des Wollens, die den gemeinsamen Vorstellungen und den sie begleitenden Gefühlen und Affecten entsprechen, die Normen der Sitte.
A. Die Sprache.
3. Ueber die allgemeine Entwicklung der Sprache gibt uns ihre individuelle Entwicklung beim Kinde deshalb keine Rechenschaft, weil diese ein Vorgang ist, an dem die sprechende Umgebung überwiegend betheiligt ist (S. 312). Immerhin zeigt das Sprechenlernen des Kindes, dass bei ihm physische und psychische Anlagen der Mittheilung der Sprache begünstigend entgegenkommen. In der That lässt sich annehmen, dass diese Anlagen selbst dann, wenn die äußere Mittheilung unterbliebe, zu irgend welchen von Lauten begleiteten Ausdrucksbewegungen, führen müssten, welche die Bedeutung einer unvollkommenen Sprache be- säßen. Diese Vermuthung wird durch die Beobachtung der Taubstummen, namentlich solcher taubstummer Kinder be- stätigt, die ohne absichtlichen Unterricht aufwachsen, und zwischen denen sich trotzdem ein reger geistiger Verkehr entwickeln kann. Dieser beruht aber in solchem Falle, da der Taubstumme ausschließlich auf gesehene Zeichen an- gewiesen ist, in der natürlichen Entwicklung einer Ge- berdensprache, die sich aus bedeutungsvollen Ausdrucks- bewegungen zusammensetzt. Die Gefühle werden dabei im allgemeinen durch mimische, die Vorstellungen durch panto- mimische Zeichen ausgedrückt, indem mit dem Finger ent- weder auf die Vorstellungsobjecte hingewiesen oder ein ungefähres Bild der Vorstellung in der Luft gezeichnet wird: hinweisende und malende Geberden. (Vgl. S. 203.) Indem solche Zeichen, der Reihenfolge der Gedanken entsprechend, aneinandergefügt werden, entsteht sogar eine Art von Satz- bildung, mittelst deren Dinge beschrieben oder Ereignisse
IV. Die psychischen Entwicklungen.
des Wollens, die den gemeinsamen Vorstellungen und den sie begleitenden Gefühlen und Affecten entsprechen, die Normen der Sitte.
A. Die Sprache.
3. Ueber die allgemeine Entwicklung der Sprache gibt uns ihre individuelle Entwicklung beim Kinde deshalb keine Rechenschaft, weil diese ein Vorgang ist, an dem die sprechende Umgebung überwiegend betheiligt ist (S. 312). Immerhin zeigt das Sprechenlernen des Kindes, dass bei ihm physische und psychische Anlagen der Mittheilung der Sprache begünstigend entgegenkommen. In der That lässt sich annehmen, dass diese Anlagen selbst dann, wenn die äußere Mittheilung unterbliebe, zu irgend welchen von Lauten begleiteten Ausdrucksbewegungen, führen müssten, welche die Bedeutung einer unvollkommenen Sprache be- säßen. Diese Vermuthung wird durch die Beobachtung der Taubstummen, namentlich solcher taubstummer Kinder be- stätigt, die ohne absichtlichen Unterricht aufwachsen, und zwischen denen sich trotzdem ein reger geistiger Verkehr entwickeln kann. Dieser beruht aber in solchem Falle, da der Taubstumme ausschließlich auf gesehene Zeichen an- gewiesen ist, in der natürlichen Entwicklung einer Ge- berdensprache, die sich aus bedeutungsvollen Ausdrucks- bewegungen zusammensetzt. Die Gefühle werden dabei im allgemeinen durch mimische, die Vorstellungen durch panto- mimische Zeichen ausgedrückt, indem mit dem Finger ent- weder auf die Vorstellungsobjecte hingewiesen oder ein ungefähres Bild der Vorstellung in der Luft gezeichnet wird: hinweisende und malende Geberden. (Vgl. S. 203.) Indem solche Zeichen, der Reihenfolge der Gedanken entsprechend, aneinandergefügt werden, entsteht sogar eine Art von Satz- bildung, mittelst deren Dinge beschrieben oder Ereignisse
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IV. Die psychischen Entwicklungen.
des Wollens, die den gemeinsamen Vorstellungen und den
sie begleitenden Gefühlen und Affecten entsprechen, die
Normen der Sitte.
A. Die Sprache.
3. Ueber die allgemeine Entwicklung der Sprache
gibt uns ihre individuelle Entwicklung beim Kinde deshalb
keine Rechenschaft, weil diese ein Vorgang ist, an dem die
sprechende Umgebung überwiegend betheiligt ist (S. 312).
Immerhin zeigt das Sprechenlernen des Kindes, dass bei
ihm physische und psychische Anlagen der Mittheilung der
Sprache begünstigend entgegenkommen. In der That lässt
sich annehmen, dass diese Anlagen selbst dann, wenn die
äußere Mittheilung unterbliebe, zu irgend welchen von
Lauten begleiteten Ausdrucksbewegungen, führen müssten,
welche die Bedeutung einer unvollkommenen Sprache be-
säßen. Diese Vermuthung wird durch die Beobachtung der
Taubstummen, namentlich solcher taubstummer Kinder be-
stätigt, die ohne absichtlichen Unterricht aufwachsen, und
zwischen denen sich trotzdem ein reger geistiger Verkehr
entwickeln kann. Dieser beruht aber in solchem Falle, da
der Taubstumme ausschließlich auf gesehene Zeichen an-
gewiesen ist, in der natürlichen Entwicklung einer Ge-
berdensprache, die sich aus bedeutungsvollen Ausdrucks-
bewegungen zusammensetzt. Die Gefühle werden dabei im
allgemeinen durch mimische, die Vorstellungen durch panto-
mimische Zeichen ausgedrückt, indem mit dem Finger ent-
weder auf die Vorstellungsobjecte hingewiesen oder ein
ungefähres Bild der Vorstellung in der Luft gezeichnet wird:
hinweisende und malende Geberden. (Vgl. S. 203.) Indem
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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/366>, abgerufen am 28.11.2024.
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