2a. Diese Schwierigkeit hat manche Psychologen veranlasst, die Existenz eines reinen Gefühlstones überhaupt zu bestreiten. Sie behaupten, jede Empfindung erwecke irgend welche begleitende Vorstellungen, durch die immer erst die Gefühlswirkung zu Stande komme. Aber dieser Ansicht widersprechen schon bei den Lichtempfindungen die Ergebnisse der experimentellen Vari- ation der Bedingungen. Wären begleitende Vorstellungen allein für das Gefühl maßgebend, so müsste dieses jeweils dann am stärksten sein, wenn der Empfindungsinhalt des Eindrucks dem jener Vorstellungen möglichst ähnlich wäre. Dies ist aber durch- aus nicht der Fall. Vielmehr ist der Gefühlston einer Farbe dann am größten, wenn ihr Sättigungsgrad ein Maximum erreicht. Den stärksten Gefühlston zeigen daher die reinen im Dunkelraum beobachteten Spektralfarben. Diese sind aber zumeist sehr ver- schieden von den Farben der Naturgegenstände, auf die sich be- gleitende Vorstellungen beziehen können. Ebenso wenig lässt sich die ausschließliche Zurückführung der Tongefühle auf solche Vorstellungen aufrecht erhalten. Denn so zweifellos schon bei einem einzelnen Ton bekannte musikalische Vorstellungen erweckt werden können, so ist doch umgekehrt die Constanz, mit der gewisse Tonqualitäten zum Ausdruck bestimmter Gefühle, z. B. tiefe Töne zum Ausdruck des Ernstes und der Trauer, gewählt werden, nur begreiflich, wenn bereits den einfachen Tonempfin- dungen der entsprechende Gefühlston zukommt. Noch augen- scheinlicher wird der Cirkel, in dem man sich bei dieser Ableitung aus begleitenden Vorstellungen bewegt, bei den Em- pfindungen des Geruchs, des Geschmacks und des allgemeinen Sinnes. Wenn z. B. der angenehme oder der unangenehme Ge- fühlston einer Geschmacksempfindung durch die Erinnerung an den nämlichen, früher schon erlebten Eindruck gesteigert werden soll, so ist dies doch nur dadurch möglich, dass uns dieser Ein- druck schon bei jener früheren Einwirkung angenehm oder un- angenehm war.
3. Die Mannigfaltigkeit der einfachen sinnlichen Gefühle ist eine überaus große. Hierbei bilden die Gefühle, die einem bestimmten Empfindungssystem entsprechen, ebenfalls ein System, indem jeder qualitativen oder intensiven Aenderung
§ 7. Die einfachen Gefühle.
2a. Diese Schwierigkeit hat manche Psychologen veranlasst, die Existenz eines reinen Gefühlstones überhaupt zu bestreiten. Sie behaupten, jede Empfindung erwecke irgend welche begleitende Vorstellungen, durch die immer erst die Gefühlswirkung zu Stande komme. Aber dieser Ansicht widersprechen schon bei den Lichtempfindungen die Ergebnisse der experimentellen Vari- ation der Bedingungen. Wären begleitende Vorstellungen allein für das Gefühl maßgebend, so müsste dieses jeweils dann am stärksten sein, wenn der Empfindungsinhalt des Eindrucks dem jener Vorstellungen möglichst ähnlich wäre. Dies ist aber durch- aus nicht der Fall. Vielmehr ist der Gefühlston einer Farbe dann am größten, wenn ihr Sättigungsgrad ein Maximum erreicht. Den stärksten Gefühlston zeigen daher die reinen im Dunkelraum beobachteten Spektralfarben. Diese sind aber zumeist sehr ver- schieden von den Farben der Naturgegenstände, auf die sich be- gleitende Vorstellungen beziehen können. Ebenso wenig lässt sich die ausschließliche Zurückführung der Tongefühle auf solche Vorstellungen aufrecht erhalten. Denn so zweifellos schon bei einem einzelnen Ton bekannte musikalische Vorstellungen erweckt werden können, so ist doch umgekehrt die Constanz, mit der gewisse Tonqualitäten zum Ausdruck bestimmter Gefühle, z. B. tiefe Töne zum Ausdruck des Ernstes und der Trauer, gewählt werden, nur begreiflich, wenn bereits den einfachen Tonempfin- dungen der entsprechende Gefühlston zukommt. Noch augen- scheinlicher wird der Cirkel, in dem man sich bei dieser Ableitung aus begleitenden Vorstellungen bewegt, bei den Em- pfindungen des Geruchs, des Geschmacks und des allgemeinen Sinnes. Wenn z. B. der angenehme oder der unangenehme Ge- fühlston einer Geschmacksempfindung durch die Erinnerung an den nämlichen, früher schon erlebten Eindruck gesteigert werden soll, so ist dies doch nur dadurch möglich, dass uns dieser Ein- druck schon bei jener früheren Einwirkung angenehm oder un- angenehm war.
3. Die Mannigfaltigkeit der einfachen sinnlichen Gefühle ist eine überaus große. Hierbei bilden die Gefühle, die einem bestimmten Empfindungssystem entsprechen, ebenfalls ein System, indem jeder qualitativen oder intensiven Aenderung
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§ 7. Die einfachen Gefühle.
2a. Diese Schwierigkeit hat manche Psychologen veranlasst,
die Existenz eines reinen Gefühlstones überhaupt zu bestreiten. Sie
behaupten, jede Empfindung erwecke irgend welche begleitende
Vorstellungen, durch die immer erst die Gefühlswirkung zu
Stande komme. Aber dieser Ansicht widersprechen schon bei
den Lichtempfindungen die Ergebnisse der experimentellen Vari-
ation der Bedingungen. Wären begleitende Vorstellungen allein
für das Gefühl maßgebend, so müsste dieses jeweils dann am
stärksten sein, wenn der Empfindungsinhalt des Eindrucks dem
jener Vorstellungen möglichst ähnlich wäre. Dies ist aber durch-
aus nicht der Fall. Vielmehr ist der Gefühlston einer Farbe
dann am größten, wenn ihr Sättigungsgrad ein Maximum erreicht.
Den stärksten Gefühlston zeigen daher die reinen im Dunkelraum
beobachteten Spektralfarben. Diese sind aber zumeist sehr ver-
schieden von den Farben der Naturgegenstände, auf die sich be-
gleitende Vorstellungen beziehen können. Ebenso wenig lässt
sich die ausschließliche Zurückführung der Tongefühle auf solche
Vorstellungen aufrecht erhalten. Denn so zweifellos schon bei
einem einzelnen Ton bekannte musikalische Vorstellungen erweckt
werden können, so ist doch umgekehrt die Constanz, mit der
gewisse Tonqualitäten zum Ausdruck bestimmter Gefühle, z. B.
tiefe Töne zum Ausdruck des Ernstes und der Trauer, gewählt
werden, nur begreiflich, wenn bereits den einfachen Tonempfin-
dungen der entsprechende Gefühlston zukommt. Noch augen-
scheinlicher wird der Cirkel, in dem man sich bei dieser
Ableitung aus begleitenden Vorstellungen bewegt, bei den Em-
pfindungen des Geruchs, des Geschmacks und des allgemeinen
Sinnes. Wenn z. B. der angenehme oder der unangenehme Ge-
fühlston einer Geschmacksempfindung durch die Erinnerung an
den nämlichen, früher schon erlebten Eindruck gesteigert werden
soll, so ist dies doch nur dadurch möglich, dass uns dieser Ein-
druck schon bei jener früheren Einwirkung angenehm oder un-
angenehm war.
3. Die Mannigfaltigkeit der einfachen sinnlichen Gefühle
ist eine überaus große. Hierbei bilden die Gefühle, die einem
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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/107>, abgerufen am 25.11.2024.
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