des Auges liegt. Da nun kleine Theile einer größeren Kugelfläche als Ebenen erscheinen, so sind die auf einzelne Objecte bezogenen Flächenvorstellungen in der Regel ebene Vorstellungen: so z. B. auf einer Ebene gezeichnete Figuren, wie die der ebenen Geometrie. Sobald sich aber einzelne Theile derart von diesem allgemeinen Sehfelde ab- heben, dass sie vor oder hinter demselben, also in verschie- denen Sehfeldflächen localisirt werden, so geht damit die Flächen- in die Tiefenvorstellung über.
32a. Bezeichnen wir die bei der Convergenz von einem ferneren auf einen näheren oder von einem näheren auf einen ferneren Punkt entstehenden Verschmelzungen qualitativer Local- zeichen mit Convergenzempfindungen als die complexen Local- zeichen der Tiefe, so bilden dieselben für jedes System irgend- wie vor und hinter dem Fixirpunkt gelegener Punkte oder für einen ausgedehnten Körper, der nichts anderes als ein System der- artiger Punkte ist, ein regelmäßig geordnetes System, in welchem eine in bestimmter Entfernung befindliche stereometrische Form stets eindeutig durch ein bestimmtes Verschmelzungsproduct vertreten wird. Wie aber schon, wenn man von zwei in ver- schiedener Tiefe gelegenen Punkten einen fixirt, der andere durch entgegengesetzte Bildlage in beiden Augen und dem ent- sprechend durch complexe Localzeichen von entgegengesetzter Richtung charakterisirt ist, so findet das auch bei zusammen- hängenden Systemen von Punkten oder ausgedehnten Körpern statt. Wenn wir einen körperlich ausgedehnten Gegenstand be- trachten, so entwirft derselbe in beiden Augen Bilder, die, wegen der verschiedenen Orientirung des Körpers zu jedem Auge, von einander verschieden sind. Bezeichnet man daher die Lage- differenz eines Bildpunktes im einen von der im andern Auge als binoculare Parallaxe, so ist diese nur für den fixirten Punkt sowie für diejenigen Punkte, die auf der Orientirungslinie gleich weit entfernt liegen wie jener, gleich null; für alle andern Punkte aber hat sie einen bestimmten positiven oder negativen Werth, je nachdem dieselben ferner oder näher sind als der Fixationspunkt. Wenn wir körperlich ausgedehnte Objecte bino-
II. Die psychischen Gebilde.
des Auges liegt. Da nun kleine Theile einer größeren Kugelfläche als Ebenen erscheinen, so sind die auf einzelne Objecte bezogenen Flächenvorstellungen in der Regel ebene Vorstellungen: so z. B. auf einer Ebene gezeichnete Figuren, wie die der ebenen Geometrie. Sobald sich aber einzelne Theile derart von diesem allgemeinen Sehfelde ab- heben, dass sie vor oder hinter demselben, also in verschie- denen Sehfeldflächen localisirt werden, so geht damit die Flächen- in die Tiefenvorstellung über.
32a. Bezeichnen wir die bei der Convergenz von einem ferneren auf einen näheren oder von einem näheren auf einen ferneren Punkt entstehenden Verschmelzungen qualitativer Local- zeichen mit Convergenzempfindungen als die complexen Local- zeichen der Tiefe, so bilden dieselben für jedes System irgend- wie vor und hinter dem Fixirpunkt gelegener Punkte oder für einen ausgedehnten Körper, der nichts anderes als ein System der- artiger Punkte ist, ein regelmäßig geordnetes System, in welchem eine in bestimmter Entfernung befindliche stereometrische Form stets eindeutig durch ein bestimmtes Verschmelzungsproduct vertreten wird. Wie aber schon, wenn man von zwei in ver- schiedener Tiefe gelegenen Punkten einen fixirt, der andere durch entgegengesetzte Bildlage in beiden Augen und dem ent- sprechend durch complexe Localzeichen von entgegengesetzter Richtung charakterisirt ist, so findet das auch bei zusammen- hängenden Systemen von Punkten oder ausgedehnten Körpern statt. Wenn wir einen körperlich ausgedehnten Gegenstand be- trachten, so entwirft derselbe in beiden Augen Bilder, die, wegen der verschiedenen Orientirung des Körpers zu jedem Auge, von einander verschieden sind. Bezeichnet man daher die Lage- differenz eines Bildpunktes im einen von der im andern Auge als binoculare Parallaxe, so ist diese nur für den fixirten Punkt sowie für diejenigen Punkte, die auf der Orientirungslinie gleich weit entfernt liegen wie jener, gleich null; für alle andern Punkte aber hat sie einen bestimmten positiven oder negativen Werth, je nachdem dieselben ferner oder näher sind als der Fixationspunkt. Wenn wir körperlich ausgedehnte Objecte bino-
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II. Die psychischen Gebilde.
des Auges liegt. Da nun kleine Theile einer größeren
Kugelfläche als Ebenen erscheinen, so sind die auf einzelne
Objecte bezogenen Flächenvorstellungen in der Regel ebene
Vorstellungen: so z. B. auf einer Ebene gezeichnete
Figuren, wie die der ebenen Geometrie. Sobald sich aber
einzelne Theile derart von diesem allgemeinen Sehfelde ab-
heben, dass sie vor oder hinter demselben, also in verschie-
denen Sehfeldflächen localisirt werden, so geht damit die
Flächen- in die Tiefenvorstellung über.
32a. Bezeichnen wir die bei der Convergenz von einem
ferneren auf einen näheren oder von einem näheren auf einen
ferneren Punkt entstehenden Verschmelzungen qualitativer Local-
zeichen mit Convergenzempfindungen als die complexen Local-
zeichen der Tiefe, so bilden dieselben für jedes System irgend-
wie vor und hinter dem Fixirpunkt gelegener Punkte oder für
einen ausgedehnten Körper, der nichts anderes als ein System der-
artiger Punkte ist, ein regelmäßig geordnetes System, in welchem
eine in bestimmter Entfernung befindliche stereometrische Form
stets eindeutig durch ein bestimmtes Verschmelzungsproduct
vertreten wird. Wie aber schon, wenn man von zwei in ver-
schiedener Tiefe gelegenen Punkten einen fixirt, der andere
durch entgegengesetzte Bildlage in beiden Augen und dem ent-
sprechend durch complexe Localzeichen von entgegengesetzter
Richtung charakterisirt ist, so findet das auch bei zusammen-
hängenden Systemen von Punkten oder ausgedehnten Körpern
statt. Wenn wir einen körperlich ausgedehnten Gegenstand be-
trachten, so entwirft derselbe in beiden Augen Bilder, die, wegen
der verschiedenen Orientirung des Körpers zu jedem Auge, von
einander verschieden sind. Bezeichnet man daher die Lage-
differenz eines Bildpunktes im einen von der im andern Auge
als binoculare Parallaxe, so ist diese nur für den fixirten
Punkt sowie für diejenigen Punkte, die auf der Orientirungslinie
gleich weit entfernt liegen wie jener, gleich null; für alle andern
Punkte aber hat sie einen bestimmten positiven oder negativen
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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/178>, abgerufen am 16.02.2025.
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