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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Schwere.
III. Physik der Gase.
Elftes Capitel.
Vom gasförmigen Aggregatzustand.

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Expansivkraft.
Absolutes und
speeifisches Ge-
wicht der Gase.

Den gasförmigen Aggregatzustand haben wir als den-
jenigen bezeichnet, in welchem die abstossenden Kräfte der Atome
über die anziehenden Kräfte derselben überwiegen. (S. §. 15.) Die Gase
haben daher mit den tropfbaren Flüssigkeiten die allseitige Beweg-
lichkeit ihrer Theilchen gemein; auch sie fügen sich jedem Raum an
und besitzen nicht wie die festen Körper eine bestimmte Form. Sie
unterscheiden sich aber dadurch wesentlich von den tropfbaren Flüs-
sigkeiten, dass sie wegen jener abstossenden Wirkung, die zwischen
ihren Theilchen stattfindet, auch kein bestimmtes Volumen besitzen,
sondern so weit sich zu verbreiten streben, als der Raum, in welchem
sie sich befinden, es immer gestattet. Diese Eigenschaft sich auszu-
dehnen, so lange kein äusserer Widerstand es verhindert, nennt man
die Expansivkraft der Gase.

In Folge der allseitigen Beweglichkeit der Gastheilchen pflanzt
sich in einem Gas, ebenso wie in einer Flüssigkeit, der Druck nach
allen Richtungen gleichmässig fort. Hat man also z. B. ein Gas in
einem Gefässe eingeschlossen, und übt man an irgend einer Stelle
einen Druck auf das Gas aus, so steht der ganze Inhalt des Gefässes
und jeder Theil seiner Wandung unter dem entsprechenden Druck.
Ebenso üben die Theilchen eines in einem Raum enthaltenen Gases ver-
möge ihrer Schwere gegenseitig einen Druck auf einander aus. Jede
beliebige Gasschichte erfährt daher einen Druck, der gleich ist dem Ge-
wicht der ganzen über ihr befindlichen Gassäule. So ist jede Stelle
unserer Erdoberfläche fortwährend von dem ganzen Gewicht der Luft-
säule belastet, die sich über dieser Stelle befindet.

Die Gase besitzen demnach wie alle Körper Schwere: ihrem
Streben zur Erde zu fallen wirkt aber bis zu einem gewissen Grade
ihre Expansivkraft entgegen, welche, da sie auf den mit abnehmender
Entfernung wachsenden Abstossungskräften zwischen den einzelnen
Gastheilchen beruht, diesen nur so weit sich einander zu nähern ge-
stattet, bis die abstossende Kraft und der durch die Schwere erzeugte
Druck mit einander im Gleichgewicht stehen. Die Wärme erhöht die
abstossende Kraft der Gastheilchen, ein äusserer Druck unterstützt
umgekehrt die Wirkung der Schwere. Aus diesem Grunde ist das
specifische Gewicht der Gase je nach Wärme und Druck sehr
veränderlich, indem dasselbe bei Erhöhung der Temperatur rasch ab-
nimmt und bei Vermehrung des Drucks bedeutend zunimmt. Desshalb
muss man bei den Gasen noch mehr als bei den Flüssigkeiten und

Von der Schwere.
III. Physik der Gase.
Elftes Capitel.
Vom gasförmigen Aggregatzustand.

93
Expansivkraft.
Absolutes und
speeifisches Ge-
wicht der Gase.

Den gasförmigen Aggregatzustand haben wir als den-
jenigen bezeichnet, in welchem die abstossenden Kräfte der Atome
über die anziehenden Kräfte derselben überwiegen. (S. §. 15.) Die Gase
haben daher mit den tropfbaren Flüssigkeiten die allseitige Beweg-
lichkeit ihrer Theilchen gemein; auch sie fügen sich jedem Raum an
und besitzen nicht wie die festen Körper eine bestimmte Form. Sie
unterscheiden sich aber dadurch wesentlich von den tropfbaren Flüs-
sigkeiten, dass sie wegen jener abstossenden Wirkung, die zwischen
ihren Theilchen stattfindet, auch kein bestimmtes Volumen besitzen,
sondern so weit sich zu verbreiten streben, als der Raum, in welchem
sie sich befinden, es immer gestattet. Diese Eigenschaft sich auszu-
dehnen, so lange kein äusserer Widerstand es verhindert, nennt man
die Expansivkraft der Gase.

In Folge der allseitigen Beweglichkeit der Gastheilchen pflanzt
sich in einem Gas, ebenso wie in einer Flüssigkeit, der Druck nach
allen Richtungen gleichmässig fort. Hat man also z. B. ein Gas in
einem Gefässe eingeschlossen, und übt man an irgend einer Stelle
einen Druck auf das Gas aus, so steht der ganze Inhalt des Gefässes
und jeder Theil seiner Wandung unter dem entsprechenden Druck.
Ebenso üben die Theilchen eines in einem Raum enthaltenen Gases ver-
möge ihrer Schwere gegenseitig einen Druck auf einander aus. Jede
beliebige Gasschichte erfährt daher einen Druck, der gleich ist dem Ge-
wicht der ganzen über ihr befindlichen Gassäule. So ist jede Stelle
unserer Erdoberfläche fortwährend von dem ganzen Gewicht der Luft-
säule belastet, die sich über dieser Stelle befindet.

Die Gase besitzen demnach wie alle Körper Schwere: ihrem
Streben zur Erde zu fallen wirkt aber bis zu einem gewissen Grade
ihre Expansivkraft entgegen, welche, da sie auf den mit abnehmender
Entfernung wachsenden Abstossungskräften zwischen den einzelnen
Gastheilchen beruht, diesen nur so weit sich einander zu nähern ge-
stattet, bis die abstossende Kraft und der durch die Schwere erzeugte
Druck mit einander im Gleichgewicht stehen. Die Wärme erhöht die
abstossende Kraft der Gastheilchen, ein äusserer Druck unterstützt
umgekehrt die Wirkung der Schwere. Aus diesem Grunde ist das
specifische Gewicht der Gase je nach Wärme und Druck sehr
veränderlich, indem dasselbe bei Erhöhung der Temperatur rasch ab-
nimmt und bei Vermehrung des Drucks bedeutend zunimmt. Desshalb
muss man bei den Gasen noch mehr als bei den Flüssigkeiten und

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[134/0156] Von der Schwere. III. Physik der Gase. Elftes Capitel. Vom gasförmigen Aggregatzustand. Den gasförmigen Aggregatzustand haben wir als den- jenigen bezeichnet, in welchem die abstossenden Kräfte der Atome über die anziehenden Kräfte derselben überwiegen. (S. §. 15.) Die Gase haben daher mit den tropfbaren Flüssigkeiten die allseitige Beweg- lichkeit ihrer Theilchen gemein; auch sie fügen sich jedem Raum an und besitzen nicht wie die festen Körper eine bestimmte Form. Sie unterscheiden sich aber dadurch wesentlich von den tropfbaren Flüs- sigkeiten, dass sie wegen jener abstossenden Wirkung, die zwischen ihren Theilchen stattfindet, auch kein bestimmtes Volumen besitzen, sondern so weit sich zu verbreiten streben, als der Raum, in welchem sie sich befinden, es immer gestattet. Diese Eigenschaft sich auszu- dehnen, so lange kein äusserer Widerstand es verhindert, nennt man die Expansivkraft der Gase. In Folge der allseitigen Beweglichkeit der Gastheilchen pflanzt sich in einem Gas, ebenso wie in einer Flüssigkeit, der Druck nach allen Richtungen gleichmässig fort. Hat man also z. B. ein Gas in einem Gefässe eingeschlossen, und übt man an irgend einer Stelle einen Druck auf das Gas aus, so steht der ganze Inhalt des Gefässes und jeder Theil seiner Wandung unter dem entsprechenden Druck. Ebenso üben die Theilchen eines in einem Raum enthaltenen Gases ver- möge ihrer Schwere gegenseitig einen Druck auf einander aus. Jede beliebige Gasschichte erfährt daher einen Druck, der gleich ist dem Ge- wicht der ganzen über ihr befindlichen Gassäule. So ist jede Stelle unserer Erdoberfläche fortwährend von dem ganzen Gewicht der Luft- säule belastet, die sich über dieser Stelle befindet. Die Gase besitzen demnach wie alle Körper Schwere: ihrem Streben zur Erde zu fallen wirkt aber bis zu einem gewissen Grade ihre Expansivkraft entgegen, welche, da sie auf den mit abnehmender Entfernung wachsenden Abstossungskräften zwischen den einzelnen Gastheilchen beruht, diesen nur so weit sich einander zu nähern ge- stattet, bis die abstossende Kraft und der durch die Schwere erzeugte Druck mit einander im Gleichgewicht stehen. Die Wärme erhöht die abstossende Kraft der Gastheilchen, ein äusserer Druck unterstützt umgekehrt die Wirkung der Schwere. Aus diesem Grunde ist das specifische Gewicht der Gase je nach Wärme und Druck sehr veränderlich, indem dasselbe bei Erhöhung der Temperatur rasch ab- nimmt und bei Vermehrung des Drucks bedeutend zunimmt. Desshalb muss man bei den Gasen noch mehr als bei den Flüssigkeiten und

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/156>, abgerufen am 19.11.2024.