vorgang in den Sinneselementen in irgend einem Grade mit der Qualität des Reizes variirt.
2) Der Satz der specifischen Energie widerspricht der Thatsache, dass in zahlreichen Sinnesgebieten der Mannig- faltigkeit der Empfindungsqualitäten eine entsprechende Mannigfaltigkeit der physiologischen Sinneselemente durch- aus nicht correspondirt. So können von einem einzigen Punkt der Netzhaut aus alle möglichen Licht- und Farben- empfindungen erregt werden; so finden wir im Geruchs- und Geschmacksorgan gar keine deutlich verschiedenen Formen von Sinneselementen; trotzdem können selbst beschränkte Theile dieser Sinnesflächen eine Mannigfaltigkeit von Empfin- dungen vermitteln, die namentlich beim Geruchssinn aus- nehmend groß ist. In solchen Fällen, wo man allen Grund hat anzunehmen, dass wirklich qualitativ verschiedene Empfin- dungen in verschiedenen Sinneselementen entstehen, wie beim Gehörssinn, weisen aber die Einrichtungen des Sinnesappa- rates darauf hin, dass diese Verschiedenheit nicht durch irgend eine Eigenschaft der Nervenfasern oder sonstiger Sinnesele- mente zu Stande kommt, sondern dass sie in der besonderen Lagerungsweise dieser ihren ursprünglichen Grund hat. Sind in der Schnecke des Gehörorgans die verschiedenen Theile der Grundmembran auf verschiedene Töne abgestimmt, so werden natürlich auch verschiedene Hörnervenfasern durch verschiedene Tonwellen gereizt. Aber dies ist nicht durch eine ursprüngliche räthselhafte Eigenschaft der einzelnen Hörnervenfasern, sondern nur durch die Art ihrer Verbin- dung mit den Aufnahmeapparaten bedingt.
3) Die Sinnesnerven und die centralen Sinneselemente können deshalb keine ursprüngliche specifische Energie be- sitzen, weil durch ihre Reizung nur dann die entsprechenden Empfindungen entstehen, wenn mindestens zuvor während einer zureichend langen Zeit die peripheren Sinnesorgane
I. Die psychischen Elemente.
vorgang in den Sinneselementen in irgend einem Grade mit der Qualität des Reizes variirt.
2) Der Satz der specifischen Energie widerspricht der Thatsache, dass in zahlreichen Sinnesgebieten der Mannig- faltigkeit der Empfindungsqualitäten eine entsprechende Mannigfaltigkeit der physiologischen Sinneselemente durch- aus nicht correspondirt. So können von einem einzigen Punkt der Netzhaut aus alle möglichen Licht- und Farben- empfindungen erregt werden; so finden wir im Geruchs- und Geschmacksorgan gar keine deutlich verschiedenen Formen von Sinneselementen; trotzdem können selbst beschränkte Theile dieser Sinnesflächen eine Mannigfaltigkeit von Empfin- dungen vermitteln, die namentlich beim Geruchssinn aus- nehmend groß ist. In solchen Fällen, wo man allen Grund hat anzunehmen, dass wirklich qualitativ verschiedene Empfin- dungen in verschiedenen Sinneselementen entstehen, wie beim Gehörssinn, weisen aber die Einrichtungen des Sinnesappa- rates darauf hin, dass diese Verschiedenheit nicht durch irgend eine Eigenschaft der Nervenfasern oder sonstiger Sinnesele- mente zu Stande kommt, sondern dass sie in der besonderen Lagerungsweise dieser ihren ursprünglichen Grund hat. Sind in der Schnecke des Gehörorgans die verschiedenen Theile der Grundmembran auf verschiedene Töne abgestimmt, so werden natürlich auch verschiedene Hörnervenfasern durch verschiedene Tonwellen gereizt. Aber dies ist nicht durch eine ursprüngliche räthselhafte Eigenschaft der einzelnen Hörnervenfasern, sondern nur durch die Art ihrer Verbin- dung mit den Aufnahmeapparaten bedingt.
3) Die Sinnesnerven und die centralen Sinneselemente können deshalb keine ursprüngliche specifische Energie be- sitzen, weil durch ihre Reizung nur dann die entsprechenden Empfindungen entstehen, wenn mindestens zuvor während einer zureichend langen Zeit die peripheren Sinnesorgane
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0068"n="52"/><fwplace="top"type="header">I. Die psychischen Elemente.</fw><lb/>
vorgang in den Sinneselementen in irgend einem Grade<lb/>
mit der Qualität des Reizes variirt.</p><lb/><p>2) Der Satz der specifischen Energie widerspricht der<lb/>
Thatsache, dass in zahlreichen Sinnesgebieten der Mannig-<lb/>
faltigkeit der Empfindungsqualitäten eine entsprechende<lb/>
Mannigfaltigkeit der physiologischen Sinneselemente durch-<lb/>
aus nicht correspondirt. So können von einem einzigen<lb/>
Punkt der Netzhaut aus alle möglichen Licht- und Farben-<lb/>
empfindungen erregt werden; so finden wir im Geruchs- und<lb/>
Geschmacksorgan gar keine deutlich verschiedenen Formen<lb/>
von Sinneselementen; trotzdem können selbst beschränkte<lb/>
Theile dieser Sinnesflächen eine Mannigfaltigkeit von Empfin-<lb/>
dungen vermitteln, die namentlich beim Geruchssinn aus-<lb/>
nehmend groß ist. In solchen Fällen, wo man allen Grund<lb/>
hat anzunehmen, dass wirklich qualitativ verschiedene Empfin-<lb/>
dungen in verschiedenen Sinneselementen entstehen, wie beim<lb/>
Gehörssinn, weisen aber die Einrichtungen des Sinnesappa-<lb/>
rates darauf hin, dass diese Verschiedenheit nicht durch irgend<lb/>
eine Eigenschaft der Nervenfasern oder sonstiger Sinnesele-<lb/>
mente zu Stande kommt, sondern dass sie in der besonderen<lb/>
Lagerungsweise dieser ihren ursprünglichen Grund hat. Sind<lb/>
in der Schnecke des Gehörorgans die verschiedenen Theile<lb/>
der Grundmembran auf verschiedene Töne abgestimmt, so<lb/>
werden natürlich auch verschiedene Hörnervenfasern durch<lb/>
verschiedene Tonwellen gereizt. Aber dies ist nicht durch<lb/>
eine ursprüngliche räthselhafte Eigenschaft der einzelnen<lb/>
Hörnervenfasern, sondern nur durch die Art ihrer Verbin-<lb/>
dung mit den Aufnahmeapparaten bedingt.</p><lb/><p>3) Die Sinnesnerven und die centralen Sinneselemente<lb/>
können deshalb keine ursprüngliche specifische Energie be-<lb/>
sitzen, weil durch ihre Reizung nur dann die entsprechenden<lb/>
Empfindungen entstehen, wenn mindestens zuvor während<lb/>
einer zureichend langen Zeit die peripheren Sinnesorgane<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[52/0068]
I. Die psychischen Elemente.
vorgang in den Sinneselementen in irgend einem Grade
mit der Qualität des Reizes variirt.
2) Der Satz der specifischen Energie widerspricht der
Thatsache, dass in zahlreichen Sinnesgebieten der Mannig-
faltigkeit der Empfindungsqualitäten eine entsprechende
Mannigfaltigkeit der physiologischen Sinneselemente durch-
aus nicht correspondirt. So können von einem einzigen
Punkt der Netzhaut aus alle möglichen Licht- und Farben-
empfindungen erregt werden; so finden wir im Geruchs- und
Geschmacksorgan gar keine deutlich verschiedenen Formen
von Sinneselementen; trotzdem können selbst beschränkte
Theile dieser Sinnesflächen eine Mannigfaltigkeit von Empfin-
dungen vermitteln, die namentlich beim Geruchssinn aus-
nehmend groß ist. In solchen Fällen, wo man allen Grund
hat anzunehmen, dass wirklich qualitativ verschiedene Empfin-
dungen in verschiedenen Sinneselementen entstehen, wie beim
Gehörssinn, weisen aber die Einrichtungen des Sinnesappa-
rates darauf hin, dass diese Verschiedenheit nicht durch irgend
eine Eigenschaft der Nervenfasern oder sonstiger Sinnesele-
mente zu Stande kommt, sondern dass sie in der besonderen
Lagerungsweise dieser ihren ursprünglichen Grund hat. Sind
in der Schnecke des Gehörorgans die verschiedenen Theile
der Grundmembran auf verschiedene Töne abgestimmt, so
werden natürlich auch verschiedene Hörnervenfasern durch
verschiedene Tonwellen gereizt. Aber dies ist nicht durch
eine ursprüngliche räthselhafte Eigenschaft der einzelnen
Hörnervenfasern, sondern nur durch die Art ihrer Verbin-
dung mit den Aufnahmeapparaten bedingt.
3) Die Sinnesnerven und die centralen Sinneselemente
können deshalb keine ursprüngliche specifische Energie be-
sitzen, weil durch ihre Reizung nur dann die entsprechenden
Empfindungen entstehen, wenn mindestens zuvor während
einer zureichend langen Zeit die peripheren Sinnesorgane
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/68>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.