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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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II. Die psychischen Gebilde.
und eine intermittirende Verlaufsform, endlich eine sthenische,
eine asthenische und eine gemischte Ausdrucksform desselben
unterscheiden lassen. Für das psychologische Verständniss wich-
tiger als solche Eintheilungen ist es aber, dass man sich in jedem
besonderen Fall von dem causalen Zusammenhang der einzelnen
Erscheinungsformen Rechenschaft gibt. In dieser Beziehung ist
bei jedem Affect von zwei Factoren auszugehen: 1) von der
Qualität und Intensität der ihn zusammensetzenden Gefühle, und
2) von der Schnelligkeit der Aufeinanderfolge dieser Gefühle.
Durch den ersten dieser Factoren wird der allgemeine Charakter
des Affects, durch den zweiten wird zum Theil seine Stärke,
außerdem aber namentlich seine Verlaufsform, und durch beide
zusammen werden die physischen Begleiterscheinungen sowie in
Folge der mit diesen verbundenen sinnlichen Gefühle die psycho-
physischen Affectverstärkungen verursacht (S. 208). Eben wegen
dieser letzteren sind die physischen in der Regel als psycho-phy-
sische
Begleiterscheinungen zu bezeichnen. Dabei sollen aber
natürlich die Ausdrücke "psychologisch" und "psychophysisch"
hier, wo sie sich bloß auf die Symptomatologie der Affecte be-
ziehen, keinen absoluten Gegensatz andeuten. Vielmehr verstehen
wir unter psychologischen Affecterscheinungen lediglich jene, die
sich nicht durch unmittelbar wahrzunehmende physische Symp-
tome verrathen, mögen auch solche (z. B. in der Form von Puls-
und Athmungsänderungen) durch exacte Hülfsmittel nachweisbar
sein; psycho-physische Erscheinungen dagegen nennen wir solche,
die sich ohne weiteres als doppelseitige zu erkennen geben.

§ 14. Die Willensvorgänge.

1. Indem jeder Affect einen in sich zusammenhängenden
Gefühlsverlauf von einheitlichem Charakter darstellt, kann
der Ausgang des Affectes ein doppelter sein: entweder
macht er dem gewöhnlichen wechselnderen und relativ affect-
losen Gefühlsverlauf Platz, -- solche ohne bestimmten End-
erfolg ausklingende Gemüthsbewegungen bilden die eigent-
lichen Affecte
, wie sie der Betrachtung des § 13 zu
Grunde gelegt worden sind. Oder der Vorgang geht in

II. Die psychischen Gebilde.
und eine intermittirende Verlaufsform, endlich eine sthenische,
eine asthenische und eine gemischte Ausdrucksform desselben
unterscheiden lassen. Für das psychologische Verständniss wich-
tiger als solche Eintheilungen ist es aber, dass man sich in jedem
besonderen Fall von dem causalen Zusammenhang der einzelnen
Erscheinungsformen Rechenschaft gibt. In dieser Beziehung ist
bei jedem Affect von zwei Factoren auszugehen: 1) von der
Qualität und Intensität der ihn zusammensetzenden Gefühle, und
2) von der Schnelligkeit der Aufeinanderfolge dieser Gefühle.
Durch den ersten dieser Factoren wird der allgemeine Charakter
des Affects, durch den zweiten wird zum Theil seine Stärke,
außerdem aber namentlich seine Verlaufsform, und durch beide
zusammen werden die physischen Begleiterscheinungen sowie in
Folge der mit diesen verbundenen sinnlichen Gefühle die psycho-
physischen Affectverstärkungen verursacht (S. 208). Eben wegen
dieser letzteren sind die physischen in der Regel als psycho-phy-
sische
Begleiterscheinungen zu bezeichnen. Dabei sollen aber
natürlich die Ausdrücke »psychologisch« und »psychophysisch«
hier, wo sie sich bloß auf die Symptomatologie der Affecte be-
ziehen, keinen absoluten Gegensatz andeuten. Vielmehr verstehen
wir unter psychologischen Affecterscheinungen lediglich jene, die
sich nicht durch unmittelbar wahrzunehmende physische Symp-
tome verrathen, mögen auch solche (z. B. in der Form von Puls-
und Athmungsänderungen) durch exacte Hülfsmittel nachweisbar
sein; psycho-physische Erscheinungen dagegen nennen wir solche,
die sich ohne weiteres als doppelseitige zu erkennen geben.

§ 14. Die Willensvorgänge.

1. Indem jeder Affect einen in sich zusammenhängenden
Gefühlsverlauf von einheitlichem Charakter darstellt, kann
der Ausgang des Affectes ein doppelter sein: entweder
macht er dem gewöhnlichen wechselnderen und relativ affect-
losen Gefühlsverlauf Platz, — solche ohne bestimmten End-
erfolg ausklingende Gemüthsbewegungen bilden die eigent-
lichen Affecte
, wie sie der Betrachtung des § 13 zu
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[214/0230] II. Die psychischen Gebilde. und eine intermittirende Verlaufsform, endlich eine sthenische, eine asthenische und eine gemischte Ausdrucksform desselben unterscheiden lassen. Für das psychologische Verständniss wich- tiger als solche Eintheilungen ist es aber, dass man sich in jedem besonderen Fall von dem causalen Zusammenhang der einzelnen Erscheinungsformen Rechenschaft gibt. In dieser Beziehung ist bei jedem Affect von zwei Factoren auszugehen: 1) von der Qualität und Intensität der ihn zusammensetzenden Gefühle, und 2) von der Schnelligkeit der Aufeinanderfolge dieser Gefühle. Durch den ersten dieser Factoren wird der allgemeine Charakter des Affects, durch den zweiten wird zum Theil seine Stärke, außerdem aber namentlich seine Verlaufsform, und durch beide zusammen werden die physischen Begleiterscheinungen sowie in Folge der mit diesen verbundenen sinnlichen Gefühle die psycho- physischen Affectverstärkungen verursacht (S. 208). Eben wegen dieser letzteren sind die physischen in der Regel als psycho-phy- sische Begleiterscheinungen zu bezeichnen. Dabei sollen aber natürlich die Ausdrücke »psychologisch« und »psychophysisch« hier, wo sie sich bloß auf die Symptomatologie der Affecte be- ziehen, keinen absoluten Gegensatz andeuten. Vielmehr verstehen wir unter psychologischen Affecterscheinungen lediglich jene, die sich nicht durch unmittelbar wahrzunehmende physische Symp- tome verrathen, mögen auch solche (z. B. in der Form von Puls- und Athmungsänderungen) durch exacte Hülfsmittel nachweisbar sein; psycho-physische Erscheinungen dagegen nennen wir solche, die sich ohne weiteres als doppelseitige zu erkennen geben. § 14. Die Willensvorgänge. 1. Indem jeder Affect einen in sich zusammenhängenden Gefühlsverlauf von einheitlichem Charakter darstellt, kann der Ausgang des Affectes ein doppelter sein: entweder macht er dem gewöhnlichen wechselnderen und relativ affect- losen Gefühlsverlauf Platz, — solche ohne bestimmten End- erfolg ausklingende Gemüthsbewegungen bilden die eigent- lichen Affecte, wie sie der Betrachtung des § 13 zu Grunde gelegt worden sind. Oder der Vorgang geht in

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/230>, abgerufen am 22.11.2024.