Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite



aber weit tiefer versinkt die ganze sichtbare Welt
unter unserm unsterblichen Geiste. Umsonst ru-
fen die Thränen und Seufzer unsrer Geliebten
uns zurück; unser brechendes Herz ringt mit dem
lezten Odemzuge; der Augenblick, der ihn erstickt,
schwebt schon furchtbar vor dem halbgebrochnen
Auge. -- Wie sollte der Muthigste nicht da die
Standhaftigkeit verlieren? Wie der Stärkste da
nicht erliegen? -- Das Grab ist dunkel, die
Verwesung im Staube ist freudenleer, ist schreck-
lich! aber, was noch weit mehr sagen will: der
Tod ist der Sünde Sold,
und jenseit des Gra-
bes geht ein ewiges Leben der Vergeltung
auf. Ach! wer hat auch nur Eine schwere Sün-
de auf sein Gewißen geladen, die ihn in der
Stunde des Todes nicht wie eine Felsenlast drük-
ken sollte? Wer hat, weil er lebte, diese Welt
voll Sinnenfreuden lieb gewonnen; und sollte
nicht zittern, sie mit einer andern zu vertauschen,
in welcher sich das ungerechte Gut in ewigen
Verlust, und jede Sündenfreude in namen-
lose Reue und Marter verwandelt? Wer hat
je auch nur Tage lang, unter dem Geräusche des
Lebens, seines Gottes vergessen, und seine Liebe
verschmäht, und seine Gebote verachtet; und soll-
te nicht erschrecken, nun vor den Allerheiligsten,

sei-
J



aber weit tiefer verſinkt die ganze ſichtbare Welt
unter unſerm unſterblichen Geiſte. Umſonſt ru-
fen die Thränen und Seufzer unſrer Geliebten
uns zurück; unſer brechendes Herz ringt mit dem
lezten Odemzuge; der Augenblick, der ihn erſtickt,
ſchwebt ſchon furchtbar vor dem halbgebrochnen
Auge. — Wie ſollte der Muthigſte nicht da die
Standhaftigkeit verlieren? Wie der Stärkſte da
nicht erliegen? — Das Grab iſt dunkel, die
Verweſung im Staube iſt freudenleer, iſt ſchreck-
lich! aber, was noch weit mehr ſagen will: der
Tod iſt der Sünde Sold,
und jenſeit des Gra-
bes geht ein ewiges Leben der Vergeltung
auf. Ach! wer hat auch nur Eine ſchwere Sün-
de auf ſein Gewißen geladen, die ihn in der
Stunde des Todes nicht wie eine Felſenlaſt drük-
ken ſollte? Wer hat, weil er lebte, dieſe Welt
voll Sinnenfreuden lieb gewonnen; und ſollte
nicht zittern, ſie mit einer andern zu vertauſchen,
in welcher ſich das ungerechte Gut in ewigen
Verluſt, und jede Sündenfreude in namen-
loſe Reue und Marter verwandelt? Wer hat
je auch nur Tage lang, unter dem Geräuſche des
Lebens, ſeines Gottes vergeſſen, und ſeine Liebe
verſchmäht, und ſeine Gebote verachtet; und ſoll-
te nicht erſchrecken, nun vor den Allerheiligſten,

ſei-
J
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0181" n="129"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
aber weit tiefer ver&#x017F;inkt die ganze &#x017F;ichtbare Welt<lb/>
unter un&#x017F;erm un&#x017F;terblichen Gei&#x017F;te. Um&#x017F;on&#x017F;t ru-<lb/>
fen die Thränen und Seufzer un&#x017F;rer Geliebten<lb/>
uns zurück; un&#x017F;er brechendes Herz ringt mit dem<lb/>
lezten Odemzuge; der Augenblick, der ihn er&#x017F;tickt,<lb/>
&#x017F;chwebt &#x017F;chon furchtbar vor dem halbgebrochnen<lb/>
Auge. &#x2014; Wie &#x017F;ollte der Muthig&#x017F;te nicht da die<lb/>
Standhaftigkeit verlieren? Wie der Stärk&#x017F;te da<lb/>
nicht erliegen? &#x2014; Das Grab i&#x017F;t dunkel, die<lb/>
Verwe&#x017F;ung im Staube i&#x017F;t freudenleer, i&#x017F;t &#x017F;chreck-<lb/>
lich! aber, was noch weit mehr &#x017F;agen will: <hi rendition="#fr">der<lb/>
Tod i&#x017F;t der Sünde Sold,</hi> und jen&#x017F;eit des Gra-<lb/>
bes geht ein <hi rendition="#fr">ewiges Leben der Vergeltung</hi><lb/>
auf. Ach! wer hat auch nur Eine &#x017F;chwere Sün-<lb/>
de auf &#x017F;ein Gewißen geladen, die ihn in der<lb/>
Stunde des Todes nicht wie eine Fel&#x017F;enla&#x017F;t drük-<lb/>
ken &#x017F;ollte? Wer hat, weil er lebte, die&#x017F;e Welt<lb/>
voll Sinnenfreuden lieb gewonnen; und &#x017F;ollte<lb/>
nicht zittern, &#x017F;ie mit einer andern zu vertau&#x017F;chen,<lb/>
in welcher &#x017F;ich das ungerechte Gut in ewigen<lb/>
Verlu&#x017F;t, und jede Sündenfreude in namen-<lb/>
lo&#x017F;e Reue und Marter verwandelt? Wer hat<lb/>
je auch nur Tage lang, unter dem Geräu&#x017F;che des<lb/>
Lebens, &#x017F;eines Gottes verge&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;eine Liebe<lb/>
ver&#x017F;chmäht, und &#x017F;eine Gebote verachtet; und &#x017F;oll-<lb/>
te nicht er&#x017F;chrecken, nun vor den Allerheilig&#x017F;ten,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ei-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0181] aber weit tiefer verſinkt die ganze ſichtbare Welt unter unſerm unſterblichen Geiſte. Umſonſt ru- fen die Thränen und Seufzer unſrer Geliebten uns zurück; unſer brechendes Herz ringt mit dem lezten Odemzuge; der Augenblick, der ihn erſtickt, ſchwebt ſchon furchtbar vor dem halbgebrochnen Auge. — Wie ſollte der Muthigſte nicht da die Standhaftigkeit verlieren? Wie der Stärkſte da nicht erliegen? — Das Grab iſt dunkel, die Verweſung im Staube iſt freudenleer, iſt ſchreck- lich! aber, was noch weit mehr ſagen will: der Tod iſt der Sünde Sold, und jenſeit des Gra- bes geht ein ewiges Leben der Vergeltung auf. Ach! wer hat auch nur Eine ſchwere Sün- de auf ſein Gewißen geladen, die ihn in der Stunde des Todes nicht wie eine Felſenlaſt drük- ken ſollte? Wer hat, weil er lebte, dieſe Welt voll Sinnenfreuden lieb gewonnen; und ſollte nicht zittern, ſie mit einer andern zu vertauſchen, in welcher ſich das ungerechte Gut in ewigen Verluſt, und jede Sündenfreude in namen- loſe Reue und Marter verwandelt? Wer hat je auch nur Tage lang, unter dem Geräuſche des Lebens, ſeines Gottes vergeſſen, und ſeine Liebe verſchmäht, und ſeine Gebote verachtet; und ſoll- te nicht erſchrecken, nun vor den Allerheiligſten, ſei- J

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/181
Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/181>, abgerufen am 25.07.2024.