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Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

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len wir zu einem Freunde, ihm unsre Noth zu
klagen, und Hülfe von ihm zu erflehn, und fin-
den ihn kalt und träge, und verdroßen? Was
vermag nicht oft Menschenfurcht und Menschen-
gefälligkeit, um die Freunde eines Unglücklichen
ihm abwendig zu machen, ihnen allen Muth, al-
les Vermögen zum Beistande zu rauben? --
Wie viele Nachfolger des Verräthers Judas ha-
ben alle Zeiten aufzuweisen; so sehr auch seine
That durch die Stimme der menschlichen Natur
verdammt wird? Eigennutz und Geiz, Ehrsucht,
zum Zorn gereizte Empfindlichkeit, Lasterliebe al-
ler Art; -- wie ost machen sie nicht die Men-
schen gegen ihre besten Freunde treulos? Fürs
Geld schwört dieser einen Meineid gegen Unschul-
dige; und jener verläumdet seinen Freund, um
sich in seine Ehrenstelle zu drängen: der unge-
rathne Sohn, und die ausschweifende Tochter,
tödten durch den Gram über ihre Laster, ihre
gebeugten Eltern. -- Um Mehr oder Weni-
ger,
fordert der Habsüchtige seine nächsten
Blutsverwandten vors Gericht, bietet für die
ungerechteste Sache alles auf, und siegt über
die Unschuldigen. -- Noch mehr: die bereitwil-
ligste Hülfe unsrer Freunde, ist oft unvermögend
unsre Leiden zu heben. Dort stehn die mitleidi-

gen



len wir zu einem Freunde, ihm unſre Noth zu
klagen, und Hülfe von ihm zu erflehn, und fin-
den ihn kalt und träge, und verdroßen? Was
vermag nicht oft Menſchenfurcht und Menſchen-
gefälligkeit, um die Freunde eines Unglücklichen
ihm abwendig zu machen, ihnen allen Muth, al-
les Vermögen zum Beiſtande zu rauben? —
Wie viele Nachfolger des Verräthers Judas ha-
ben alle Zeiten aufzuweiſen; ſo ſehr auch ſeine
That durch die Stimme der menſchlichen Natur
verdammt wird? Eigennutz und Geiz, Ehrſucht,
zum Zorn gereizte Empfindlichkeit, Laſterliebe al-
ler Art; — wie oſt machen ſie nicht die Men-
ſchen gegen ihre beſten Freunde treulos? Fürs
Geld ſchwört dieſer einen Meineid gegen Unſchul-
dige; und jener verläumdet ſeinen Freund, um
ſich in ſeine Ehrenſtelle zu drängen: der unge-
rathne Sohn, und die ausſchweifende Tochter,
tödten durch den Gram über ihre Laſter, ihre
gebeugten Eltern. — Um Mehr oder Weni-
ger,
fordert der Habſüchtige ſeine nächſten
Blutsverwandten vors Gericht, bietet für die
ungerechteſte Sache alles auf, und ſiegt über
die Unſchuldigen. — Noch mehr: die bereitwil-
ligſte Hülfe unſrer Freunde, iſt oft unvermögend
unſre Leiden zu heben. Dort ſtehn die mitleidi-

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[226/0278] len wir zu einem Freunde, ihm unſre Noth zu klagen, und Hülfe von ihm zu erflehn, und fin- den ihn kalt und träge, und verdroßen? Was vermag nicht oft Menſchenfurcht und Menſchen- gefälligkeit, um die Freunde eines Unglücklichen ihm abwendig zu machen, ihnen allen Muth, al- les Vermögen zum Beiſtande zu rauben? — Wie viele Nachfolger des Verräthers Judas ha- ben alle Zeiten aufzuweiſen; ſo ſehr auch ſeine That durch die Stimme der menſchlichen Natur verdammt wird? Eigennutz und Geiz, Ehrſucht, zum Zorn gereizte Empfindlichkeit, Laſterliebe al- ler Art; — wie oſt machen ſie nicht die Men- ſchen gegen ihre beſten Freunde treulos? Fürs Geld ſchwört dieſer einen Meineid gegen Unſchul- dige; und jener verläumdet ſeinen Freund, um ſich in ſeine Ehrenſtelle zu drängen: der unge- rathne Sohn, und die ausſchweifende Tochter, tödten durch den Gram über ihre Laſter, ihre gebeugten Eltern. — Um Mehr oder Weni- ger, fordert der Habſüchtige ſeine nächſten Blutsverwandten vors Gericht, bietet für die ungerechteſte Sache alles auf, und ſiegt über die Unſchuldigen. — Noch mehr: die bereitwil- ligſte Hülfe unſrer Freunde, iſt oft unvermögend unſre Leiden zu heben. Dort ſtehn die mitleidi- gen

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Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/278>, abgerufen am 25.11.2024.