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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 10. Die räumlichen Vorstellungen.
wo es sich um viel feinere Abstufungen handelt, noch weit mehr
geeignet sein wird die Unterscheidung der qualitativen Differenzen
als solcher zu beeinträchtigen. Eine Bestätigung dieser Auf-
fassung darf man wohl in der Thatsache sehen, dass auch jene
deutlich nachweisbaren Empfindungsunterschiede in größeren Di-
stanzen vom Netzhautcentrum doch nur bei geeigneter Einwir-
kung begrenzter Objecte beobachtet werden können, während sie
bei der Betrachtung einer gleichmäßigen farbigen Oberfläche voll-
kommen verschwinden. Bei diesem Verschwinden qualitativer
Unterschiede, die an und für sich sehr bedeutend sind, wird die
Beziehung auf locale Unterschiede wenigstens als ein mitwirken-
der Factor angesehen werden müssen. Wenn aber schon relativ
große Unterschiede in Folge dieser Beziehung so verschwinden,
dass sie besonderer Versuchsmethoden zu ihrer Nachweisung be-
dürfen, so wird man an diese Nachweisung bei sehr kleinen
Unterschieden überhaupt nicht mehr denken können.

23. Nehmen wir demnach qualitative Localzeichen an,
die nach Maßgabe der durch die Sehschärfe gegebenen
Daten, im Netzhautcentrum also am feinsten und gegen
die Netzhautperipherie immer langsamer, sich abstufen, so
kann die Entstehung der räumlichen Ordnung der Licht-
eindrücke als eine Einordnung dieses nach zwei Dimen-
sionen geordneten Localzeichensystems in ein intensiv ab-
gestuftes System von Bewegungsempfindungen gedeutet
werden. Für je zwei Localzeichen a und b wird die bei der
Durchmessung der Strecke a b entstehende Bewegungs-
empfindung a ein Maß der linearen Raumgröße a b sein,
insofern z. B. einer größeren Strecke a c eine intensivere
Bewegungsempfindung g entsprechen muss. Wie aber am
tastenden Finger der Punkt der feinsten Unterscheidung
zum Mittelpunkt der Orientirung wird, so wird im Auge
dem Netzhautcentrum die Bedeutung eines solchen Mittel-
punktes zukommen. In der That findet dies gerade beim
Auge noch deutlicher als beim Tastorgan in den Gesetzen
der Bewegung seinen Ausdruck. Jeder leuchtende Punkt im

§ 10. Die räumlichen Vorstellungen.
wo es sich um viel feinere Abstufungen handelt, noch weit mehr
geeignet sein wird die Unterscheidung der qualitativen Differenzen
als solcher zu beeinträchtigen. Eine Bestätigung dieser Auf-
fassung darf man wohl in der Thatsache sehen, dass auch jene
deutlich nachweisbaren Empfindungsunterschiede in größeren Di-
stanzen vom Netzhautcentrum doch nur bei geeigneter Einwir-
kung begrenzter Objecte beobachtet werden können, während sie
bei der Betrachtung einer gleichmäßigen farbigen Oberfläche voll-
kommen verschwinden. Bei diesem Verschwinden qualitativer
Unterschiede, die an und für sich sehr bedeutend sind, wird die
Beziehung auf locale Unterschiede wenigstens als ein mitwirken-
der Factor angesehen werden müssen. Wenn aber schon relativ
große Unterschiede in Folge dieser Beziehung so verschwinden,
dass sie besonderer Versuchsmethoden zu ihrer Nachweisung be-
dürfen, so wird man an diese Nachweisung bei sehr kleinen
Unterschieden überhaupt nicht mehr denken können.

23. Nehmen wir demnach qualitative Localzeichen an,
die nach Maßgabe der durch die Sehschärfe gegebenen
Daten, im Netzhautcentrum also am feinsten und gegen
die Netzhautperipherie immer langsamer, sich abstufen, so
kann die Entstehung der räumlichen Ordnung der Licht-
eindrücke als eine Einordnung dieses nach zwei Dimen-
sionen geordneten Localzeichensystems in ein intensiv ab-
gestuftes System von Bewegungsempfindungen gedeutet
werden. Für je zwei Localzeichen a und b wird die bei der
Durchmessung der Strecke a b entstehende Bewegungs-
empfindung α ein Maß der linearen Raumgröße a b sein,
insofern z. B. einer größeren Strecke a c eine intensivere
Bewegungsempfindung γ entsprechen muss. Wie aber am
tastenden Finger der Punkt der feinsten Unterscheidung
zum Mittelpunkt der Orientirung wird, so wird im Auge
dem Netzhautcentrum die Bedeutung eines solchen Mittel-
punktes zukommen. In der That findet dies gerade beim
Auge noch deutlicher als beim Tastorgan in den Gesetzen
der Bewegung seinen Ausdruck. Jeder leuchtende Punkt im

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[151/0167] § 10. Die räumlichen Vorstellungen. wo es sich um viel feinere Abstufungen handelt, noch weit mehr geeignet sein wird die Unterscheidung der qualitativen Differenzen als solcher zu beeinträchtigen. Eine Bestätigung dieser Auf- fassung darf man wohl in der Thatsache sehen, dass auch jene deutlich nachweisbaren Empfindungsunterschiede in größeren Di- stanzen vom Netzhautcentrum doch nur bei geeigneter Einwir- kung begrenzter Objecte beobachtet werden können, während sie bei der Betrachtung einer gleichmäßigen farbigen Oberfläche voll- kommen verschwinden. Bei diesem Verschwinden qualitativer Unterschiede, die an und für sich sehr bedeutend sind, wird die Beziehung auf locale Unterschiede wenigstens als ein mitwirken- der Factor angesehen werden müssen. Wenn aber schon relativ große Unterschiede in Folge dieser Beziehung so verschwinden, dass sie besonderer Versuchsmethoden zu ihrer Nachweisung be- dürfen, so wird man an diese Nachweisung bei sehr kleinen Unterschieden überhaupt nicht mehr denken können. 23. Nehmen wir demnach qualitative Localzeichen an, die nach Maßgabe der durch die Sehschärfe gegebenen Daten, im Netzhautcentrum also am feinsten und gegen die Netzhautperipherie immer langsamer, sich abstufen, so kann die Entstehung der räumlichen Ordnung der Licht- eindrücke als eine Einordnung dieses nach zwei Dimen- sionen geordneten Localzeichensystems in ein intensiv ab- gestuftes System von Bewegungsempfindungen gedeutet werden. Für je zwei Localzeichen a und b wird die bei der Durchmessung der Strecke a b entstehende Bewegungs- empfindung α ein Maß der linearen Raumgröße a b sein, insofern z. B. einer größeren Strecke a c eine intensivere Bewegungsempfindung γ entsprechen muss. Wie aber am tastenden Finger der Punkt der feinsten Unterscheidung zum Mittelpunkt der Orientirung wird, so wird im Auge dem Netzhautcentrum die Bedeutung eines solchen Mittel- punktes zukommen. In der That findet dies gerade beim Auge noch deutlicher als beim Tastorgan in den Gesetzen der Bewegung seinen Ausdruck. Jeder leuchtende Punkt im

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/167>, abgerufen am 22.11.2024.