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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 21. Die Entwicklung geistiger Gemeinschaften.
lichen Symbole analog und durchweg von ihm begleitet,
eine fortschreitende innere Umwandlung des Mythus möglich
macht. Bei diesem Vorgang gewinnen dann einzelne Dichter
und Denker einen wachsenden Einfluss.

Auf diese Weise vollzieht sich allmählich die Scheidung
des gesammten ursprünglichen Mythengehaltes in Wissen-
schaft (Philosophie) und Religion, während zugleich in der
letzteren die Naturgötter mehr und mehr ethischen Götter-
vorstellungen Platz machen, eine Scheidung an die überdies
bedeutungsvolle Wechselwirkungen beider Gebiete sich an-
schließen. Auch diese Erscheinungen müssen jedoch, da in
ihnen neben den allgemeinen psychologischen Gesetzen
besondere Culturbedingungen in Betracht kommen, der
Völkerpsychologie und Culturgeschichte vorbehalten bleiben.

C. Die Sitte.

11. An die Entwicklung des Mythus ist die der Sitte
in einer Weise gebunden, die durchaus dem Verhältniss der
inneren Motive zur äußeren Willenshandlung entspricht.
Ueberall wo wir den Ursprung uralter, weit verbreiteter
Sitten mit einiger Wahrscheinlichkeit erforschen können, da
verrathen sie sich als Reste oder Umwandlungsproducte
bestimmter Cultformen. So weisen der Leichenschmaus und
andere Bestattungsceremonien der Culturvölker auf den pri-
mitiven Ahnencultus, so zahlreiche an bestimmte Tage, an
den Wechsel der Jahreszeiten, an die Bestellung des Feldes
und die Ernte geknüpfte Feste oder Sitten auf einstige
Naturmythen hin; so verräth die Sitte des Grußes in ihren
mannigfachen Formen ihre directe Herkunft aus Gebets-
ceremonien u. s. w.

Daneben ist natürlich die Möglichkeit nicht ausge-
schlossen, dass auch andere Motive, namentlich solche der
praktischen Zweckmäßigkeit, zur Entstehung zunächst indi-

§ 21. Die Entwicklung geistiger Gemeinschaften.
lichen Symbole analog und durchweg von ihm begleitet,
eine fortschreitende innere Umwandlung des Mythus möglich
macht. Bei diesem Vorgang gewinnen dann einzelne Dichter
und Denker einen wachsenden Einfluss.

Auf diese Weise vollzieht sich allmählich die Scheidung
des gesammten ursprünglichen Mythengehaltes in Wissen-
schaft (Philosophie) und Religion, während zugleich in der
letzteren die Naturgötter mehr und mehr ethischen Götter-
vorstellungen Platz machen, eine Scheidung an die überdies
bedeutungsvolle Wechselwirkungen beider Gebiete sich an-
schließen. Auch diese Erscheinungen müssen jedoch, da in
ihnen neben den allgemeinen psychologischen Gesetzen
besondere Culturbedingungen in Betracht kommen, der
Völkerpsychologie und Culturgeschichte vorbehalten bleiben.

C. Die Sitte.

11. An die Entwicklung des Mythus ist die der Sitte
in einer Weise gebunden, die durchaus dem Verhältniss der
inneren Motive zur äußeren Willenshandlung entspricht.
Ueberall wo wir den Ursprung uralter, weit verbreiteter
Sitten mit einiger Wahrscheinlichkeit erforschen können, da
verrathen sie sich als Reste oder Umwandlungsproducte
bestimmter Cultformen. So weisen der Leichenschmaus und
andere Bestattungsceremonien der Culturvölker auf den pri-
mitiven Ahnencultus, so zahlreiche an bestimmte Tage, an
den Wechsel der Jahreszeiten, an die Bestellung des Feldes
und die Ernte geknüpfte Feste oder Sitten auf einstige
Naturmythen hin; so verräth die Sitte des Grußes in ihren
mannigfachen Formen ihre directe Herkunft aus Gebets-
ceremonien u. s. w.

Daneben ist natürlich die Möglichkeit nicht ausge-
schlossen, dass auch andere Motive, namentlich solche der
praktischen Zweckmäßigkeit, zur Entstehung zunächst indi-

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[359/0375] § 21. Die Entwicklung geistiger Gemeinschaften. lichen Symbole analog und durchweg von ihm begleitet, eine fortschreitende innere Umwandlung des Mythus möglich macht. Bei diesem Vorgang gewinnen dann einzelne Dichter und Denker einen wachsenden Einfluss. Auf diese Weise vollzieht sich allmählich die Scheidung des gesammten ursprünglichen Mythengehaltes in Wissen- schaft (Philosophie) und Religion, während zugleich in der letzteren die Naturgötter mehr und mehr ethischen Götter- vorstellungen Platz machen, eine Scheidung an die überdies bedeutungsvolle Wechselwirkungen beider Gebiete sich an- schließen. Auch diese Erscheinungen müssen jedoch, da in ihnen neben den allgemeinen psychologischen Gesetzen besondere Culturbedingungen in Betracht kommen, der Völkerpsychologie und Culturgeschichte vorbehalten bleiben. C. Die Sitte. 11. An die Entwicklung des Mythus ist die der Sitte in einer Weise gebunden, die durchaus dem Verhältniss der inneren Motive zur äußeren Willenshandlung entspricht. Ueberall wo wir den Ursprung uralter, weit verbreiteter Sitten mit einiger Wahrscheinlichkeit erforschen können, da verrathen sie sich als Reste oder Umwandlungsproducte bestimmter Cultformen. So weisen der Leichenschmaus und andere Bestattungsceremonien der Culturvölker auf den pri- mitiven Ahnencultus, so zahlreiche an bestimmte Tage, an den Wechsel der Jahreszeiten, an die Bestellung des Feldes und die Ernte geknüpfte Feste oder Sitten auf einstige Naturmythen hin; so verräth die Sitte des Grußes in ihren mannigfachen Formen ihre directe Herkunft aus Gebets- ceremonien u. s. w. Daneben ist natürlich die Möglichkeit nicht ausge- schlossen, dass auch andere Motive, namentlich solche der praktischen Zweckmäßigkeit, zur Entstehung zunächst indi-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/375>, abgerufen am 24.11.2024.