Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Die psychischen Gebilde.
eindimensionale Beschaffenheit der Zeit zusammen, welche
darin besteht, dass bei den zeitlichen Vorstellungen der
innere Blickpunkt in einer unablässigen Wanderung be-
griffen ist, bei der niemals ein identischer Punkt wieder-
kehrt. Indem die Ordnung in dieser einen Dimension immer
von jenem veränderlichen Blickpunkte aus geschieht, in
welchem sich das Subject selbst vorstellt, ist endlich hierin
die Eigenschaft der Zeitvorstellungen begründet, dass ihre
Elemente neben ihrer wechselseitigen Ordnung stets zu-
gleich ein fest bestimmtes Verhältniss zum vorstellenden
Subjecte besitzen (S. 168, 2).

13. Suchen wir uns über die Hülfsmittel dieser un-
mittelbar an einander gebundenen wechselseitigen Ordnung
der Theile einer Vorstellung und ihrer Orientirung zum
Vorstellenden Rechenschaft zu geben, so können diese Hülfs-
mittel, die wir nach der Analogie der Localzeichen die
Zeitzeichen nennen wollen, selbstverständlich auch hier
nur in irgend welchen in der Vorstellung selbst enthaltenen
Elementen bestehen, die isolirt betrachtet keine zeitlichen
Eigenschaften besitzen, durch ihre Verbindung aber solche
gewinnen. Hierbei werden wir nun durch die eigenthüm-
lichen Bedingungen der Entwicklung der zeitlichen Vorstel-
lungen von vornherein darauf hingewiesen, dass die Zeit-
zeichen zu einem wesentlichen Theile Gefühlselemente
sind. Denn bei dem Ablauf irgend einer rhythmischen
Reihe ist jeder Eindruck unmittelbar durch das ihn be-
gleitende Erwartungsgefühl charakterisirt, während die Em-
pfindung nur insofern von Einfluss ist, als durch sie jenes
Gefühl ausgelöst wird, wie man deutlich wahrnimmt, wenn
eine plötzliche Unterbrechung einer rhythmischen Reihe ein-
tritt. Unter den Empfindungen sind übrigens allein die
Bewegungsempfindungen die nie fehlenden Bestand-
theile aller Zeitvorstellungen: bei den Tastvorstellungen

II. Die psychischen Gebilde.
eindimensionale Beschaffenheit der Zeit zusammen, welche
darin besteht, dass bei den zeitlichen Vorstellungen der
innere Blickpunkt in einer unablässigen Wanderung be-
griffen ist, bei der niemals ein identischer Punkt wieder-
kehrt. Indem die Ordnung in dieser einen Dimension immer
von jenem veränderlichen Blickpunkte aus geschieht, in
welchem sich das Subject selbst vorstellt, ist endlich hierin
die Eigenschaft der Zeitvorstellungen begründet, dass ihre
Elemente neben ihrer wechselseitigen Ordnung stets zu-
gleich ein fest bestimmtes Verhältniss zum vorstellenden
Subjecte besitzen (S. 168, 2).

13. Suchen wir uns über die Hülfsmittel dieser un-
mittelbar an einander gebundenen wechselseitigen Ordnung
der Theile einer Vorstellung und ihrer Orientirung zum
Vorstellenden Rechenschaft zu geben, so können diese Hülfs-
mittel, die wir nach der Analogie der Localzeichen die
Zeitzeichen nennen wollen, selbstverständlich auch hier
nur in irgend welchen in der Vorstellung selbst enthaltenen
Elementen bestehen, die isolirt betrachtet keine zeitlichen
Eigenschaften besitzen, durch ihre Verbindung aber solche
gewinnen. Hierbei werden wir nun durch die eigenthüm-
lichen Bedingungen der Entwicklung der zeitlichen Vorstel-
lungen von vornherein darauf hingewiesen, dass die Zeit-
zeichen zu einem wesentlichen Theile Gefühlselemente
sind. Denn bei dem Ablauf irgend einer rhythmischen
Reihe ist jeder Eindruck unmittelbar durch das ihn be-
gleitende Erwartungsgefühl charakterisirt, während die Em-
pfindung nur insofern von Einfluss ist, als durch sie jenes
Gefühl ausgelöst wird, wie man deutlich wahrnimmt, wenn
eine plötzliche Unterbrechung einer rhythmischen Reihe ein-
tritt. Unter den Empfindungen sind übrigens allein die
Bewegungsempfindungen die nie fehlenden Bestand-
theile aller Zeitvorstellungen: bei den Tastvorstellungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0200" n="184"/><fw place="top" type="header">II. Die psychischen Gebilde.</fw><lb/>
eindimensionale Beschaffenheit der Zeit zusammen, welche<lb/>
darin besteht, dass bei den zeitlichen Vorstellungen der<lb/>
innere Blickpunkt in einer unablässigen Wanderung be-<lb/>
griffen ist, bei der niemals ein identischer Punkt wieder-<lb/>
kehrt. Indem die Ordnung in dieser einen Dimension immer<lb/>
von jenem veränderlichen Blickpunkte aus geschieht, in<lb/>
welchem sich das Subject selbst vorstellt, ist endlich hierin<lb/>
die Eigenschaft der Zeitvorstellungen begründet, dass ihre<lb/>
Elemente neben ihrer wechselseitigen Ordnung stets zu-<lb/>
gleich ein fest bestimmtes Verhältniss zum vorstellenden<lb/>
Subjecte besitzen (S. 168, 2).</p><lb/>
            <p>13. Suchen wir uns über die Hülfsmittel dieser un-<lb/>
mittelbar an einander gebundenen wechselseitigen Ordnung<lb/>
der Theile einer Vorstellung und ihrer Orientirung zum<lb/>
Vorstellenden Rechenschaft zu geben, so können diese Hülfs-<lb/>
mittel, die wir nach der Analogie der Localzeichen die<lb/><hi rendition="#g">Zeitzeichen</hi> nennen wollen, selbstverständlich auch hier<lb/>
nur in irgend welchen in der Vorstellung selbst enthaltenen<lb/>
Elementen bestehen, die isolirt betrachtet keine zeitlichen<lb/>
Eigenschaften besitzen, durch ihre Verbindung aber solche<lb/>
gewinnen. Hierbei werden wir nun durch die eigenthüm-<lb/>
lichen Bedingungen der Entwicklung der zeitlichen Vorstel-<lb/>
lungen von vornherein darauf hingewiesen, dass die Zeit-<lb/>
zeichen zu einem wesentlichen Theile <hi rendition="#g">Gefühlselemente</hi><lb/>
sind. Denn bei dem Ablauf irgend einer rhythmischen<lb/>
Reihe ist jeder Eindruck unmittelbar durch das ihn be-<lb/>
gleitende Erwartungsgefühl charakterisirt, während die Em-<lb/>
pfindung nur insofern von Einfluss ist, als durch sie jenes<lb/>
Gefühl ausgelöst wird, wie man deutlich wahrnimmt, wenn<lb/>
eine plötzliche Unterbrechung einer rhythmischen Reihe ein-<lb/>
tritt. Unter den Empfindungen sind übrigens allein die<lb/><hi rendition="#g">Bewegungsempfindungen</hi> die nie fehlenden Bestand-<lb/>
theile aller Zeitvorstellungen: bei den Tastvorstellungen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0200] II. Die psychischen Gebilde. eindimensionale Beschaffenheit der Zeit zusammen, welche darin besteht, dass bei den zeitlichen Vorstellungen der innere Blickpunkt in einer unablässigen Wanderung be- griffen ist, bei der niemals ein identischer Punkt wieder- kehrt. Indem die Ordnung in dieser einen Dimension immer von jenem veränderlichen Blickpunkte aus geschieht, in welchem sich das Subject selbst vorstellt, ist endlich hierin die Eigenschaft der Zeitvorstellungen begründet, dass ihre Elemente neben ihrer wechselseitigen Ordnung stets zu- gleich ein fest bestimmtes Verhältniss zum vorstellenden Subjecte besitzen (S. 168, 2). 13. Suchen wir uns über die Hülfsmittel dieser un- mittelbar an einander gebundenen wechselseitigen Ordnung der Theile einer Vorstellung und ihrer Orientirung zum Vorstellenden Rechenschaft zu geben, so können diese Hülfs- mittel, die wir nach der Analogie der Localzeichen die Zeitzeichen nennen wollen, selbstverständlich auch hier nur in irgend welchen in der Vorstellung selbst enthaltenen Elementen bestehen, die isolirt betrachtet keine zeitlichen Eigenschaften besitzen, durch ihre Verbindung aber solche gewinnen. Hierbei werden wir nun durch die eigenthüm- lichen Bedingungen der Entwicklung der zeitlichen Vorstel- lungen von vornherein darauf hingewiesen, dass die Zeit- zeichen zu einem wesentlichen Theile Gefühlselemente sind. Denn bei dem Ablauf irgend einer rhythmischen Reihe ist jeder Eindruck unmittelbar durch das ihn be- gleitende Erwartungsgefühl charakterisirt, während die Em- pfindung nur insofern von Einfluss ist, als durch sie jenes Gefühl ausgelöst wird, wie man deutlich wahrnimmt, wenn eine plötzliche Unterbrechung einer rhythmischen Reihe ein- tritt. Unter den Empfindungen sind übrigens allein die Bewegungsempfindungen die nie fehlenden Bestand- theile aller Zeitvorstellungen: bei den Tastvorstellungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/200
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/200>, abgerufen am 22.11.2024.