent, als bei der 258 Begriff der la- tenten Wärme.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/413>, abgerufen am 19.11.2024.