Gebilden diese unverrückbare Ordnung nur auf das Verhält- niss der Raumelemente zu einander, nicht auf ihr Verhält- niss zum vorstellenden Subjecte bezog, ändert bei den zeit- lichen Gebilden jedes Element mit dem Verhältniss zu allen andern Elementen des nämlichen Gebildes immer auch sein Verhältniss zu dem vorstellenden Subjecte. Eine den Lage- änderungen der Raumgebilde analoge Veränderung gibt es daher bei der Zeit nicht.
2a. Diese Eigenschaft des absoluten, schlechthin nicht zu verändernden Verhältnisses jedes zeitlichen Gebildes und jedes noch so kleinen isolirt denkbaren Zeitelementes zum vorstellenden Subject ist es, die wir als das Fließen der Zeit bezeichnen. Denn vermöge dieses Fließens hat eben jeder durch irgend einen Empfindungsinhalt ausgefüllte Zeitmoment ein durch keinen andern Zeitmoment ersetzbares Verhältniss zum Vorstellenden, während umgekehrt beim Raume gerade die Möglichkeit der Ersetzbarkeit jedes Raumelementes in seinem Verhältniss zum vorstellenden Subject durch jedes beliebige andere die Vorstellung der Con- stanz oder, wie wir es mittelst der Uebertragung der Zeit- auf die Raumvorstellung ausdrücken, der absoluten Dauer erweckt. Innerhalb der Zeitanschauung selbst ist die Vorstellung einer absoluten Dauer, d. h. einer Zeit in welcher sich nichts verändert, schlechterdings unmöglich. Das Verhältniss zum Vorstellenden muss sich immer verändern. Dauernd nennen wir daher nur einen Eindruck, dessen einzelne Zeittheile einander ihrem Em- pfindungsinhalte nach vollständig gleichen, so dass sie sich bloß durch ihr Verhältniss zum Vorstellenden unter- scheiden. Deshalb ist die Dauer auf die Zeit selbst angewandt ein bloß relativer Begriff: eine Zeitvorstellung kann dauernder sein als eine andere; eine absolute Dauer aber kann keine Zeit- vorstellung haben, weil sich ohne jene doppelte Ordnung ver- schiedener Empfindungsinhalte zu einander und zum vorstellenden Subject überhaupt keine Zeitvorstellungen entwickeln könnten. Schon eine ungewöhnlich lange gleichförmig andauernde Em- pfindung lässt sich daher nicht festhalten; wir unterbrechen sie fortwährend durch andere Empfindungsinhalte.
§ 11. Die zeitlichen Vorstellungen.
Gebilden diese unverrückbare Ordnung nur auf das Verhält- niss der Raumelemente zu einander, nicht auf ihr Verhält- niss zum vorstellenden Subjecte bezog, ändert bei den zeit- lichen Gebilden jedes Element mit dem Verhältniss zu allen andern Elementen des nämlichen Gebildes immer auch sein Verhältniss zu dem vorstellenden Subjecte. Eine den Lage- änderungen der Raumgebilde analoge Veränderung gibt es daher bei der Zeit nicht.
2a. Diese Eigenschaft des absoluten, schlechthin nicht zu verändernden Verhältnisses jedes zeitlichen Gebildes und jedes noch so kleinen isolirt denkbaren Zeitelementes zum vorstellenden Subject ist es, die wir als das Fließen der Zeit bezeichnen. Denn vermöge dieses Fließens hat eben jeder durch irgend einen Empfindungsinhalt ausgefüllte Zeitmoment ein durch keinen andern Zeitmoment ersetzbares Verhältniss zum Vorstellenden, während umgekehrt beim Raume gerade die Möglichkeit der Ersetzbarkeit jedes Raumelementes in seinem Verhältniss zum vorstellenden Subject durch jedes beliebige andere die Vorstellung der Con- stanz oder, wie wir es mittelst der Uebertragung der Zeit- auf die Raumvorstellung ausdrücken, der absoluten Dauer erweckt. Innerhalb der Zeitanschauung selbst ist die Vorstellung einer absoluten Dauer, d. h. einer Zeit in welcher sich nichts verändert, schlechterdings unmöglich. Das Verhältniss zum Vorstellenden muss sich immer verändern. Dauernd nennen wir daher nur einen Eindruck, dessen einzelne Zeittheile einander ihrem Em- pfindungsinhalte nach vollständig gleichen, so dass sie sich bloß durch ihr Verhältniss zum Vorstellenden unter- scheiden. Deshalb ist die Dauer auf die Zeit selbst angewandt ein bloß relativer Begriff: eine Zeitvorstellung kann dauernder sein als eine andere; eine absolute Dauer aber kann keine Zeit- vorstellung haben, weil sich ohne jene doppelte Ordnung ver- schiedener Empfindungsinhalte zu einander und zum vorstellenden Subject überhaupt keine Zeitvorstellungen entwickeln könnten. Schon eine ungewöhnlich lange gleichförmig andauernde Em- pfindung lässt sich daher nicht festhalten; wir unterbrechen sie fortwährend durch andere Empfindungsinhalte.
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§ 11. Die zeitlichen Vorstellungen.
Gebilden diese unverrückbare Ordnung nur auf das Verhält-
niss der Raumelemente zu einander, nicht auf ihr Verhält-
niss zum vorstellenden Subjecte bezog, ändert bei den zeit-
lichen Gebilden jedes Element mit dem Verhältniss zu allen
andern Elementen des nämlichen Gebildes immer auch sein
Verhältniss zu dem vorstellenden Subjecte. Eine den Lage-
änderungen der Raumgebilde analoge Veränderung gibt es
daher bei der Zeit nicht.
2a. Diese Eigenschaft des absoluten, schlechthin nicht zu
verändernden Verhältnisses jedes zeitlichen Gebildes und jedes
noch so kleinen isolirt denkbaren Zeitelementes zum vorstellenden
Subject ist es, die wir als das Fließen der Zeit bezeichnen.
Denn vermöge dieses Fließens hat eben jeder durch irgend einen
Empfindungsinhalt ausgefüllte Zeitmoment ein durch keinen andern
Zeitmoment ersetzbares Verhältniss zum Vorstellenden, während
umgekehrt beim Raume gerade die Möglichkeit der Ersetzbarkeit
jedes Raumelementes in seinem Verhältniss zum vorstellenden
Subject durch jedes beliebige andere die Vorstellung der Con-
stanz oder, wie wir es mittelst der Uebertragung der Zeit- auf
die Raumvorstellung ausdrücken, der absoluten Dauer erweckt.
Innerhalb der Zeitanschauung selbst ist die Vorstellung einer
absoluten Dauer, d. h. einer Zeit in welcher sich nichts verändert,
schlechterdings unmöglich. Das Verhältniss zum Vorstellenden
muss sich immer verändern. Dauernd nennen wir daher nur
einen Eindruck, dessen einzelne Zeittheile einander ihrem Em-
pfindungsinhalte nach vollständig gleichen, so dass sie sich
bloß durch ihr Verhältniss zum Vorstellenden unter-
scheiden. Deshalb ist die Dauer auf die Zeit selbst angewandt
ein bloß relativer Begriff: eine Zeitvorstellung kann dauernder
sein als eine andere; eine absolute Dauer aber kann keine Zeit-
vorstellung haben, weil sich ohne jene doppelte Ordnung ver-
schiedener Empfindungsinhalte zu einander und zum vorstellenden
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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/185>, abgerufen am 16.02.2025.
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