Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.§ 20. Die psychische Entwicklung des Kindes. Nach allem dem beruht die Entwicklung der Sprache 9. Aus der Gesammtheit der erörteren einfacheren Ent- Zunächst vollziehen sich die Apperceptionsverbindungen § 20. Die psychische Entwicklung des Kindes. Nach allem dem beruht die Entwicklung der Sprache 9. Aus der Gesammtheit der erörteren einfacheren Ent- Zunächst vollziehen sich die Apperceptionsverbindungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0359" n="343"/> <fw place="top" type="header">§ 20. Die psychische Entwicklung des Kindes.</fw><lb/> <p>Nach allem dem beruht die Entwicklung der Sprache<lb/> auf einer Reihe von Associationen und Apperceptionen, an<lb/> deren Bildung das Kind und dessen sprechende Umgebung<lb/> gleichmäßig betheiligt sind. Mit gewissen, den natürlichen<lb/> Ausdruckslauten des Kindes entnommenen oder nach dem<lb/> Vorbild derselben frei erfundenen onomatopoetischen Wort-<lb/> bildungen bezeichnet der Erwachsene willkürlich bestimmte<lb/> Vorstellungen. Das Kind appercipirt diese ihm durch Ge-<lb/> berden verständlich gemachte Verbindung von Wort und<lb/> Vorstellung und associirt sie mit den imitativ erzeugten<lb/> eigenen Articulationsbewegungen. Nach dem Vorbild dieser<lb/> ersten Apperceptionen und Assocationen führt dann das Kind<lb/> andere aus, indem es mehr und mehr aus eigenem Antrieb<lb/> zufällig gehörte Wörter und Wortverbindungen aus der<lb/> Sprache der Erwachsenen nachahmt und die zugehörigen<lb/> Bedeutungsassociationen bildet. Der ganze Process der<lb/> Sprachentwicklung beruht demnach auf einer psychischen<lb/> Wechselwirkung zwischen dem Kinde und seiner redenden<lb/> Umgebung, bei welcher im Anfang dem Kinde ausschließlich<lb/> die Lautbildung, der Umgebung aber die sprachliche Ver-<lb/> wendung der kindlichen Laute zufällt.</p><lb/> <p>9. Aus der Gesammtheit der erörteren einfacheren Ent-<lb/> wicklungsvorgänge geht endlich die Entwicklung der <hi rendition="#g">zu-<lb/> sammengesetzten Functionen</hi> der <hi rendition="#g">Apperception</hi>, der<lb/> beziehenden und vergleichenden Thätigkeit und der aus<lb/> ihnen bestehenden Phantasie- und Verstandesfunctionen her-<lb/> vor (§ 17).</p><lb/> <p>Zunächst vollziehen sich die Apperceptionsverbindungen<lb/> ausschließlich in der Form der <hi rendition="#g">Phantasiethätigkeit</hi>, d. h.<lb/> als ein Verbinden, Zerlegen und Beziehen concreter sinn-<lb/> licher Vorstellungen. Die individuelle Entwicklung bestätigt<lb/> also das oben im allgemeinen über das genetische Verhält-<lb/> niss dieser Functionen Bemerkte (S. 313). Auf der Grundlage<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [343/0359]
§ 20. Die psychische Entwicklung des Kindes.
Nach allem dem beruht die Entwicklung der Sprache
auf einer Reihe von Associationen und Apperceptionen, an
deren Bildung das Kind und dessen sprechende Umgebung
gleichmäßig betheiligt sind. Mit gewissen, den natürlichen
Ausdruckslauten des Kindes entnommenen oder nach dem
Vorbild derselben frei erfundenen onomatopoetischen Wort-
bildungen bezeichnet der Erwachsene willkürlich bestimmte
Vorstellungen. Das Kind appercipirt diese ihm durch Ge-
berden verständlich gemachte Verbindung von Wort und
Vorstellung und associirt sie mit den imitativ erzeugten
eigenen Articulationsbewegungen. Nach dem Vorbild dieser
ersten Apperceptionen und Assocationen führt dann das Kind
andere aus, indem es mehr und mehr aus eigenem Antrieb
zufällig gehörte Wörter und Wortverbindungen aus der
Sprache der Erwachsenen nachahmt und die zugehörigen
Bedeutungsassociationen bildet. Der ganze Process der
Sprachentwicklung beruht demnach auf einer psychischen
Wechselwirkung zwischen dem Kinde und seiner redenden
Umgebung, bei welcher im Anfang dem Kinde ausschließlich
die Lautbildung, der Umgebung aber die sprachliche Ver-
wendung der kindlichen Laute zufällt.
9. Aus der Gesammtheit der erörteren einfacheren Ent-
wicklungsvorgänge geht endlich die Entwicklung der zu-
sammengesetzten Functionen der Apperception, der
beziehenden und vergleichenden Thätigkeit und der aus
ihnen bestehenden Phantasie- und Verstandesfunctionen her-
vor (§ 17).
Zunächst vollziehen sich die Apperceptionsverbindungen
ausschließlich in der Form der Phantasiethätigkeit, d. h.
als ein Verbinden, Zerlegen und Beziehen concreter sinn-
licher Vorstellungen. Die individuelle Entwicklung bestätigt
also das oben im allgemeinen über das genetische Verhält-
niss dieser Functionen Bemerkte (S. 313). Auf der Grundlage
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