als eine solche des Grades und der Zusammensetzung denn als eine solche der Art der psychologischen Processe aufzufassen.
Eine ganz besondere Schwierigkeit boten den älteren Rich- tungen der Psychologie, wie der Vermögenstheorie und den intellectualistischen Theorien (§ 2), die thierischen Instincte. Da der Versuch sie aus individuellen Bedingungen abzuleiten zu einer gar zu unwahrscheinlichen Schätzung der psychischen Lei- stungen, namentlich bei den verwickelteren Instincten, führte, so entschloss man sich vielfach, sie für unbegreiflich oder, was auf dasselbe hinauskam, für Wirkungen angeborener Vorstellungen u. dergl. zu erklären. Dieses "Räthsel des Instincts" hört auf ein principiell unlösbares zu sein, wenn man die Instincte, wie oben geschehen, als specielle Formen von Trieberscheinungen auffasst und mit den psychologisch verständlichen einfacheren Trieberscheinungen bei Thieren und Menschen in Parallele bringt, und wenn man an den namentlich beim Menschen leicht zu ver- folgenden Uebungserscheinungen, z. B. an der Einübung compli- cirter Bewegungen, wie des Clavierspielens, den Uebergang ur- sprünglich zusammengesetzter Willenshandlungen in trieb- und reflexartige Bewegungen verfolgt. (Vgl. hierzu S. 226 f.) Gegen diese Auffassung der Instincte ist eingewandt worden, die bei ihr vorausgesetzte Vererbung individuell erworbener Abänderungen lasse sich in der Erfahrung nicht nachweisen, da z. B. für die früher oft behauptete Vererbung von Verstümmlungen durchaus keine sicheren Beobachtungen beizubringen seien. Manche Bio- logen nehmen deshalb an, dass alle Eigenschaften der Organismen aus der Auslese, die durch das Ueberleben der den Naturbeding- ungen besser angepassten Individuen entstehe, also aus "äußerer Naturzüchtung" abzuleiten seien, und dass demnach nur diese äußere Naturzüchtung Veränderungen der Keimanlage hervor- bringen könne, die sich auf die Nachkommen vererben. Wenn nun auch zugegeben werden muss, dass eine von einem Indivi- duum erworbene Eigenschaft im allgemeinen noch keine Ver- erbungswirkung ausübt, so ist doch nicht einzusehen, warum Gewohnheiten des Handelns, die zwar indirect durch äußere Natur- bedingungen angeregt werden, zunächst aber auf den inneren psychophysischen Eigenschaften der Organismen selbst beruhen, nicht, falls sie Generationen hindurch geübt werden, gerade so gut Veränderungen der Keimanlage bewirken können wie die
§ 19. Die psychischen Eigenschaften der Thiere.
als eine solche des Grades und der Zusammensetzung denn als eine solche der Art der psychologischen Processe aufzufassen.
Eine ganz besondere Schwierigkeit boten den älteren Rich- tungen der Psychologie, wie der Vermögenstheorie und den intellectualistischen Theorien (§ 2), die thierischen Instincte. Da der Versuch sie aus individuellen Bedingungen abzuleiten zu einer gar zu unwahrscheinlichen Schätzung der psychischen Lei- stungen, namentlich bei den verwickelteren Instincten, führte, so entschloss man sich vielfach, sie für unbegreiflich oder, was auf dasselbe hinauskam, für Wirkungen angeborener Vorstellungen u. dergl. zu erklären. Dieses »Räthsel des Instincts« hört auf ein principiell unlösbares zu sein, wenn man die Instincte, wie oben geschehen, als specielle Formen von Trieberscheinungen auffasst und mit den psychologisch verständlichen einfacheren Trieberscheinungen bei Thieren und Menschen in Parallele bringt, und wenn man an den namentlich beim Menschen leicht zu ver- folgenden Uebungserscheinungen, z. B. an der Einübung compli- cirter Bewegungen, wie des Clavierspielens, den Uebergang ur- sprünglich zusammengesetzter Willenshandlungen in trieb- und reflexartige Bewegungen verfolgt. (Vgl. hierzu S. 226 f.) Gegen diese Auffassung der Instincte ist eingewandt worden, die bei ihr vorausgesetzte Vererbung individuell erworbener Abänderungen lasse sich in der Erfahrung nicht nachweisen, da z. B. für die früher oft behauptete Vererbung von Verstümmlungen durchaus keine sicheren Beobachtungen beizubringen seien. Manche Bio- logen nehmen deshalb an, dass alle Eigenschaften der Organismen aus der Auslese, die durch das Ueberleben der den Naturbeding- ungen besser angepassten Individuen entstehe, also aus »äußerer Naturzüchtung« abzuleiten seien, und dass demnach nur diese äußere Naturzüchtung Veränderungen der Keimanlage hervor- bringen könne, die sich auf die Nachkommen vererben. Wenn nun auch zugegeben werden muss, dass eine von einem Indivi- duum erworbene Eigenschaft im allgemeinen noch keine Ver- erbungswirkung ausübt, so ist doch nicht einzusehen, warum Gewohnheiten des Handelns, die zwar indirect durch äußere Natur- bedingungen angeregt werden, zunächst aber auf den inneren psychophysischen Eigenschaften der Organismen selbst beruhen, nicht, falls sie Generationen hindurch geübt werden, gerade so gut Veränderungen der Keimanlage bewirken können wie die
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§ 19. Die psychischen Eigenschaften der Thiere.
als eine solche des Grades und der Zusammensetzung denn als
eine solche der Art der psychologischen Processe aufzufassen.
Eine ganz besondere Schwierigkeit boten den älteren Rich-
tungen der Psychologie, wie der Vermögenstheorie und den
intellectualistischen Theorien (§ 2), die thierischen Instincte.
Da der Versuch sie aus individuellen Bedingungen abzuleiten zu
einer gar zu unwahrscheinlichen Schätzung der psychischen Lei-
stungen, namentlich bei den verwickelteren Instincten, führte, so
entschloss man sich vielfach, sie für unbegreiflich oder, was auf
dasselbe hinauskam, für Wirkungen angeborener Vorstellungen
u. dergl. zu erklären. Dieses »Räthsel des Instincts« hört auf
ein principiell unlösbares zu sein, wenn man die Instincte, wie
oben geschehen, als specielle Formen von Trieberscheinungen
auffasst und mit den psychologisch verständlichen einfacheren
Trieberscheinungen bei Thieren und Menschen in Parallele bringt,
und wenn man an den namentlich beim Menschen leicht zu ver-
folgenden Uebungserscheinungen, z. B. an der Einübung compli-
cirter Bewegungen, wie des Clavierspielens, den Uebergang ur-
sprünglich zusammengesetzter Willenshandlungen in trieb- und
reflexartige Bewegungen verfolgt. (Vgl. hierzu S. 226 f.) Gegen
diese Auffassung der Instincte ist eingewandt worden, die bei
ihr vorausgesetzte Vererbung individuell erworbener Abänderungen
lasse sich in der Erfahrung nicht nachweisen, da z. B. für die
früher oft behauptete Vererbung von Verstümmlungen durchaus
keine sicheren Beobachtungen beizubringen seien. Manche Bio-
logen nehmen deshalb an, dass alle Eigenschaften der Organismen
aus der Auslese, die durch das Ueberleben der den Naturbeding-
ungen besser angepassten Individuen entstehe, also aus »äußerer
Naturzüchtung« abzuleiten seien, und dass demnach nur diese
äußere Naturzüchtung Veränderungen der Keimanlage hervor-
bringen könne, die sich auf die Nachkommen vererben. Wenn
nun auch zugegeben werden muss, dass eine von einem Indivi-
duum erworbene Eigenschaft im allgemeinen noch keine Ver-
erbungswirkung ausübt, so ist doch nicht einzusehen, warum
Gewohnheiten des Handelns, die zwar indirect durch äußere Natur-
bedingungen angeregt werden, zunächst aber auf den inneren
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nicht, falls sie Generationen hindurch geübt werden, gerade so
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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/347>, abgerufen am 24.11.2024.
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