Dem Princip der Erhaltung der Kraft lässt sich ein sehr einfacher mathemati- scher Ausdruck geben. Bezeichnen wir in dem obigen Beispiel der Uhr das Uhrge- wicht mit p, die Höhe, auf die es gezogen wird, mit h, so ist offenbar p. h, das Pro- duct des Gewichts in die gehobene Wegstrecke, der Ausdruck für die dem System anfangs mitgetheilte lebendige Kraft. Nennen wir nun in einem beliebigen Moment des Ablaufens der Uhr p' die Strecke, um die das Gewicht schon gesunken ist, und S die vorhandene Spannkraft, so ist p h = S + p h', d. h. die anfangs mitge- theilte lebendige Kraft ist = der Spannkraft + der schon verausgabten lebendigen Kraft. Da nun für jedes Bewegungssystem die anfangs mitgetheilte lebendige Kraft constant ist, so können wir die obige Gleichung auch schreiben S + p h' = Const., eine Gleichung, die offenbar unser Princip nur in einem mathematischen Symbol aus- drückt. Denken wir uns statt des Systems der Uhr das System aller Kräftewirkungen der Welt, so wird für diese die nämliche Gleichung gelten.
Es ist leicht ersichtlich, dass die physikalischen Gesetze, die wir12 Zusammenhang der allgemein- sten Naturge- setze. hier aufgeführt haben, in einem sehr innigen Zusammenhang mit ein- ander stehen, so dass sich keines derselben hinwegdenken liesse, ohne damit zugleich alle anderen zu gefährden. Der Satz von der Erhal- tung der Materie und der andere von der Erhaltung der Kraft sind eigentlich nur die Kehrseiten eines und desselben Princips. Die Ma- terie lernen wir nur kennen, insofern sie Kräfte ausübt. Eine Materie ohne Kraftäusserung ist ebenso eine Abstraction, der die Wirklichkeit nicht entspricht, wie eine Kraft, die an keine Materie gebunden ist. Ist aber die Materie nur das Substrat der Naturkräfte, so sind Con- stanz der Materie und Constanz der Kraft nothwendig an einander gebunden. Das Princip von der Erhaltung der Kraft führt ferner noth- wendig zu dem Princip von der geradlinigen Wirkung der Kräfte. Sobald man voraussetzte, dass andere als Centralkräfte in der Natur vorkämen, würde die Erhaltung der Kraft nicht mehr gültig sein. Ebenso stehen die Gesetze von der geradlinigen Wirkung, von der Zu- sammensetzung der Kräfte und von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung theils unter einander theils zu dem Gesetz der Erhal- tung der Kraft in inniger Wechselbeziehung.
Aus den hier aufgestellten allgemeinen Naturgesetzen ergeben13 Anwendung der erörterten Gese- tze auf die Er- scheinungen. sich die Gesetze der Bewegung, die bei der Einwirkung beliebiger Na- turkräfte zur Aeusserung kommen, als unmittelbare Folgerungen. Die Wissenschaft, welche diese Folgerungen entwickelt, ist die Mechanik. Da nun aber alles Geschehene in der Natur auf Bewegungen zurück- geführt werden kann, so kann auch die ganze Physik nur eine ange- wandte Mechanik sein. Doch ist der gegenwärtige Zustand der Wis- senschaft allerdings noch ziemlich weit von der Erreichung dieses Zieles entfernt. Die Ursache dieser Unvollkommenheit liegt hauptsäch- lich darin begründet, dass unsere physikalische Kenntniss der Materie und der zwischen den kleinsten Theilchen derselben wirksamen Kräfte noch eine hypothetische ist. Denn wenn auch die Sätze der Mechanik
Die allgemeinsten Naturgesetze.
Dem Princip der Erhaltung der Kraft lässt sich ein sehr einfacher mathemati- scher Ausdruck geben. Bezeichnen wir in dem obigen Beispiel der Uhr das Uhrge- wicht mit p, die Höhe, auf die es gezogen wird, mit h, so ist offenbar p. h, das Pro- duct des Gewichts in die gehobene Wegstrecke, der Ausdruck für die dem System anfangs mitgetheilte lebendige Kraft. Nennen wir nun in einem beliebigen Moment des Ablaufens der Uhr p' die Strecke, um die das Gewicht schon gesunken ist, und S die vorhandene Spannkraft, so ist p h = S + p h', d. h. die anfangs mitge- theilte lebendige Kraft ist = der Spannkraft + der schon verausgabten lebendigen Kraft. Da nun für jedes Bewegungssystem die anfangs mitgetheilte lebendige Kraft constant ist, so können wir die obige Gleichung auch schreiben S + p h' = Const., eine Gleichung, die offenbar unser Princip nur in einem mathematischen Symbol aus- drückt. Denken wir uns statt des Systems der Uhr das System aller Kräftewirkungen der Welt, so wird für diese die nämliche Gleichung gelten.
Es ist leicht ersichtlich, dass die physikalischen Gesetze, die wir12 Zusammenhang der allgemein- sten Naturge- setze. hier aufgeführt haben, in einem sehr innigen Zusammenhang mit ein- ander stehen, so dass sich keines derselben hinwegdenken liesse, ohne damit zugleich alle anderen zu gefährden. Der Satz von der Erhal- tung der Materie und der andere von der Erhaltung der Kraft sind eigentlich nur die Kehrseiten eines und desselben Princips. Die Ma- terie lernen wir nur kennen, insofern sie Kräfte ausübt. Eine Materie ohne Kraftäusserung ist ebenso eine Abstraction, der die Wirklichkeit nicht entspricht, wie eine Kraft, die an keine Materie gebunden ist. Ist aber die Materie nur das Substrat der Naturkräfte, so sind Con- stanz der Materie und Constanz der Kraft nothwendig an einander gebunden. Das Princip von der Erhaltung der Kraft führt ferner noth- wendig zu dem Princip von der geradlinigen Wirkung der Kräfte. Sobald man voraussetzte, dass andere als Centralkräfte in der Natur vorkämen, würde die Erhaltung der Kraft nicht mehr gültig sein. Ebenso stehen die Gesetze von der geradlinigen Wirkung, von der Zu- sammensetzung der Kräfte und von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung theils unter einander theils zu dem Gesetz der Erhal- tung der Kraft in inniger Wechselbeziehung.
Aus den hier aufgestellten allgemeinen Naturgesetzen ergeben13 Anwendung der erörterten Gese- tze auf die Er- scheinungen. sich die Gesetze der Bewegung, die bei der Einwirkung beliebiger Na- turkräfte zur Aeusserung kommen, als unmittelbare Folgerungen. Die Wissenschaft, welche diese Folgerungen entwickelt, ist die Mechanik. Da nun aber alles Geschehene in der Natur auf Bewegungen zurück- geführt werden kann, so kann auch die ganze Physik nur eine ange- wandte Mechanik sein. Doch ist der gegenwärtige Zustand der Wis- senschaft allerdings noch ziemlich weit von der Erreichung dieses Zieles entfernt. Die Ursache dieser Unvollkommenheit liegt hauptsäch- lich darin begründet, dass unsere physikalische Kenntniss der Materie und der zwischen den kleinsten Theilchen derselben wirksamen Kräfte noch eine hypothetische ist. Denn wenn auch die Sätze der Mechanik
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0035"n="13"/><fwplace="top"type="header">Die allgemeinsten Naturgesetze.</fw><lb/><p>Dem Princip der Erhaltung der Kraft lässt sich ein sehr einfacher mathemati-<lb/>
scher Ausdruck geben. Bezeichnen wir in dem obigen Beispiel der Uhr das Uhrge-<lb/>
wicht mit p, die Höhe, auf die es gezogen wird, mit h, so ist offenbar p. h, das Pro-<lb/>
duct des Gewichts in die gehobene Wegstrecke, der Ausdruck für die dem System<lb/>
anfangs mitgetheilte lebendige Kraft. Nennen wir nun in einem beliebigen Moment<lb/>
des Ablaufens der Uhr p' die Strecke, um die das Gewicht schon gesunken ist, und<lb/>
S die vorhandene Spannkraft, so ist p h = S + p h', d. h. die anfangs mitge-<lb/>
theilte lebendige Kraft ist = der Spannkraft + der schon verausgabten lebendigen<lb/>
Kraft. Da nun für jedes Bewegungssystem die anfangs mitgetheilte lebendige Kraft<lb/>
constant ist, so können wir die obige Gleichung auch schreiben S + p h' = Const.,<lb/>
eine Gleichung, die offenbar unser Princip nur in einem mathematischen Symbol aus-<lb/>
drückt. Denken wir uns statt des Systems der Uhr das System aller Kräftewirkungen<lb/>
der Welt, so wird für diese die nämliche Gleichung gelten.</p><lb/><p>Es ist leicht ersichtlich, dass die physikalischen Gesetze, die wir<noteplace="right">12<lb/>
Zusammenhang<lb/>
der allgemein-<lb/>
sten Naturge-<lb/>
setze.</note><lb/>
hier aufgeführt haben, in einem sehr innigen Zusammenhang mit ein-<lb/>
ander stehen, so dass sich keines derselben hinwegdenken liesse, ohne<lb/>
damit zugleich alle anderen zu gefährden. Der Satz von der Erhal-<lb/>
tung der Materie und der andere von der Erhaltung der Kraft sind<lb/>
eigentlich nur die Kehrseiten eines und desselben Princips. Die Ma-<lb/>
terie lernen wir nur kennen, insofern sie Kräfte ausübt. Eine Materie<lb/>
ohne Kraftäusserung ist ebenso eine Abstraction, der die Wirklichkeit<lb/>
nicht entspricht, wie eine Kraft, die an keine Materie gebunden ist.<lb/>
Ist aber die Materie nur das Substrat der Naturkräfte, so sind Con-<lb/>
stanz der Materie und Constanz der Kraft nothwendig an einander<lb/>
gebunden. Das Princip von der Erhaltung der Kraft führt ferner noth-<lb/>
wendig zu dem Princip von der geradlinigen Wirkung der Kräfte.<lb/>
Sobald man voraussetzte, dass andere als Centralkräfte in der Natur<lb/>
vorkämen, würde die Erhaltung der Kraft nicht mehr gültig sein.<lb/>
Ebenso stehen die Gesetze von der geradlinigen Wirkung, von der Zu-<lb/>
sammensetzung der Kräfte und von der Gleichheit der Wirkung und<lb/>
Gegenwirkung theils unter einander theils zu dem Gesetz der Erhal-<lb/>
tung der Kraft in inniger Wechselbeziehung.</p><lb/><p>Aus den hier aufgestellten allgemeinen Naturgesetzen ergeben<noteplace="right">13<lb/>
Anwendung der<lb/>
erörterten Gese-<lb/>
tze auf die Er-<lb/>
scheinungen.</note><lb/>
sich die Gesetze der Bewegung, die bei der Einwirkung beliebiger Na-<lb/>
turkräfte zur Aeusserung kommen, als unmittelbare Folgerungen. Die<lb/>
Wissenschaft, welche diese Folgerungen entwickelt, ist die <hirendition="#g">Mechanik</hi>.<lb/>
Da nun aber alles Geschehene in der Natur auf Bewegungen zurück-<lb/>
geführt werden kann, so kann auch die ganze Physik nur eine ange-<lb/>
wandte Mechanik sein. Doch ist der gegenwärtige Zustand der Wis-<lb/>
senschaft allerdings noch ziemlich weit von der Erreichung dieses<lb/>
Zieles entfernt. Die Ursache dieser Unvollkommenheit liegt hauptsäch-<lb/>
lich darin begründet, dass unsere physikalische Kenntniss der <hirendition="#g">Materie</hi><lb/>
und der zwischen den kleinsten Theilchen derselben wirksamen Kräfte<lb/>
noch eine hypothetische ist. Denn wenn auch die Sätze der Mechanik<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[13/0035]
Die allgemeinsten Naturgesetze.
Dem Princip der Erhaltung der Kraft lässt sich ein sehr einfacher mathemati-
scher Ausdruck geben. Bezeichnen wir in dem obigen Beispiel der Uhr das Uhrge-
wicht mit p, die Höhe, auf die es gezogen wird, mit h, so ist offenbar p. h, das Pro-
duct des Gewichts in die gehobene Wegstrecke, der Ausdruck für die dem System
anfangs mitgetheilte lebendige Kraft. Nennen wir nun in einem beliebigen Moment
des Ablaufens der Uhr p' die Strecke, um die das Gewicht schon gesunken ist, und
S die vorhandene Spannkraft, so ist p h = S + p h', d. h. die anfangs mitge-
theilte lebendige Kraft ist = der Spannkraft + der schon verausgabten lebendigen
Kraft. Da nun für jedes Bewegungssystem die anfangs mitgetheilte lebendige Kraft
constant ist, so können wir die obige Gleichung auch schreiben S + p h' = Const.,
eine Gleichung, die offenbar unser Princip nur in einem mathematischen Symbol aus-
drückt. Denken wir uns statt des Systems der Uhr das System aller Kräftewirkungen
der Welt, so wird für diese die nämliche Gleichung gelten.
Es ist leicht ersichtlich, dass die physikalischen Gesetze, die wir
hier aufgeführt haben, in einem sehr innigen Zusammenhang mit ein-
ander stehen, so dass sich keines derselben hinwegdenken liesse, ohne
damit zugleich alle anderen zu gefährden. Der Satz von der Erhal-
tung der Materie und der andere von der Erhaltung der Kraft sind
eigentlich nur die Kehrseiten eines und desselben Princips. Die Ma-
terie lernen wir nur kennen, insofern sie Kräfte ausübt. Eine Materie
ohne Kraftäusserung ist ebenso eine Abstraction, der die Wirklichkeit
nicht entspricht, wie eine Kraft, die an keine Materie gebunden ist.
Ist aber die Materie nur das Substrat der Naturkräfte, so sind Con-
stanz der Materie und Constanz der Kraft nothwendig an einander
gebunden. Das Princip von der Erhaltung der Kraft führt ferner noth-
wendig zu dem Princip von der geradlinigen Wirkung der Kräfte.
Sobald man voraussetzte, dass andere als Centralkräfte in der Natur
vorkämen, würde die Erhaltung der Kraft nicht mehr gültig sein.
Ebenso stehen die Gesetze von der geradlinigen Wirkung, von der Zu-
sammensetzung der Kräfte und von der Gleichheit der Wirkung und
Gegenwirkung theils unter einander theils zu dem Gesetz der Erhal-
tung der Kraft in inniger Wechselbeziehung.
12
Zusammenhang
der allgemein-
sten Naturge-
setze.
Aus den hier aufgestellten allgemeinen Naturgesetzen ergeben
sich die Gesetze der Bewegung, die bei der Einwirkung beliebiger Na-
turkräfte zur Aeusserung kommen, als unmittelbare Folgerungen. Die
Wissenschaft, welche diese Folgerungen entwickelt, ist die Mechanik.
Da nun aber alles Geschehene in der Natur auf Bewegungen zurück-
geführt werden kann, so kann auch die ganze Physik nur eine ange-
wandte Mechanik sein. Doch ist der gegenwärtige Zustand der Wis-
senschaft allerdings noch ziemlich weit von der Erreichung dieses
Zieles entfernt. Die Ursache dieser Unvollkommenheit liegt hauptsäch-
lich darin begründet, dass unsere physikalische Kenntniss der Materie
und der zwischen den kleinsten Theilchen derselben wirksamen Kräfte
noch eine hypothetische ist. Denn wenn auch die Sätze der Mechanik
13
Anwendung der
erörterten Gese-
tze auf die Er-
scheinungen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/35>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.