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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 9. Die intensiven Vorstellungen.
ist, so nennen wir die Verschmelzung eine vollkommene;
tritt dagegen das Element nur gegenüber dem Eindruck
des Ganzen zurück, während es doch in der ihm eigenen
Qualität unmittelbar erkennbar bleibt, so nennen wir sie
eine unvollkommene. Treten endlich bestimmte Ele-
mente mehr als andere in der ihnen eigenthümlichen
Qualität hervor, so nennen wir diese die herrschenden
Elemente
. Der Begriff der Verschmelzung in dem hier
definirten Sinne ist hiernach ein psychologischer Begriff:
er setzt voraus, dass die verschmelzenden Elemente in der
Vorstellung wirklich subjectiv nachweisbar sind; er darf
daher selbstverständlich nicht mit dem ganz heterogenen
und rein physiologischen der Verschmelzung äußerer Ein-
drücke zu einem resultirenden Reizungsvorgange vermengt
werden. Wenn sich z. B. Complementärfarben zu Weiß ver-
binden, so ist das natürlich keine psychologische Ver-
schmelzung.

In der Wirklichkeit gehen alle intensiven Vorstellungen
immer zugleich gewisse räumliche und zeitliche Verbin-
dungen ei[n]. So ist uns z. B. ein Zusammenklang stets als
ein in der Zeit dauernder Vorgang gegeben, den wir zu-
gleich, wenn auch häufig nur unbestimmt, auf irgend eine
Richtung im Raum beziehen. Aber da diese zeitlichen und
räumlichen Eigenschaften bei gleicher intensiver Beschaffen-
heit der Vorstellungen beliebig wechseln können, so ab-
strahirt man von ihnen bei der Untersuchung der intensiven
Eigenschaften der Vorstellungen.

2. Bei den Vorstellungen des allgemeinen Sinnes
kommen intensive Verschmelzungen als Verbindungen von
Druck- mit Wärme- oder Kälteempfindungen, von Druck-
oder Temperatur- mit Schmerzempfindungen vor. Diese
Verschmelzungen sind durchweg unvollkommene, und manch-
mal tritt nicht einmal ein herrschendes Element entschieden

§ 9. Die intensiven Vorstellungen.
ist, so nennen wir die Verschmelzung eine vollkommene;
tritt dagegen das Element nur gegenüber dem Eindruck
des Ganzen zurück, während es doch in der ihm eigenen
Qualität unmittelbar erkennbar bleibt, so nennen wir sie
eine unvollkommene. Treten endlich bestimmte Ele-
mente mehr als andere in der ihnen eigenthümlichen
Qualität hervor, so nennen wir diese die herrschenden
Elemente
. Der Begriff der Verschmelzung in dem hier
definirten Sinne ist hiernach ein psychologischer Begriff:
er setzt voraus, dass die verschmelzenden Elemente in der
Vorstellung wirklich subjectiv nachweisbar sind; er darf
daher selbstverständlich nicht mit dem ganz heterogenen
und rein physiologischen der Verschmelzung äußerer Ein-
drücke zu einem resultirenden Reizungsvorgange vermengt
werden. Wenn sich z. B. Complementärfarben zu Weiß ver-
binden, so ist das natürlich keine psychologische Ver-
schmelzung.

In der Wirklichkeit gehen alle intensiven Vorstellungen
immer zugleich gewisse räumliche und zeitliche Verbin-
dungen ei[n]. So ist uns z. B. ein Zusammenklang stets als
ein in der Zeit dauernder Vorgang gegeben, den wir zu-
gleich, wenn auch häufig nur unbestimmt, auf irgend eine
Richtung im Raum beziehen. Aber da diese zeitlichen und
räumlichen Eigenschaften bei gleicher intensiver Beschaffen-
heit der Vorstellungen beliebig wechseln können, so ab-
strahirt man von ihnen bei der Untersuchung der intensiven
Eigenschaften der Vorstellungen.

2. Bei den Vorstellungen des allgemeinen Sinnes
kommen intensive Verschmelzungen als Verbindungen von
Druck- mit Wärme- oder Kälteempfindungen, von Druck-
oder Temperatur- mit Schmerzempfindungen vor. Diese
Verschmelzungen sind durchweg unvollkommene, und manch-
mal tritt nicht einmal ein herrschendes Element entschieden

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[111/0127] § 9. Die intensiven Vorstellungen. ist, so nennen wir die Verschmelzung eine vollkommene; tritt dagegen das Element nur gegenüber dem Eindruck des Ganzen zurück, während es doch in der ihm eigenen Qualität unmittelbar erkennbar bleibt, so nennen wir sie eine unvollkommene. Treten endlich bestimmte Ele- mente mehr als andere in der ihnen eigenthümlichen Qualität hervor, so nennen wir diese die herrschenden Elemente. Der Begriff der Verschmelzung in dem hier definirten Sinne ist hiernach ein psychologischer Begriff: er setzt voraus, dass die verschmelzenden Elemente in der Vorstellung wirklich subjectiv nachweisbar sind; er darf daher selbstverständlich nicht mit dem ganz heterogenen und rein physiologischen der Verschmelzung äußerer Ein- drücke zu einem resultirenden Reizungsvorgange vermengt werden. Wenn sich z. B. Complementärfarben zu Weiß ver- binden, so ist das natürlich keine psychologische Ver- schmelzung. In der Wirklichkeit gehen alle intensiven Vorstellungen immer zugleich gewisse räumliche und zeitliche Verbin- dungen ein. So ist uns z. B. ein Zusammenklang stets als ein in der Zeit dauernder Vorgang gegeben, den wir zu- gleich, wenn auch häufig nur unbestimmt, auf irgend eine Richtung im Raum beziehen. Aber da diese zeitlichen und räumlichen Eigenschaften bei gleicher intensiver Beschaffen- heit der Vorstellungen beliebig wechseln können, so ab- strahirt man von ihnen bei der Untersuchung der intensiven Eigenschaften der Vorstellungen. 2. Bei den Vorstellungen des allgemeinen Sinnes kommen intensive Verschmelzungen als Verbindungen von Druck- mit Wärme- oder Kälteempfindungen, von Druck- oder Temperatur- mit Schmerzempfindungen vor. Diese Verschmelzungen sind durchweg unvollkommene, und manch- mal tritt nicht einmal ein herrschendes Element entschieden

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/127>, abgerufen am 25.11.2024.