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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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II. Die psychischen Gebilde.
Richtung erfolgten Entwicklung der Reflexe zu Willenshand-
lungen keine Wahrscheinlichkeit hat. Endlich erklärt sich
unter dem gleichen Gesichtspunkt am einfachsten die in § 13
(S. 202) hervorgehobene Thatsache, dass die Ausdrucks-
bewegungen der Affecte
jeder dieser in der Stufenleiter
äußerer Handlungen möglichen Formen angehören können.
Offenbar sind hier die einfacheren Bewegungen ursprünglich
Triebhandlungen, während manche verwickeltere pantomi-
mische Bewegungen wahrscheinlich auf einstige Willkür-
handlungen zurückzuführen sind, die aber zuerst in Trieb-
und dann sogar in Reflexbewegungen übergingen. Zugleich
nöthigen gerade hier die Erscheinungen zu der Annahme,
dass die während des individuellen Lebens beginnende
Rückverwandlung durch die Vererbung der erworbenen An-
lagen allmählich gesteigert wird, so dass gewisse ursprüng-
liche Willkürhandlungen bei den späteren Nachkommen von
Anfang an als Trieb- oder Reflexbewegungen auftreten.
(Vgl. § 19 u. 20.)

10a. Aus ähnlichen Gründen wie bei den Affecten ist auch
bei dem Willen die Beobachtung der sich uns zufällig im Leben
darbietenden Vorgänge ein unzureichendes und leicht irreführen-
des Verfahren zur Feststellung des wirklichen Thatbestandes.
Ueberall wo sich zum Behuf irgend welcher theoretischer oder
praktischer Lebensaufgaben innere oder äußere Willenshandlungen
vollziehen, ist unser Interesse viel zu sehr durch jene Aufgaben
selbst in Anspruch genommen, als dass wir im Stande wären die
gleichzeitig vorhandenen psychischen Vorgänge mit Genauigkeit
zu beobachten. In den Willenstheorien der älteren Psychologen,
die freilich vielfach noch in die heutige Wissenschaft ihre
Schatten werfen, spiegelt sich deutlich dieser unvollkommene
Zustand psychologischer Beobachtungskunst. Indem die äußere
Willenshandlung das einzige war, was sich aus dem ganzen Ge-
biet der Willensvorgänge deutlich der Beobachtung aufdrängte,
war man zunächst geneigt, den Begriff des Willens überhaupt
auf die äußeren Willenshandlungen zu beschränken und danach

II. Die psychischen Gebilde.
Richtung erfolgten Entwicklung der Reflexe zu Willenshand-
lungen keine Wahrscheinlichkeit hat. Endlich erklärt sich
unter dem gleichen Gesichtspunkt am einfachsten die in § 13
(S. 202) hervorgehobene Thatsache, dass die Ausdrucks-
bewegungen der Affecte
jeder dieser in der Stufenleiter
äußerer Handlungen möglichen Formen angehören können.
Offenbar sind hier die einfacheren Bewegungen ursprünglich
Triebhandlungen, während manche verwickeltere pantomi-
mische Bewegungen wahrscheinlich auf einstige Willkür-
handlungen zurückzuführen sind, die aber zuerst in Trieb-
und dann sogar in Reflexbewegungen übergingen. Zugleich
nöthigen gerade hier die Erscheinungen zu der Annahme,
dass die während des individuellen Lebens beginnende
Rückverwandlung durch die Vererbung der erworbenen An-
lagen allmählich gesteigert wird, so dass gewisse ursprüng-
liche Willkürhandlungen bei den späteren Nachkommen von
Anfang an als Trieb- oder Reflexbewegungen auftreten.
(Vgl. § 19 u. 20.)

10a. Aus ähnlichen Gründen wie bei den Affecten ist auch
bei dem Willen die Beobachtung der sich uns zufällig im Leben
darbietenden Vorgänge ein unzureichendes und leicht irreführen-
des Verfahren zur Feststellung des wirklichen Thatbestandes.
Ueberall wo sich zum Behuf irgend welcher theoretischer oder
praktischer Lebensaufgaben innere oder äußere Willenshandlungen
vollziehen, ist unser Interesse viel zu sehr durch jene Aufgaben
selbst in Anspruch genommen, als dass wir im Stande wären die
gleichzeitig vorhandenen psychischen Vorgänge mit Genauigkeit
zu beobachten. In den Willenstheorien der älteren Psychologen,
die freilich vielfach noch in die heutige Wissenschaft ihre
Schatten werfen, spiegelt sich deutlich dieser unvollkommene
Zustand psychologischer Beobachtungskunst. Indem die äußere
Willenshandlung das einzige war, was sich aus dem ganzen Ge-
biet der Willensvorgänge deutlich der Beobachtung aufdrängte,
war man zunächst geneigt, den Begriff des Willens überhaupt
auf die äußeren Willenshandlungen zu beschränken und danach

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[228/0244] II. Die psychischen Gebilde. Richtung erfolgten Entwicklung der Reflexe zu Willenshand- lungen keine Wahrscheinlichkeit hat. Endlich erklärt sich unter dem gleichen Gesichtspunkt am einfachsten die in § 13 (S. 202) hervorgehobene Thatsache, dass die Ausdrucks- bewegungen der Affecte jeder dieser in der Stufenleiter äußerer Handlungen möglichen Formen angehören können. Offenbar sind hier die einfacheren Bewegungen ursprünglich Triebhandlungen, während manche verwickeltere pantomi- mische Bewegungen wahrscheinlich auf einstige Willkür- handlungen zurückzuführen sind, die aber zuerst in Trieb- und dann sogar in Reflexbewegungen übergingen. Zugleich nöthigen gerade hier die Erscheinungen zu der Annahme, dass die während des individuellen Lebens beginnende Rückverwandlung durch die Vererbung der erworbenen An- lagen allmählich gesteigert wird, so dass gewisse ursprüng- liche Willkürhandlungen bei den späteren Nachkommen von Anfang an als Trieb- oder Reflexbewegungen auftreten. (Vgl. § 19 u. 20.) 10a. Aus ähnlichen Gründen wie bei den Affecten ist auch bei dem Willen die Beobachtung der sich uns zufällig im Leben darbietenden Vorgänge ein unzureichendes und leicht irreführen- des Verfahren zur Feststellung des wirklichen Thatbestandes. Ueberall wo sich zum Behuf irgend welcher theoretischer oder praktischer Lebensaufgaben innere oder äußere Willenshandlungen vollziehen, ist unser Interesse viel zu sehr durch jene Aufgaben selbst in Anspruch genommen, als dass wir im Stande wären die gleichzeitig vorhandenen psychischen Vorgänge mit Genauigkeit zu beobachten. In den Willenstheorien der älteren Psychologen, die freilich vielfach noch in die heutige Wissenschaft ihre Schatten werfen, spiegelt sich deutlich dieser unvollkommene Zustand psychologischer Beobachtungskunst. Indem die äußere Willenshandlung das einzige war, was sich aus dem ganzen Ge- biet der Willensvorgänge deutlich der Beobachtung aufdrängte, war man zunächst geneigt, den Begriff des Willens überhaupt auf die äußeren Willenshandlungen zu beschränken und danach

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/244>, abgerufen am 24.11.2024.