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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 14. Die Willensvorgänge.
handlung entweder direct oder, was ursprünglich wohl stets
der Fall ist, durch einen Affect von contrastirendem Ge-
fühlsinhalt indirect in den gewöhnlichen ruhigen Gefühls-
verlauf überleiten.

3. Je reicher die Vorstellungs- und Gefühlsinhalte
sich gestalten, und je mehr damit die Mannigfaltigkeit der
Affecte zunimmt, ein um so weiteres Gebiet gewinnen
auch die Willensvorgänge. Denn es gibt kein Gefühl und
keinen Affect, die nicht in irgend einer Weise eine Willens-
handlung vorbereiten oder wenigstens an ihrer Vorbereitung
theilnehmen könnten. Alle, selbst die verhältnissmäßig
indifferenten Gefühle enthalten in irgend einem Grade ein
Streben oder Widerstreben, mag dasselbe auch nur ganz
allgemein auf die Erhaltung oder Beseitigung des bestehen-
den Gemüthszustandes gerichtet sein. Wenngleich daher
die Willensvorgänge als die verwickeltste Form der Ge-
müthsbewegungen erscheinen, welche alle andern, die Ge-
fühle und die Affecte, als ihre Bestandtheile voraussetzt,
so ist doch auf der andern Seite nicht zu übersehen,
dass zwar im einzelnen fortwährend Gefühle vorkommen,
die sich nicht zu Affecten verbinden, und Affecte, die
nicht in Willenshandlungen endigen, dass aber in dem
ganzen Zusammenhang der psychischen Processe jene drei
Stufen sich wechselseitig bedingen, indem sie die zu-
sammengehörigen Glieder eines einzigen Vorganges bilden,
der nur als Willensvorgang zu seiner vollständigen Aus-
bildung gelangt. In diesem Sinne kann das Gefühl ebenso
gut als der Anfang eines Willensprocesses wie umgekehrt
das Wollen als ein zusammengesetzter Gefühlsvorgang und
der Affect als ein Uebergang zwischen beiden betrachtet
werden.

4. In dem Affect, der mit einer Willenshandlung ab-
schließt, pflegen die einzelnen Gefühle keineswegs eine

§ 14. Die Willensvorgänge.
handlung entweder direct oder, was ursprünglich wohl stets
der Fall ist, durch einen Affect von contrastirendem Ge-
fühlsinhalt indirect in den gewöhnlichen ruhigen Gefühls-
verlauf überleiten.

3. Je reicher die Vorstellungs- und Gefühlsinhalte
sich gestalten, und je mehr damit die Mannigfaltigkeit der
Affecte zunimmt, ein um so weiteres Gebiet gewinnen
auch die Willensvorgänge. Denn es gibt kein Gefühl und
keinen Affect, die nicht in irgend einer Weise eine Willens-
handlung vorbereiten oder wenigstens an ihrer Vorbereitung
theilnehmen könnten. Alle, selbst die verhältnissmäßig
indifferenten Gefühle enthalten in irgend einem Grade ein
Streben oder Widerstreben, mag dasselbe auch nur ganz
allgemein auf die Erhaltung oder Beseitigung des bestehen-
den Gemüthszustandes gerichtet sein. Wenngleich daher
die Willensvorgänge als die verwickeltste Form der Ge-
müthsbewegungen erscheinen, welche alle andern, die Ge-
fühle und die Affecte, als ihre Bestandtheile voraussetzt,
so ist doch auf der andern Seite nicht zu übersehen,
dass zwar im einzelnen fortwährend Gefühle vorkommen,
die sich nicht zu Affecten verbinden, und Affecte, die
nicht in Willenshandlungen endigen, dass aber in dem
ganzen Zusammenhang der psychischen Processe jene drei
Stufen sich wechselseitig bedingen, indem sie die zu-
sammengehörigen Glieder eines einzigen Vorganges bilden,
der nur als Willensvorgang zu seiner vollständigen Aus-
bildung gelangt. In diesem Sinne kann das Gefühl ebenso
gut als der Anfang eines Willensprocesses wie umgekehrt
das Wollen als ein zusammengesetzter Gefühlsvorgang und
der Affect als ein Uebergang zwischen beiden betrachtet
werden.

4. In dem Affect, der mit einer Willenshandlung ab-
schließt, pflegen die einzelnen Gefühle keineswegs eine

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[217/0233] § 14. Die Willensvorgänge. handlung entweder direct oder, was ursprünglich wohl stets der Fall ist, durch einen Affect von contrastirendem Ge- fühlsinhalt indirect in den gewöhnlichen ruhigen Gefühls- verlauf überleiten. 3. Je reicher die Vorstellungs- und Gefühlsinhalte sich gestalten, und je mehr damit die Mannigfaltigkeit der Affecte zunimmt, ein um so weiteres Gebiet gewinnen auch die Willensvorgänge. Denn es gibt kein Gefühl und keinen Affect, die nicht in irgend einer Weise eine Willens- handlung vorbereiten oder wenigstens an ihrer Vorbereitung theilnehmen könnten. Alle, selbst die verhältnissmäßig indifferenten Gefühle enthalten in irgend einem Grade ein Streben oder Widerstreben, mag dasselbe auch nur ganz allgemein auf die Erhaltung oder Beseitigung des bestehen- den Gemüthszustandes gerichtet sein. Wenngleich daher die Willensvorgänge als die verwickeltste Form der Ge- müthsbewegungen erscheinen, welche alle andern, die Ge- fühle und die Affecte, als ihre Bestandtheile voraussetzt, so ist doch auf der andern Seite nicht zu übersehen, dass zwar im einzelnen fortwährend Gefühle vorkommen, die sich nicht zu Affecten verbinden, und Affecte, die nicht in Willenshandlungen endigen, dass aber in dem ganzen Zusammenhang der psychischen Processe jene drei Stufen sich wechselseitig bedingen, indem sie die zu- sammengehörigen Glieder eines einzigen Vorganges bilden, der nur als Willensvorgang zu seiner vollständigen Aus- bildung gelangt. In diesem Sinne kann das Gefühl ebenso gut als der Anfang eines Willensprocesses wie umgekehrt das Wollen als ein zusammengesetzter Gefühlsvorgang und der Affect als ein Uebergang zwischen beiden betrachtet werden. 4. In dem Affect, der mit einer Willenshandlung ab- schließt, pflegen die einzelnen Gefühle keineswegs eine

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/233>, abgerufen am 24.11.2024.