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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 17. Die Apperceptionsverbindungen.
die verschiedenen Richtungen hinweisen, in denen je nach
ursprünglicher Anlage und Uebung die elementaren Assi-
milations- und Complicationsvorgänge verlaufen.

Eine wichtige Rolle unter diesen individuellen Unter-
schieden spielt der Altersschwund des Gedächtnisses,
mit dessen Erscheinungen im allgemeinen auch die in Folge
von Gehirnerkrankungen auftretenden Gedächtnissstörungen
übereinstimmen. Diese Erscheinungen sind psychologisch
besonders deshalb bemerkenswerth, weil in ihnen deutlich
der Einfluss der Complicationen auf die Erinnerungsvor-
gänge zu erkennen ist. Zu den augenfälligsten Symptomen
des normalen wie des pathologischen Gedächtnissschwundes
gehört nämlich die Abnahme des Wortgedächtnisses.
Sie pflegt in der Regel derart einzutreten, dass am frühe-
sten die Eigennamen, dann die Namen concreter Gegenstände
der täglichen Umgebung, dann erst die ihrer Natur nach
abstracteren Verba und zuletzt die ganz abstracten Parti-
keln vergessen werden. Diese Reihenfolge entspricht genau
der für die einzelnen Wortgattungen vorhandenen Möglich-
keit, durch andere, in regelmäßiger Complication mit ihnen
verbundene Vorstellungen im Bewusstsein vertreten zu wer-
den. Diese Möglichkeit ist offenbar bei den Eigennamen
am größten, bei den abstracten Partikeln aber, die über-
haupt nur mittelst ihrer Wortzeichen festgehalten werden
können, am kleinsten.

§ 17. Die Apperceptionsverbindungen.

1. Die Associationen in allen ihren Formen werden
von uns, ebenso wie die mit ihnen nahe zusammenhängenden
Verschmelzungsprocesse, die der Entstehung der psychischen
Gebilde zu Grunde liegen, als passive Erlebnisse aufgefasst,
weil das für die Willens- und Aufmerksamkeitsvorgänge

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§ 17. Die Apperceptionsverbindungen.
die verschiedenen Richtungen hinweisen, in denen je nach
ursprünglicher Anlage und Uebung die elementaren Assi-
milations- und Complicationsvorgänge verlaufen.

Eine wichtige Rolle unter diesen individuellen Unter-
schieden spielt der Altersschwund des Gedächtnisses,
mit dessen Erscheinungen im allgemeinen auch die in Folge
von Gehirnerkrankungen auftretenden Gedächtnissstörungen
übereinstimmen. Diese Erscheinungen sind psychologisch
besonders deshalb bemerkenswerth, weil in ihnen deutlich
der Einfluss der Complicationen auf die Erinnerungsvor-
gänge zu erkennen ist. Zu den augenfälligsten Symptomen
des normalen wie des pathologischen Gedächtnissschwundes
gehört nämlich die Abnahme des Wortgedächtnisses.
Sie pflegt in der Regel derart einzutreten, dass am frühe-
sten die Eigennamen, dann die Namen concreter Gegenstände
der täglichen Umgebung, dann erst die ihrer Natur nach
abstracteren Verba und zuletzt die ganz abstracten Parti-
keln vergessen werden. Diese Reihenfolge entspricht genau
der für die einzelnen Wortgattungen vorhandenen Möglich-
keit, durch andere, in regelmäßiger Complication mit ihnen
verbundene Vorstellungen im Bewusstsein vertreten zu wer-
den. Diese Möglichkeit ist offenbar bei den Eigennamen
am größten, bei den abstracten Partikeln aber, die über-
haupt nur mittelst ihrer Wortzeichen festgehalten werden
können, am kleinsten.

§ 17. Die Apperceptionsverbindungen.

1. Die Associationen in allen ihren Formen werden
von uns, ebenso wie die mit ihnen nahe zusammenhängenden
Verschmelzungsprocesse, die der Entstehung der psychischen
Gebilde zu Grunde liegen, als passive Erlebnisse aufgefasst,
weil das für die Willens- und Aufmerksamkeitsvorgänge

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[291/0307] § 17. Die Apperceptionsverbindungen. die verschiedenen Richtungen hinweisen, in denen je nach ursprünglicher Anlage und Uebung die elementaren Assi- milations- und Complicationsvorgänge verlaufen. Eine wichtige Rolle unter diesen individuellen Unter- schieden spielt der Altersschwund des Gedächtnisses, mit dessen Erscheinungen im allgemeinen auch die in Folge von Gehirnerkrankungen auftretenden Gedächtnissstörungen übereinstimmen. Diese Erscheinungen sind psychologisch besonders deshalb bemerkenswerth, weil in ihnen deutlich der Einfluss der Complicationen auf die Erinnerungsvor- gänge zu erkennen ist. Zu den augenfälligsten Symptomen des normalen wie des pathologischen Gedächtnissschwundes gehört nämlich die Abnahme des Wortgedächtnisses. Sie pflegt in der Regel derart einzutreten, dass am frühe- sten die Eigennamen, dann die Namen concreter Gegenstände der täglichen Umgebung, dann erst die ihrer Natur nach abstracteren Verba und zuletzt die ganz abstracten Parti- keln vergessen werden. Diese Reihenfolge entspricht genau der für die einzelnen Wortgattungen vorhandenen Möglich- keit, durch andere, in regelmäßiger Complication mit ihnen verbundene Vorstellungen im Bewusstsein vertreten zu wer- den. Diese Möglichkeit ist offenbar bei den Eigennamen am größten, bei den abstracten Partikeln aber, die über- haupt nur mittelst ihrer Wortzeichen festgehalten werden können, am kleinsten. § 17. Die Apperceptionsverbindungen. 1. Die Associationen in allen ihren Formen werden von uns, ebenso wie die mit ihnen nahe zusammenhängenden Verschmelzungsprocesse, die der Entstehung der psychischen Gebilde zu Grunde liegen, als passive Erlebnisse aufgefasst, weil das für die Willens- und Aufmerksamkeitsvorgänge 19*

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/307>, abgerufen am 23.11.2024.