Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde. ein principieller Unterschied gegenüber den gewöhnlichen Asso-ciationen. Jemand erinnert sich z. B. des Abends in seinem Zimmer sitzend plötzlich und scheinbar unvermittelt an eine Land- schaft, die er vor vielen Jahren durchwandert hat; die nähere Nachforschung ergibt, dass sich zufällig im Zimmer eine auf- fallend riechende Blume befindet, die ihm bei jener Wanderung zum ersten Mal aufgestoßen war. Der Unterschied von einem gewöhnlichen Erinnerungsvorgang, bei dem man sich der Ver- bindung des neuen Eindrucks mit einem früheren Erlebniss deut- lich bewusst ist, besteht augenscheinlich nur darin, dass hier die Elemente, die die Verbindung herstellen, durch andere Vorstellungs- elemente in den dunklen Hintergrund des Bewusstseins gedrängt sind. Wahrscheinlich sind die nicht seltenen Erfahrungen, wo plötzlich und scheinbar unvermittelt ein Erinnerungsbild in uns auftritt, und die man meist als ein so genanntes "freies Auf- steigen" der Vorstellungen gedeutet hat, auf solche latente Asso- ciationen zurückzuführen. 20. Von den Erinnerungsvorgängen, die sich an die III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde. ein principieller Unterschied gegenüber den gewöhnlichen Asso-ciationen. Jemand erinnert sich z. B. des Abends in seinem Zimmer sitzend plötzlich und scheinbar unvermittelt an eine Land- schaft, die er vor vielen Jahren durchwandert hat; die nähere Nachforschung ergibt, dass sich zufällig im Zimmer eine auf- fallend riechende Blume befindet, die ihm bei jener Wanderung zum ersten Mal aufgestoßen war. Der Unterschied von einem gewöhnlichen Erinnerungsvorgang, bei dem man sich der Ver- bindung des neuen Eindrucks mit einem früheren Erlebniss deut- lich bewusst ist, besteht augenscheinlich nur darin, dass hier die Elemente, die die Verbindung herstellen, durch andere Vorstellungs- elemente in den dunklen Hintergrund des Bewusstseins gedrängt sind. Wahrscheinlich sind die nicht seltenen Erfahrungen, wo plötzlich und scheinbar unvermittelt ein Erinnerungsbild in uns auftritt, und die man meist als ein so genanntes »freies Auf- steigen« der Vorstellungen gedeutet hat, auf solche latente Asso- ciationen zurückzuführen. 20. Von den Erinnerungsvorgängen, die sich an die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0302" n="286"/><fw place="top" type="header">III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.</fw><lb/> ein principieller Unterschied gegenüber den gewöhnlichen Asso-<lb/> ciationen. Jemand erinnert sich z. B. des Abends in seinem<lb/> Zimmer sitzend plötzlich und scheinbar unvermittelt an eine Land-<lb/> schaft, die er vor vielen Jahren durchwandert hat; die nähere<lb/> Nachforschung ergibt, dass sich zufällig im Zimmer eine auf-<lb/> fallend riechende Blume befindet, die ihm bei jener Wanderung<lb/> zum ersten Mal aufgestoßen war. Der Unterschied von einem<lb/> gewöhnlichen Erinnerungsvorgang, bei dem man sich der Ver-<lb/> bindung des neuen Eindrucks mit einem früheren Erlebniss deut-<lb/> lich bewusst ist, besteht augenscheinlich nur darin, dass hier die<lb/> Elemente, die die Verbindung herstellen, durch andere Vorstellungs-<lb/> elemente in den dunklen Hintergrund des Bewusstseins gedrängt<lb/> sind. Wahrscheinlich sind die nicht seltenen Erfahrungen, wo<lb/> plötzlich und scheinbar unvermittelt ein Erinnerungsbild in uns<lb/> auftritt, und die man meist als ein so genanntes »freies Auf-<lb/> steigen« der Vorstellungen gedeutet hat, auf solche latente Asso-<lb/> ciationen zurückzuführen.</p><lb/> <p>20. Von den Erinnerungsvorgängen, die sich an die<lb/> einfache Wiedererkennung des schon einmal Erlebten an-<lb/> schließen, unterscheiden sich jene, die von <hi rendition="#g">mehrfachen</hi><lb/> Wiedererkennungen und von <hi rendition="#g">Erkennungen</hi> ausgehen,<lb/> wesentlich in Folge der größeren Complication ihrer Be-<lb/> dingungen. Bei der Wahrnehmung eines individuell oder<lb/> nach seinem Gattungscharakter geläufigen Gegenstandes ist<lb/> zunächst der Umfang möglicher Associationsbeziehungen ein<lb/> ungleich größerer, und es hängt daher nun weniger von<lb/> den einzelnen Erlebnissen, auf denen die Association selbst<lb/> beruht, als von allgemeinen Anlagen und momentanen Dis-<lb/> positionen des Bewusstseins, namentlich aber auch von dem<lb/> Eingreifen bestimmter activer Apperceptionsvorgänge und<lb/> den mit ihnen zusammenhängenden intellectuellen Gefühlen<lb/> und Affecten ab, in welcher Weise an irgend ein bestimmtes<lb/> Erlebniss Erinnerungsvorgänge sich anschließen. Bei der<lb/> Mannigfaltigkeit dieser Bedingungen ist es begreiflich, dass<lb/> sich im allgemeinen die Associationen jeder Vorausberechnung<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [286/0302]
III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
ein principieller Unterschied gegenüber den gewöhnlichen Asso-
ciationen. Jemand erinnert sich z. B. des Abends in seinem
Zimmer sitzend plötzlich und scheinbar unvermittelt an eine Land-
schaft, die er vor vielen Jahren durchwandert hat; die nähere
Nachforschung ergibt, dass sich zufällig im Zimmer eine auf-
fallend riechende Blume befindet, die ihm bei jener Wanderung
zum ersten Mal aufgestoßen war. Der Unterschied von einem
gewöhnlichen Erinnerungsvorgang, bei dem man sich der Ver-
bindung des neuen Eindrucks mit einem früheren Erlebniss deut-
lich bewusst ist, besteht augenscheinlich nur darin, dass hier die
Elemente, die die Verbindung herstellen, durch andere Vorstellungs-
elemente in den dunklen Hintergrund des Bewusstseins gedrängt
sind. Wahrscheinlich sind die nicht seltenen Erfahrungen, wo
plötzlich und scheinbar unvermittelt ein Erinnerungsbild in uns
auftritt, und die man meist als ein so genanntes »freies Auf-
steigen« der Vorstellungen gedeutet hat, auf solche latente Asso-
ciationen zurückzuführen.
20. Von den Erinnerungsvorgängen, die sich an die
einfache Wiedererkennung des schon einmal Erlebten an-
schließen, unterscheiden sich jene, die von mehrfachen
Wiedererkennungen und von Erkennungen ausgehen,
wesentlich in Folge der größeren Complication ihrer Be-
dingungen. Bei der Wahrnehmung eines individuell oder
nach seinem Gattungscharakter geläufigen Gegenstandes ist
zunächst der Umfang möglicher Associationsbeziehungen ein
ungleich größerer, und es hängt daher nun weniger von
den einzelnen Erlebnissen, auf denen die Association selbst
beruht, als von allgemeinen Anlagen und momentanen Dis-
positionen des Bewusstseins, namentlich aber auch von dem
Eingreifen bestimmter activer Apperceptionsvorgänge und
den mit ihnen zusammenhängenden intellectuellen Gefühlen
und Affecten ab, in welcher Weise an irgend ein bestimmtes
Erlebniss Erinnerungsvorgänge sich anschließen. Bei der
Mannigfaltigkeit dieser Bedingungen ist es begreiflich, dass
sich im allgemeinen die Associationen jeder Vorausberechnung
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