Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.IV. Die psychischen Entwicklungen. ruhen, ist eine eigenthümliche, dem naiven Bewusstsein über-all zukommende Art der Apperception anzusehen, die man als die personificirende Apperception bezeichnen kann. Sie besteht darin, dass die appercipirten Objecte ganz und gar durch die eigene Natur des wahrnehmenden Subjects bestimmt werden, so dass dieses nicht bloß seine Empfin- dungen, Affecte und willkürlichen Bewegungen in den Ob- jecten wiederfindet, sondern dass es insbesondere auch durch seinen augenblicklichen Gemüthszustand jeweils in der Auf- fassung der wahrgenommenen Erscheinungen bestimmt und zu Vorstellungen über die Beziehungen derselben zu dem eigenen Dasein veranlasst wird. In dieser Auffassung liegt dann von selbst, dass dem Object die persönlichen Eigen- schaften, die das Subject an sich selbst vorfindet, zu- geschrieben werden. Unter diesen Eigenschaften fehlen namentlich die inneren des Gefühls, Affects u. s. w. niemals, während die äußeren der willkürlichen Bewegung und sonstiger menschenähnlicher Lebensäußerungen meist von wirklich wahrgenommenen Bewegungen abhängen. So kann der Naturmensch Steinen, Pflanzen, Kunstobjecten ein inneres Empfinden und Fühlen und davon ausgehende Wirkungen zuschreiben; ein unmittelbares äußeres Handeln pflegt er aber nur bei bewegten Gegenständen, wie Wolken, Ge- stirnen, Winden u. dergl., vorauszusetzen. Begünstigt wird dabei in allen Fällen dieser Process durch associative Assi- milationen, die sich leicht zur phantastischen Illusion steigern können (S. 316). 8. Die mythische oder personificirende Form der Apper- IV. Die psychischen Entwicklungen. ruhen, ist eine eigenthümliche, dem naiven Bewusstsein über-all zukommende Art der Apperception anzusehen, die man als die personificirende Apperception bezeichnen kann. Sie besteht darin, dass die appercipirten Objecte ganz und gar durch die eigene Natur des wahrnehmenden Subjects bestimmt werden, so dass dieses nicht bloß seine Empfin- dungen, Affecte und willkürlichen Bewegungen in den Ob- jecten wiederfindet, sondern dass es insbesondere auch durch seinen augenblicklichen Gemüthszustand jeweils in der Auf- fassung der wahrgenommenen Erscheinungen bestimmt und zu Vorstellungen über die Beziehungen derselben zu dem eigenen Dasein veranlasst wird. In dieser Auffassung liegt dann von selbst, dass dem Object die persönlichen Eigen- schaften, die das Subject an sich selbst vorfindet, zu- geschrieben werden. Unter diesen Eigenschaften fehlen namentlich die inneren des Gefühls, Affects u. s. w. niemals, während die äußeren der willkürlichen Bewegung und sonstiger menschenähnlicher Lebensäußerungen meist von wirklich wahrgenommenen Bewegungen abhängen. So kann der Naturmensch Steinen, Pflanzen, Kunstobjecten ein inneres Empfinden und Fühlen und davon ausgehende Wirkungen zuschreiben; ein unmittelbares äußeres Handeln pflegt er aber nur bei bewegten Gegenständen, wie Wolken, Ge- stirnen, Winden u. dergl., vorauszusetzen. Begünstigt wird dabei in allen Fällen dieser Process durch associative Assi- milationen, die sich leicht zur phantastischen Illusion steigern können (S. 316). 8. Die mythische oder personificirende Form der Apper- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0372" n="356"/><fw place="top" type="header">IV. Die psychischen Entwicklungen.</fw><lb/> ruhen, ist eine eigenthümliche, dem naiven Bewusstsein über-<lb/> all zukommende Art der Apperception anzusehen, die man<lb/> als die <hi rendition="#g">personificirende</hi> Apperception bezeichnen kann.<lb/> Sie besteht darin, dass die appercipirten Objecte ganz und<lb/> gar durch die eigene Natur des wahrnehmenden Subjects<lb/> bestimmt werden, so dass dieses nicht bloß seine Empfin-<lb/> dungen, Affecte und willkürlichen Bewegungen in den Ob-<lb/> jecten wiederfindet, sondern dass es insbesondere auch durch<lb/> seinen augenblicklichen Gemüthszustand jeweils in der Auf-<lb/> fassung der wahrgenommenen Erscheinungen bestimmt und<lb/> zu Vorstellungen über die Beziehungen derselben zu dem<lb/> eigenen Dasein veranlasst wird. In dieser Auffassung liegt<lb/> dann von selbst, dass dem Object die <hi rendition="#g">persönlichen</hi> Eigen-<lb/> schaften, die das Subject an sich selbst vorfindet, zu-<lb/> geschrieben werden. Unter diesen Eigenschaften fehlen<lb/> namentlich die <hi rendition="#g">inneren</hi> des Gefühls, Affects u. s. w. niemals,<lb/> während die <hi rendition="#g">äußeren</hi> der willkürlichen Bewegung und<lb/> sonstiger menschenähnlicher Lebensäußerungen meist von<lb/> wirklich wahrgenommenen Bewegungen abhängen. So kann<lb/> der Naturmensch Steinen, Pflanzen, Kunstobjecten ein inneres<lb/> Empfinden und Fühlen und davon ausgehende Wirkungen<lb/> zuschreiben; ein unmittelbares äußeres Handeln pflegt er<lb/> aber nur bei bewegten Gegenständen, wie Wolken, Ge-<lb/> stirnen, Winden u. dergl., vorauszusetzen. Begünstigt wird<lb/> dabei in allen Fällen dieser Process durch associative Assi-<lb/> milationen, die sich leicht zur phantastischen Illusion<lb/> steigern können (S. 316).</p><lb/> <p>8. Die mythische oder personificirende Form der Apper-<lb/> ception ist nun nicht etwa als eine besondere oder gar<lb/> normwidrige Abart der Apperception überhaupt zu betrachten,<lb/> sondern sie ist die natürliche Anfangsstufe derselben. Das<lb/> Kind zeigt fortan deutliche Spuren einer solchen: sie ver-<lb/> rathen sich theils in der spielenden Phantasiethätigkeit (S. 314)<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [356/0372]
IV. Die psychischen Entwicklungen.
ruhen, ist eine eigenthümliche, dem naiven Bewusstsein über-
all zukommende Art der Apperception anzusehen, die man
als die personificirende Apperception bezeichnen kann.
Sie besteht darin, dass die appercipirten Objecte ganz und
gar durch die eigene Natur des wahrnehmenden Subjects
bestimmt werden, so dass dieses nicht bloß seine Empfin-
dungen, Affecte und willkürlichen Bewegungen in den Ob-
jecten wiederfindet, sondern dass es insbesondere auch durch
seinen augenblicklichen Gemüthszustand jeweils in der Auf-
fassung der wahrgenommenen Erscheinungen bestimmt und
zu Vorstellungen über die Beziehungen derselben zu dem
eigenen Dasein veranlasst wird. In dieser Auffassung liegt
dann von selbst, dass dem Object die persönlichen Eigen-
schaften, die das Subject an sich selbst vorfindet, zu-
geschrieben werden. Unter diesen Eigenschaften fehlen
namentlich die inneren des Gefühls, Affects u. s. w. niemals,
während die äußeren der willkürlichen Bewegung und
sonstiger menschenähnlicher Lebensäußerungen meist von
wirklich wahrgenommenen Bewegungen abhängen. So kann
der Naturmensch Steinen, Pflanzen, Kunstobjecten ein inneres
Empfinden und Fühlen und davon ausgehende Wirkungen
zuschreiben; ein unmittelbares äußeres Handeln pflegt er
aber nur bei bewegten Gegenständen, wie Wolken, Ge-
stirnen, Winden u. dergl., vorauszusetzen. Begünstigt wird
dabei in allen Fällen dieser Process durch associative Assi-
milationen, die sich leicht zur phantastischen Illusion
steigern können (S. 316).
8. Die mythische oder personificirende Form der Apper-
ception ist nun nicht etwa als eine besondere oder gar
normwidrige Abart der Apperception überhaupt zu betrachten,
sondern sie ist die natürliche Anfangsstufe derselben. Das
Kind zeigt fortan deutliche Spuren einer solchen: sie ver-
rathen sich theils in der spielenden Phantasiethätigkeit (S. 314)
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |