Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

sre Sünden verschulden, und so viel Bedürfniße
und Leiden über uns häufen, vor welchen uns
die Liebe des Allgütigen, unsers Vaters, ewig be-
wahren wollte, und die nur seine Gnade und
Barmherzigkeit wieder von uns abwenden kann.

Daß wir noch Odem und Lebenskraft in
uns fühlen; daß die Natur uns jährlich zu al-
len Zeiten ihren Schooß eröffnet, uns zu näh-
ren und zu ergotzen; daß jeder Sonnenstrahl uns
Erquickung und Freude zuströmt; daß jede Nacht
über uns zur Ruhe sich verdunkelt; daß jede
freundschaftliche Verbindung mit unsern Neben-
menschen, für uns eine so reiche Quelle von Freu-
den wird; daß wir, in jeder Jahreszeit, in je-
dem Lebensalter, in jedem Stande und Berufe,
in jeder Art der irdischen Geschäfte, besondre
Vortheile für uns bereitet finden: Woher wird
uns dieses alles? Warum hat denn nicht viel-
mehr jede sträfliche Begierde, -- deren so viele
von je her in unserm Herzen aufgestiegen, genährt,
zur That geworden sind, -- längst unser Herz
schon mit einer tiefen peinlichen Unruhe verwun-
det, die durch keine Freude des Lebens geheilt
werden kann? Warum hat nicht jede ungestüme
in uns wüthende Leidenschaft, längst schon unsre

Le-
H 5

ſre Sünden verſchulden, und ſo viel Bedürfniße
und Leiden über uns häufen, vor welchen uns
die Liebe des Allgütigen, unſers Vaters, ewig be-
wahren wollte, und die nur ſeine Gnade und
Barmherzigkeit wieder von uns abwenden kann.

Daß wir noch Odem und Lebenskraft in
uns fühlen; daß die Natur uns jährlich zu al-
len Zeiten ihren Schooß eröffnet, uns zu näh-
ren und zu ergotzen; daß jeder Sonnenſtrahl uns
Erquickung und Freude zuſtrömt; daß jede Nacht
über uns zur Ruhe ſich verdunkelt; daß jede
freundſchaftliche Verbindung mit unſern Neben-
menſchen, für uns eine ſo reiche Quelle von Freu-
den wird; daß wir, in jeder Jahreszeit, in je-
dem Lebensalter, in jedem Stande und Berufe,
in jeder Art der irdiſchen Geſchäfte, beſondre
Vortheile für uns bereitet finden: Woher wird
uns dieſes alles? Warum hat denn nicht viel-
mehr jede ſträfliche Begierde, — deren ſo viele
von je her in unſerm Herzen aufgeſtiegen, genährt,
zur That geworden ſind, — längſt unſer Herz
ſchon mit einer tiefen peinlichen Unruhe verwun-
det, die durch keine Freude des Lebens geheilt
werden kann? Warum hat nicht jede ungeſtüme
in uns wüthende Leidenſchaft, längſt ſchon unſre

Le-
H 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0173" n="121"/>
&#x017F;re Sünden ver&#x017F;chulden, und &#x017F;o viel Bedürfniße<lb/>
und Leiden über uns häufen, vor welchen uns<lb/>
die Liebe des Allgütigen, un&#x017F;ers Vaters, ewig be-<lb/>
wahren wollte, und die nur &#x017F;eine Gnade und<lb/>
Barmherzigkeit wieder von uns abwenden kann.</p><lb/>
        <p>Daß wir noch Odem und Lebenskraft in<lb/>
uns fühlen; daß die Natur uns jährlich zu al-<lb/>
len Zeiten ihren Schooß eröffnet, uns zu näh-<lb/>
ren und zu ergotzen; daß jeder Sonnen&#x017F;trahl uns<lb/>
Erquickung und Freude zu&#x017F;trömt; daß jede Nacht<lb/>
über uns zur Ruhe &#x017F;ich verdunkelt; daß jede<lb/>
freund&#x017F;chaftliche Verbindung mit un&#x017F;ern Neben-<lb/>
men&#x017F;chen, für uns eine &#x017F;o reiche Quelle von Freu-<lb/>
den wird; daß wir, in jeder Jahreszeit, in je-<lb/>
dem Lebensalter, in jedem Stande und Berufe,<lb/>
in jeder Art der irdi&#x017F;chen Ge&#x017F;chäfte, be&#x017F;ondre<lb/>
Vortheile für uns bereitet finden: Woher wird<lb/>
uns die&#x017F;es alles? Warum hat denn nicht viel-<lb/>
mehr jede &#x017F;träfliche Begierde, &#x2014; deren &#x017F;o viele<lb/>
von je her in un&#x017F;erm Herzen aufge&#x017F;tiegen, genährt,<lb/>
zur That geworden &#x017F;ind, &#x2014; läng&#x017F;t un&#x017F;er Herz<lb/>
&#x017F;chon mit einer tiefen peinlichen Unruhe verwun-<lb/>
det, die durch keine Freude des Lebens geheilt<lb/>
werden kann? Warum hat nicht jede unge&#x017F;tüme<lb/>
in uns wüthende Leiden&#x017F;chaft, läng&#x017F;t &#x017F;chon un&#x017F;re<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Le-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0173] ſre Sünden verſchulden, und ſo viel Bedürfniße und Leiden über uns häufen, vor welchen uns die Liebe des Allgütigen, unſers Vaters, ewig be- wahren wollte, und die nur ſeine Gnade und Barmherzigkeit wieder von uns abwenden kann. Daß wir noch Odem und Lebenskraft in uns fühlen; daß die Natur uns jährlich zu al- len Zeiten ihren Schooß eröffnet, uns zu näh- ren und zu ergotzen; daß jeder Sonnenſtrahl uns Erquickung und Freude zuſtrömt; daß jede Nacht über uns zur Ruhe ſich verdunkelt; daß jede freundſchaftliche Verbindung mit unſern Neben- menſchen, für uns eine ſo reiche Quelle von Freu- den wird; daß wir, in jeder Jahreszeit, in je- dem Lebensalter, in jedem Stande und Berufe, in jeder Art der irdiſchen Geſchäfte, beſondre Vortheile für uns bereitet finden: Woher wird uns dieſes alles? Warum hat denn nicht viel- mehr jede ſträfliche Begierde, — deren ſo viele von je her in unſerm Herzen aufgeſtiegen, genährt, zur That geworden ſind, — längſt unſer Herz ſchon mit einer tiefen peinlichen Unruhe verwun- det, die durch keine Freude des Lebens geheilt werden kann? Warum hat nicht jede ungeſtüme in uns wüthende Leidenſchaft, längſt ſchon unſre Le- H 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/173
Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/173>, abgerufen am 25.07.2024.