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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 12. Die zusammengesetzten Gefühle.
in noch höherem Grade als der momentane Charakter eines
intensiven Gefühls von dem Verhältnisse abhängig, in dem
die unmittelbar gegenwärtigen zu vorangegangenen Gefühlen
stehen. Dies zeigt sich namentlich an dem starken Einfluss,
den jeder Wechsel des Rhythmus auf das rhythmische Ge-
fühl ausübt. Hierdurch sowie schon durch ihr allgemeines
Gebundensein an einen bestimmten zeitlichen Verlauf bilden
die rhythmischen Gefühle den nächsten Uebergang zu den
Affecten. Kann sich auch aus jedem zusammengesetzten
Gefühl ein Affect entwickeln, so ist doch bei keinem andern
so wie hier die Bedingung der Entstehung des Gefühls zu-
gleich eine nothwendige Bedingung zur Entstehung eines
gewissen Affectgrades, der in diesem Falle nur durch die
regelmäßige Folge der Gefühle ermäßigt zu werden pflegt.
(Vgl. unten § 13, 1, 7.)

11. Bei der ungeheuren Mannigfaltigkeit der zusammen-
gesetzten Gefühle, die mit einer ebenso großen Mannigfal-
tigkeit ihrer Bedingungen verknüpft ist, kann man natürlich
an eine sie alle umfassende psychologische Theorie von
ähnlich einheitlicher Beschaffenheit, wie sie z. B. bei den
räumlichen und zeitlichen Vorstellungen möglich ist, nicht
denken. Immerhin treten bei ihnen einige gemeinsame Eigen-
schaften hervor, durch die sie sich gewissen allgemeinen
psychologischen Gesichtspunkten unterordnen. Zwei Fac-
toren sind es nämlich, aus denen sich zunächst jede solche
Gefühlswirkung zusammensetzt: erstens das Verhältniss der
verbundenen Partialgefühle zu einander, und zweitens ihre
Zusammenfassung zu einem einheitlichen Totalgefühl. Der
erste dieser Factoren tritt bei den intensiven, der zweite bei
den extensiven Gefühlen stärker heror; in der That aber
sind sie beide nicht nur stets verbunden, sondern sie be-
stimmen sich auch wechselseitig. So kann eine Gestalt, die
noch eine wohlgefällige Auffassung zulässt, um so compli-

§ 12. Die zusammengesetzten Gefühle.
in noch höherem Grade als der momentane Charakter eines
intensiven Gefühls von dem Verhältnisse abhängig, in dem
die unmittelbar gegenwärtigen zu vorangegangenen Gefühlen
stehen. Dies zeigt sich namentlich an dem starken Einfluss,
den jeder Wechsel des Rhythmus auf das rhythmische Ge-
fühl ausübt. Hierdurch sowie schon durch ihr allgemeines
Gebundensein an einen bestimmten zeitlichen Verlauf bilden
die rhythmischen Gefühle den nächsten Uebergang zu den
Affecten. Kann sich auch aus jedem zusammengesetzten
Gefühl ein Affect entwickeln, so ist doch bei keinem andern
so wie hier die Bedingung der Entstehung des Gefühls zu-
gleich eine nothwendige Bedingung zur Entstehung eines
gewissen Affectgrades, der in diesem Falle nur durch die
regelmäßige Folge der Gefühle ermäßigt zu werden pflegt.
(Vgl. unten § 13, 1, 7.)

11. Bei der ungeheuren Mannigfaltigkeit der zusammen-
gesetzten Gefühle, die mit einer ebenso großen Mannigfal-
tigkeit ihrer Bedingungen verknüpft ist, kann man natürlich
an eine sie alle umfassende psychologische Theorie von
ähnlich einheitlicher Beschaffenheit, wie sie z. B. bei den
räumlichen und zeitlichen Vorstellungen möglich ist, nicht
denken. Immerhin treten bei ihnen einige gemeinsame Eigen-
schaften hervor, durch die sie sich gewissen allgemeinen
psychologischen Gesichtspunkten unterordnen. Zwei Fac-
toren sind es nämlich, aus denen sich zunächst jede solche
Gefühlswirkung zusammensetzt: erstens das Verhältniss der
verbundenen Partialgefühle zu einander, und zweitens ihre
Zusammenfassung zu einem einheitlichen Totalgefühl. Der
erste dieser Factoren tritt bei den intensiven, der zweite bei
den extensiven Gefühlen stärker heror; in der That aber
sind sie beide nicht nur stets verbunden, sondern sie be-
stimmen sich auch wechselseitig. So kann eine Gestalt, die
noch eine wohlgefällige Auffassung zulässt, um so compli-

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[197/0213] § 12. Die zusammengesetzten Gefühle. in noch höherem Grade als der momentane Charakter eines intensiven Gefühls von dem Verhältnisse abhängig, in dem die unmittelbar gegenwärtigen zu vorangegangenen Gefühlen stehen. Dies zeigt sich namentlich an dem starken Einfluss, den jeder Wechsel des Rhythmus auf das rhythmische Ge- fühl ausübt. Hierdurch sowie schon durch ihr allgemeines Gebundensein an einen bestimmten zeitlichen Verlauf bilden die rhythmischen Gefühle den nächsten Uebergang zu den Affecten. Kann sich auch aus jedem zusammengesetzten Gefühl ein Affect entwickeln, so ist doch bei keinem andern so wie hier die Bedingung der Entstehung des Gefühls zu- gleich eine nothwendige Bedingung zur Entstehung eines gewissen Affectgrades, der in diesem Falle nur durch die regelmäßige Folge der Gefühle ermäßigt zu werden pflegt. (Vgl. unten § 13, 1, 7.) 11. Bei der ungeheuren Mannigfaltigkeit der zusammen- gesetzten Gefühle, die mit einer ebenso großen Mannigfal- tigkeit ihrer Bedingungen verknüpft ist, kann man natürlich an eine sie alle umfassende psychologische Theorie von ähnlich einheitlicher Beschaffenheit, wie sie z. B. bei den räumlichen und zeitlichen Vorstellungen möglich ist, nicht denken. Immerhin treten bei ihnen einige gemeinsame Eigen- schaften hervor, durch die sie sich gewissen allgemeinen psychologischen Gesichtspunkten unterordnen. Zwei Fac- toren sind es nämlich, aus denen sich zunächst jede solche Gefühlswirkung zusammensetzt: erstens das Verhältniss der verbundenen Partialgefühle zu einander, und zweitens ihre Zusammenfassung zu einem einheitlichen Totalgefühl. Der erste dieser Factoren tritt bei den intensiven, der zweite bei den extensiven Gefühlen stärker heror; in der That aber sind sie beide nicht nur stets verbunden, sondern sie be- stimmen sich auch wechselseitig. So kann eine Gestalt, die noch eine wohlgefällige Auffassung zulässt, um so compli-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/213>, abgerufen am 22.11.2024.