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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 17. Die Apperceptionsverbindungen.
Phantasie- und Erinnerungsbildern zu ziehen ist. Auch
bildet das positive Merkmal der willkürlichen Synthese ein
wesentlicheres Kennzeichen des apperceptiven Vorgangs als
das negative der keiner einzelnen bestimmten Sinneswahr-
nehmung entsprechenden Beschaffenheit der Verbindung.
Zugleich liegt hierin der augenfälligste äußere Unterschied
der Phantasie- von den bloßen Erinnerungsbildern begründet.
Er besteht darin, dass jene in ihrer Klarheit und Deutlich-
keit wie auch meist in der Vollständigkeit und Stärke ihres
Empfindungsinhaltes den unmittelbaren Sinneswahrnehm-
ungen näher stehen als diese. Dies erklärt sich wohl da-
raus, dass jene wechselseitig hemmenden Wirkungen, welche
die frei schwebenden Associationen auf einander ausüben,
und welche es zu einer festeren Gestaltung der Erinnerungs-
bilder nicht kommen lassen, durch die willkürliche Bevor-
zugung bestimmter Vorstellungsgebilde vermindert oder be-
seitigt werden. Man kann daher in Phantasiebildern sich
ergehen wie in wirklichen Erlebnissen. Bei Erinnerungs-
bildern ist das nur dann möglich, wenn sie zu Phantasie-
bildern werden, d. h. wenn man die Erinnerungen nicht mehr
bloß passiv in sich aufsteigen lässt, sondern bis zu einem
gewissen Grade frei mit ihnen schaltet, wobei dann freilich
auch willkürliche Veränderungen derselben, eine Vermengung
erlebter mit erdichteter Wirklichkeit, nicht zu fehlen pflegt.
Darum bestehen alle unsere Lebenserinnerungen aus "Dich-
tung und Wahrheit". Unsere Erinnerungsbilder wandeln
sich unter dem Einflusse unserer Gefühle und unseres
Willens in Phantasiebilder um, über deren Aehnlichkeit mit
der erlebten Wirklichkeit wir meist uns selbst täuschen.

15. An die so durch apperceptive Synthese entstan-
denen Gesammtvorstellungen schließt nun in zwei Formen
die in entgegengesetzter Richtung thätige Apperceptions-
function der Analyse sich an. Die erste ist unter dem

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§ 17. Die Apperceptionsverbindungen.
Phantasie- und Erinnerungsbildern zu ziehen ist. Auch
bildet das positive Merkmal der willkürlichen Synthese ein
wesentlicheres Kennzeichen des apperceptiven Vorgangs als
das negative der keiner einzelnen bestimmten Sinneswahr-
nehmung entsprechenden Beschaffenheit der Verbindung.
Zugleich liegt hierin der augenfälligste äußere Unterschied
der Phantasie- von den bloßen Erinnerungsbildern begründet.
Er besteht darin, dass jene in ihrer Klarheit und Deutlich-
keit wie auch meist in der Vollständigkeit und Stärke ihres
Empfindungsinhaltes den unmittelbaren Sinneswahrnehm-
ungen näher stehen als diese. Dies erklärt sich wohl da-
raus, dass jene wechselseitig hemmenden Wirkungen, welche
die frei schwebenden Associationen auf einander ausüben,
und welche es zu einer festeren Gestaltung der Erinnerungs-
bilder nicht kommen lassen, durch die willkürliche Bevor-
zugung bestimmter Vorstellungsgebilde vermindert oder be-
seitigt werden. Man kann daher in Phantasiebildern sich
ergehen wie in wirklichen Erlebnissen. Bei Erinnerungs-
bildern ist das nur dann möglich, wenn sie zu Phantasie-
bildern werden, d. h. wenn man die Erinnerungen nicht mehr
bloß passiv in sich aufsteigen lässt, sondern bis zu einem
gewissen Grade frei mit ihnen schaltet, wobei dann freilich
auch willkürliche Veränderungen derselben, eine Vermengung
erlebter mit erdichteter Wirklichkeit, nicht zu fehlen pflegt.
Darum bestehen alle unsere Lebenserinnerungen aus »Dich-
tung und Wahrheit«. Unsere Erinnerungsbilder wandeln
sich unter dem Einflusse unserer Gefühle und unseres
Willens in Phantasiebilder um, über deren Aehnlichkeit mit
der erlebten Wirklichkeit wir meist uns selbst täuschen.

15. An die so durch apperceptive Synthese entstan-
denen Gesammtvorstellungen schließt nun in zwei Formen
die in entgegengesetzter Richtung thätige Apperceptions-
function der Analyse sich an. Die erste ist unter dem

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[307/0323] § 17. Die Apperceptionsverbindungen. Phantasie- und Erinnerungsbildern zu ziehen ist. Auch bildet das positive Merkmal der willkürlichen Synthese ein wesentlicheres Kennzeichen des apperceptiven Vorgangs als das negative der keiner einzelnen bestimmten Sinneswahr- nehmung entsprechenden Beschaffenheit der Verbindung. Zugleich liegt hierin der augenfälligste äußere Unterschied der Phantasie- von den bloßen Erinnerungsbildern begründet. Er besteht darin, dass jene in ihrer Klarheit und Deutlich- keit wie auch meist in der Vollständigkeit und Stärke ihres Empfindungsinhaltes den unmittelbaren Sinneswahrnehm- ungen näher stehen als diese. Dies erklärt sich wohl da- raus, dass jene wechselseitig hemmenden Wirkungen, welche die frei schwebenden Associationen auf einander ausüben, und welche es zu einer festeren Gestaltung der Erinnerungs- bilder nicht kommen lassen, durch die willkürliche Bevor- zugung bestimmter Vorstellungsgebilde vermindert oder be- seitigt werden. Man kann daher in Phantasiebildern sich ergehen wie in wirklichen Erlebnissen. Bei Erinnerungs- bildern ist das nur dann möglich, wenn sie zu Phantasie- bildern werden, d. h. wenn man die Erinnerungen nicht mehr bloß passiv in sich aufsteigen lässt, sondern bis zu einem gewissen Grade frei mit ihnen schaltet, wobei dann freilich auch willkürliche Veränderungen derselben, eine Vermengung erlebter mit erdichteter Wirklichkeit, nicht zu fehlen pflegt. Darum bestehen alle unsere Lebenserinnerungen aus »Dich- tung und Wahrheit«. Unsere Erinnerungsbilder wandeln sich unter dem Einflusse unserer Gefühle und unseres Willens in Phantasiebilder um, über deren Aehnlichkeit mit der erlebten Wirklichkeit wir meist uns selbst täuschen. 15. An die so durch apperceptive Synthese entstan- denen Gesammtvorstellungen schließt nun in zwei Formen die in entgegengesetzter Richtung thätige Apperceptions- function der Analyse sich an. Die erste ist unter dem 20*

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/323>, abgerufen am 24.11.2024.