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Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

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feinen Richter, zu treten? Vor dem Tode ist
keine Rettung; vor jener Welt, keine Flucht:
vor dem Allwißenden und Allerheiligsten keine
Verstellung, und keine Entschuldigung. Ach,
nicht nur der verhärtete Sünder hat dann Ursa-
che zu erschrecken! Wer kann seine Hände in Un-
schuld waschen? wer auf jeden Tag, auf jede
Stunde seines Lebens mit ganz ruhigem Gewißen
zurückesehn? wer, sich jedes Gedankens, jeder
That, ohne Beschämung und Reue erinnern?
Wer hätte sich, durch die sorgfältigste Tugend,
auch nur Eine Freude des ewigen Lebens verdient?
Der Tod, und der Anblick des Richters, demü-
thigt uns tief, und wären wir noch so stolz auf
unsre Tugend gewesen: Vergebung bei Men-
schen, bürgt uns noch nicht für die Vergebung
bei Gott: Ruhm vor der ganzen Welt, ist uns noch
keine Empfehlung in den Augen Gottes: der zärt-
lichste Zuspruch unsrer Freunde, tröstet und be-
ruhigt uns nicht über das Schicksal der Ewigkeit.
Was wären wir doch dann ohne der Gnade des
Allbarmherzigen, bei dem unendlich viel Mitleid
und Vergebung ist? -- An jenem Tage endlich,
wenn die Stimme Gottes die Todten aus den
Gräbern weckt; wenn die Völker alle vor dem
Throne des Richters stehn, ihr Urtheil zu em-

pfahn,



feinen Richter, zu treten? Vor dem Tode iſt
keine Rettung; vor jener Welt, keine Flucht:
vor dem Allwißenden und Allerheiligſten keine
Verſtellung, und keine Entſchuldigung. Ach,
nicht nur der verhärtete Sünder hat dann Urſa-
che zu erſchrecken! Wer kann ſeine Hände in Un-
ſchuld waſchen? wer auf jeden Tag, auf jede
Stunde ſeines Lebens mit ganz ruhigem Gewißen
zurückeſehn? wer, ſich jedes Gedankens, jeder
That, ohne Beſchämung und Reue erinnern?
Wer hätte ſich, durch die ſorgfältigſte Tugend,
auch nur Eine Freude des ewigen Lebens verdient?
Der Tod, und der Anblick des Richters, demü-
thigt uns tief, und wären wir noch ſo ſtolz auf
unſre Tugend geweſen: Vergebung bei Men-
ſchen, bürgt uns noch nicht für die Vergebung
bei Gott: Ruhm vor der ganzen Welt, iſt uns noch
keine Empfehlung in den Augen Gottes: der zärt-
lichſte Zuſpruch unſrer Freunde, tröſtet und be-
ruhigt uns nicht über das Schickſal der Ewigkeit.
Was wären wir doch dann ohne der Gnade des
Allbarmherzigen, bei dem unendlich viel Mitleid
und Vergebung iſt? — An jenem Tage endlich,
wenn die Stimme Gottes die Todten aus den
Gräbern weckt; wenn die Völker alle vor dem
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[130/0182] feinen Richter, zu treten? Vor dem Tode iſt keine Rettung; vor jener Welt, keine Flucht: vor dem Allwißenden und Allerheiligſten keine Verſtellung, und keine Entſchuldigung. Ach, nicht nur der verhärtete Sünder hat dann Urſa- che zu erſchrecken! Wer kann ſeine Hände in Un- ſchuld waſchen? wer auf jeden Tag, auf jede Stunde ſeines Lebens mit ganz ruhigem Gewißen zurückeſehn? wer, ſich jedes Gedankens, jeder That, ohne Beſchämung und Reue erinnern? Wer hätte ſich, durch die ſorgfältigſte Tugend, auch nur Eine Freude des ewigen Lebens verdient? Der Tod, und der Anblick des Richters, demü- thigt uns tief, und wären wir noch ſo ſtolz auf unſre Tugend geweſen: Vergebung bei Men- ſchen, bürgt uns noch nicht für die Vergebung bei Gott: Ruhm vor der ganzen Welt, iſt uns noch keine Empfehlung in den Augen Gottes: der zärt- lichſte Zuſpruch unſrer Freunde, tröſtet und be- ruhigt uns nicht über das Schickſal der Ewigkeit. Was wären wir doch dann ohne der Gnade des Allbarmherzigen, bei dem unendlich viel Mitleid und Vergebung iſt? — An jenem Tage endlich, wenn die Stimme Gottes die Todten aus den Gräbern weckt; wenn die Völker alle vor dem Throne des Richters ſtehn, ihr Urtheil zu em- pfahn,

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Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/182>, abgerufen am 24.11.2024.