Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Schwere.
sicht, weil hier bei weitem der grösste Theil der Oberfläche horizon-
tal ist. In den Capillarröhren a und c dagegen muss, da in diesen
die Wandschichte der Flüssigkeit einen grossen Theil der gan-
zen Oberfläche bildet, auch die Spannung der ganzen Oberfläche hier-
durch beträchtlich verändert werden. Es muss also die Oberflächen-
spannung in a kleiner als in b, in c muss sie grösser als in d sein.
Diese Unterschiede der Oberflächenspannung wirken der Gleichheit
des Drucks, welche vermöge der Schwere zwischen dem engen und
dem weiten Gefäss vorhanden wäre, entgegen. In der Capillarröhre
a, in welcher der Druck durch die geringere Oberflächenspannung
vermindert ist, steht also die Flüssigkeit höher als in c, in der Ca-
pillarröhre b, in welcher der Druck durch die grössere Oberflächen-
spannung vergrössert ist, steht die Flüssigkeit tiefer als in d. So
zeigt z. B. Wasser in einer Capillarröhre aus Glas das in A darge-
stellte, Quecksilber das in B dargestellte Verhalten. Die ähnliche Er-
scheinung beobachtet man, wenn man in eine Flüssigkeit zwei Platten
bringt, die sich in sehr geringer Entfernung von einander befinden.
Benetzt die Flüssigkeit die Substanz der Platten, so steigt sie
zwischen denselben in die Höhe, ist dagegen die Cohäsion der Flüs-
sigkeit grösser als die Adhäsion an den Platten, so steht sie zwi-
schen denselben unter der Höhe des Niveaus der äusseren Flüssigkeit.
Für die nämliche Flüssigkeit und die nämliche feste Substanz ist der
Höhenunterschied zwischen der einer Capillarwirkung unterworfenen
und der bloss unter dem Einfluss der Schwere stehenden Flüssigkeit
umgekehrt proportional dem Abstand der Platten oder bei der Anwen-
dung cylindrischer Capillarröhren umgekehrt proportional dem Halb-
messer der letzteren.


74
Lösung. Quel-
lung.

Wir haben die Erscheinungen der Capillarwirkung zurückgeführt
auf das Verhältniss der Adhäsion zwischen festen Körpern und
Flüssigkeiten zu der Cohäsion der Flüssigkeitstheilchen. Es kann
nun aber ferner vorkommen, dass die Anziehungskräfte, welche eine
Flüssigkeit auf einen festen Körper ausübt, über die Cohäsion des
festen Körpers selbst
überwiegen. Dieser Fall ist es, welcher
die Auflösung fester Körper in Flüssigkeiten bedingt. In einer Lö-
sung
sind die Molecüle des gelösten Körpers umgeben von den Mole-
cülen der lösenden Flüssigkeit, und das Ganze ist daher in den flüs-
sigen Aggregatzustand übergegangen. Nachdem eine Flüssigkeit eine
bestimmte Menge von Molecülen eines festen Körpers aufgenommen
hat, tritt Gleichgewicht zwischen den festen und flüssigen Molecülen
ein, und es können nun weitere Mengen des festen Körpers nicht mehr
gelöst werden. Man bezeichnet diese Grenze als die Sättigungs-
capacität
. Jede Flüssigkeit bedarf im Allgemeinen verschiedener
Mengen von den in ihr löslichen festen Körpern zu ihrer Sättigung. Zu-

Von der Schwere.
sicht, weil hier bei weitem der grösste Theil der Oberfläche horizon-
tal ist. In den Capillarröhren a und c dagegen muss, da in diesen
die Wandschichte der Flüssigkeit einen grossen Theil der gan-
zen Oberfläche bildet, auch die Spannung der ganzen Oberfläche hier-
durch beträchtlich verändert werden. Es muss also die Oberflächen-
spannung in a kleiner als in b, in c muss sie grösser als in d sein.
Diese Unterschiede der Oberflächenspannung wirken der Gleichheit
des Drucks, welche vermöge der Schwere zwischen dem engen und
dem weiten Gefäss vorhanden wäre, entgegen. In der Capillarröhre
a, in welcher der Druck durch die geringere Oberflächenspannung
vermindert ist, steht also die Flüssigkeit höher als in c, in der Ca-
pillarröhre b, in welcher der Druck durch die grössere Oberflächen-
spannung vergrössert ist, steht die Flüssigkeit tiefer als in d. So
zeigt z. B. Wasser in einer Capillarröhre aus Glas das in A darge-
stellte, Quecksilber das in B dargestellte Verhalten. Die ähnliche Er-
scheinung beobachtet man, wenn man in eine Flüssigkeit zwei Platten
bringt, die sich in sehr geringer Entfernung von einander befinden.
Benetzt die Flüssigkeit die Substanz der Platten, so steigt sie
zwischen denselben in die Höhe, ist dagegen die Cohäsion der Flüs-
sigkeit grösser als die Adhäsion an den Platten, so steht sie zwi-
schen denselben unter der Höhe des Niveaus der äusseren Flüssigkeit.
Für die nämliche Flüssigkeit und die nämliche feste Substanz ist der
Höhenunterschied zwischen der einer Capillarwirkung unterworfenen
und der bloss unter dem Einfluss der Schwere stehenden Flüssigkeit
umgekehrt proportional dem Abstand der Platten oder bei der Anwen-
dung cylindrischer Capillarröhren umgekehrt proportional dem Halb-
messer der letzteren.


74
Lösung. Quel-
lung.

Wir haben die Erscheinungen der Capillarwirkung zurückgeführt
auf das Verhältniss der Adhäsion zwischen festen Körpern und
Flüssigkeiten zu der Cohäsion der Flüssigkeitstheilchen. Es kann
nun aber ferner vorkommen, dass die Anziehungskräfte, welche eine
Flüssigkeit auf einen festen Körper ausübt, über die Cohäsion des
festen Körpers selbst
überwiegen. Dieser Fall ist es, welcher
die Auflösung fester Körper in Flüssigkeiten bedingt. In einer Lö-
sung
sind die Molecüle des gelösten Körpers umgeben von den Mole-
cülen der lösenden Flüssigkeit, und das Ganze ist daher in den flüs-
sigen Aggregatzustand übergegangen. Nachdem eine Flüssigkeit eine
bestimmte Menge von Molecülen eines festen Körpers aufgenommen
hat, tritt Gleichgewicht zwischen den festen und flüssigen Molecülen
ein, und es können nun weitere Mengen des festen Körpers nicht mehr
gelöst werden. Man bezeichnet diese Grenze als die Sättigungs-
capacität
. Jede Flüssigkeit bedarf im Allgemeinen verschiedener
Mengen von den in ihr löslichen festen Körpern zu ihrer Sättigung. Zu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0126" n="104"/><fw place="top" type="header">Von der Schwere.</fw><lb/>
sicht, weil hier bei weitem der grösste Theil der Oberfläche horizon-<lb/>
tal ist. In den Capillarröhren a und c dagegen muss, da in diesen<lb/>
die Wandschichte der Flüssigkeit einen grossen Theil der gan-<lb/>
zen Oberfläche bildet, auch die Spannung der ganzen Oberfläche hier-<lb/>
durch beträchtlich verändert werden. Es muss also die Oberflächen-<lb/>
spannung in a kleiner als in b, in c muss sie grösser als in d sein.<lb/>
Diese Unterschiede der Oberflächenspannung wirken der Gleichheit<lb/>
des Drucks, welche vermöge der Schwere zwischen dem engen und<lb/>
dem weiten Gefäss vorhanden wäre, entgegen. In der Capillarröhre<lb/>
a, in welcher der Druck durch die geringere Oberflächenspannung<lb/>
vermindert ist, steht also die Flüssigkeit höher als in c, in der Ca-<lb/>
pillarröhre b, in welcher der Druck durch die grössere Oberflächen-<lb/>
spannung vergrössert ist, steht die Flüssigkeit tiefer als in d. So<lb/>
zeigt z. B. Wasser in einer Capillarröhre aus Glas das in A darge-<lb/>
stellte, Quecksilber das in B dargestellte Verhalten. Die ähnliche Er-<lb/>
scheinung beobachtet man, wenn man in eine Flüssigkeit zwei Platten<lb/>
bringt, die sich in sehr geringer Entfernung von einander befinden.<lb/>
Benetzt die Flüssigkeit die Substanz der Platten, so steigt sie<lb/>
zwischen denselben in die Höhe, ist dagegen die Cohäsion der Flüs-<lb/>
sigkeit grösser als die Adhäsion an den Platten, so steht sie zwi-<lb/>
schen denselben unter der Höhe des Niveaus der äusseren Flüssigkeit.<lb/>
Für die nämliche Flüssigkeit und die nämliche feste Substanz ist der<lb/>
Höhenunterschied zwischen der einer Capillarwirkung unterworfenen<lb/>
und der bloss unter dem Einfluss der Schwere stehenden Flüssigkeit<lb/>
umgekehrt proportional dem Abstand der Platten oder bei der Anwen-<lb/>
dung cylindrischer Capillarröhren umgekehrt proportional dem Halb-<lb/>
messer der letzteren.</p><lb/>
            <note place="left">74<lb/>
Lösung. Quel-<lb/>
lung.</note>
            <p>Wir haben die Erscheinungen der Capillarwirkung zurückgeführt<lb/>
auf das Verhältniss der <hi rendition="#g">Adhäsion</hi> zwischen festen Körpern und<lb/>
Flüssigkeiten zu der <hi rendition="#g">Cohäsion</hi> der Flüssigkeitstheilchen. Es kann<lb/>
nun aber ferner vorkommen, dass die Anziehungskräfte, welche eine<lb/>
Flüssigkeit auf einen festen Körper ausübt, über die <hi rendition="#g">Cohäsion des<lb/>
festen Körpers selbst</hi> überwiegen. Dieser Fall ist es, welcher<lb/>
die <hi rendition="#g">Auflösung</hi> fester Körper in Flüssigkeiten bedingt. In einer <hi rendition="#g">Lö-<lb/>
sung</hi> sind die Molecüle des gelösten Körpers umgeben von den Mole-<lb/>
cülen der lösenden Flüssigkeit, und das Ganze ist daher in den flüs-<lb/>
sigen Aggregatzustand übergegangen. Nachdem eine Flüssigkeit eine<lb/>
bestimmte Menge von Molecülen eines festen Körpers aufgenommen<lb/>
hat, tritt Gleichgewicht zwischen den festen und flüssigen Molecülen<lb/>
ein, und es können nun weitere Mengen des festen Körpers nicht mehr<lb/>
gelöst werden. Man bezeichnet diese Grenze als die <hi rendition="#g">Sättigungs-<lb/>
capacität</hi>. Jede Flüssigkeit bedarf im Allgemeinen verschiedener<lb/>
Mengen von den in ihr löslichen festen Körpern zu ihrer Sättigung. Zu-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0126] Von der Schwere. sicht, weil hier bei weitem der grösste Theil der Oberfläche horizon- tal ist. In den Capillarröhren a und c dagegen muss, da in diesen die Wandschichte der Flüssigkeit einen grossen Theil der gan- zen Oberfläche bildet, auch die Spannung der ganzen Oberfläche hier- durch beträchtlich verändert werden. Es muss also die Oberflächen- spannung in a kleiner als in b, in c muss sie grösser als in d sein. Diese Unterschiede der Oberflächenspannung wirken der Gleichheit des Drucks, welche vermöge der Schwere zwischen dem engen und dem weiten Gefäss vorhanden wäre, entgegen. In der Capillarröhre a, in welcher der Druck durch die geringere Oberflächenspannung vermindert ist, steht also die Flüssigkeit höher als in c, in der Ca- pillarröhre b, in welcher der Druck durch die grössere Oberflächen- spannung vergrössert ist, steht die Flüssigkeit tiefer als in d. So zeigt z. B. Wasser in einer Capillarröhre aus Glas das in A darge- stellte, Quecksilber das in B dargestellte Verhalten. Die ähnliche Er- scheinung beobachtet man, wenn man in eine Flüssigkeit zwei Platten bringt, die sich in sehr geringer Entfernung von einander befinden. Benetzt die Flüssigkeit die Substanz der Platten, so steigt sie zwischen denselben in die Höhe, ist dagegen die Cohäsion der Flüs- sigkeit grösser als die Adhäsion an den Platten, so steht sie zwi- schen denselben unter der Höhe des Niveaus der äusseren Flüssigkeit. Für die nämliche Flüssigkeit und die nämliche feste Substanz ist der Höhenunterschied zwischen der einer Capillarwirkung unterworfenen und der bloss unter dem Einfluss der Schwere stehenden Flüssigkeit umgekehrt proportional dem Abstand der Platten oder bei der Anwen- dung cylindrischer Capillarröhren umgekehrt proportional dem Halb- messer der letzteren. Wir haben die Erscheinungen der Capillarwirkung zurückgeführt auf das Verhältniss der Adhäsion zwischen festen Körpern und Flüssigkeiten zu der Cohäsion der Flüssigkeitstheilchen. Es kann nun aber ferner vorkommen, dass die Anziehungskräfte, welche eine Flüssigkeit auf einen festen Körper ausübt, über die Cohäsion des festen Körpers selbst überwiegen. Dieser Fall ist es, welcher die Auflösung fester Körper in Flüssigkeiten bedingt. In einer Lö- sung sind die Molecüle des gelösten Körpers umgeben von den Mole- cülen der lösenden Flüssigkeit, und das Ganze ist daher in den flüs- sigen Aggregatzustand übergegangen. Nachdem eine Flüssigkeit eine bestimmte Menge von Molecülen eines festen Körpers aufgenommen hat, tritt Gleichgewicht zwischen den festen und flüssigen Molecülen ein, und es können nun weitere Mengen des festen Körpers nicht mehr gelöst werden. Man bezeichnet diese Grenze als die Sättigungs- capacität. Jede Flüssigkeit bedarf im Allgemeinen verschiedener Mengen von den in ihr löslichen festen Körpern zu ihrer Sättigung. Zu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/126
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/126>, abgerufen am 05.12.2024.