Dieweil sich ein ieder Mensch zu befleißi- gen hat, daß er lobenswürdig sey (§. 125.), und also Ruhm verdiene (§ 127.); so muß sich auch ein iedes Volck Ruhm zu verdienen bewerben. Hieraus ergiebt sich, daß auch alle und iede ihre Hand- lungen, und mithin der Regent des Staats selbst seine königlichen Hand- lungen (§. 1096.), zum Ruhm ihres Volcks einrichten müssen, folglich haben sie sich zu hüten, daß sie nicht etwas begehen, was ihrem Volcke zur Schan- de gereichet. Daher erhellet noch weiter, daß die Völcker auch gelehrt und gesit- tet seyn sollen. Es heissen nämlich gelehr- te Völcker, welche die Tugenden des Ver- standes treiben, und folglich ihre Seele durch Erkäntniß üben; gesittete aber werden ge- nennet, welche nach der Vorschrift der Ver- nunft und zur Artigkeit eingerichtete Sitten haben. Diesen sind wilde und ungesittete Völcker (barbarae & incultae) entgegen ge- setzet.
§. 1098.
Weil sich die Menschen unter einander ver- bunden sind dasjenige von ihren Sachen her- zugeben, was der andere bedarf, sie aber mis- sen können (§. 329.), niemand aber schuldig ist einem etwas umsonst zu geben, der gleich- falls etwas geben kann (§. 473.); so hat ein iegliches Volck das Recht die Sachen,
so
IV.Th. 2. Hauptſt. Von den Pflichten
§. 1097.
Dieweil ſich ein ieder Menſch zu befleißi- gen hat, daß er lobenswuͤrdig ſey (§. 125.), und alſo Ruhm verdiene (§ 127.); ſo muß ſich auch ein iedes Volck Ruhm zu verdienen bewerben. Hieraus ergiebt ſich, daß auch alle und iede ihre Hand- lungen, und mithin der Regent des Staats ſelbſt ſeine koͤniglichen Hand- lungen (§. 1096.), zum Ruhm ihres Volcks einrichten muͤſſen, folglich haben ſie ſich zu huͤten, daß ſie nicht etwas begehen, was ihrem Volcke zur Schan- de gereichet. Daher erhellet noch weiter, daß die Voͤlcker auch gelehrt und geſit- tet ſeyn ſollen. Es heiſſen naͤmlich gelehr- te Voͤlcker, welche die Tugenden des Ver- ſtandes treiben, und folglich ihre Seele durch Erkaͤntniß uͤben; geſittete aber werden ge- nennet, welche nach der Vorſchrift der Ver- nunft und zur Artigkeit eingerichtete Sitten haben. Dieſen ſind wilde und ungeſittete Voͤlcker (barbaræ & incultæ) entgegen ge- ſetzet.
§. 1098.
Weil ſich die Menſchen unter einander ver- bunden ſind dasjenige von ihren Sachen her- zugeben, was der andere bedarf, ſie aber miſ- ſen koͤnnen (§. 329.), niemand aber ſchuldig iſt einem etwas umſonſt zu geben, der gleich- falls etwas geben kann (§. 473.); ſo hat ein iegliches Volck das Recht die Sachen,
ſo
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IV. Th. 2. Hauptſt. Von den Pflichten
§. 1097.
Dieweil ſich ein ieder Menſch zu befleißi-
gen hat, daß er lobenswuͤrdig ſey (§. 125.),
und alſo Ruhm verdiene (§ 127.); ſo muß
ſich auch ein iedes Volck Ruhm zu
verdienen bewerben. Hieraus ergiebt
ſich, daß auch alle und iede ihre Hand-
lungen, und mithin der Regent des
Staats ſelbſt ſeine koͤniglichen Hand-
lungen (§. 1096.), zum Ruhm ihres
Volcks einrichten muͤſſen, folglich haben
ſie ſich zu huͤten, daß ſie nicht etwas
begehen, was ihrem Volcke zur Schan-
de gereichet. Daher erhellet noch weiter,
daß die Voͤlcker auch gelehrt und geſit-
tet ſeyn ſollen. Es heiſſen naͤmlich gelehr-
te Voͤlcker, welche die Tugenden des Ver-
ſtandes treiben, und folglich ihre Seele durch
Erkaͤntniß uͤben; geſittete aber werden ge-
nennet, welche nach der Vorſchrift der Ver-
nunft und zur Artigkeit eingerichtete Sitten
haben. Dieſen ſind wilde und ungeſittete
Voͤlcker (barbaræ & incultæ) entgegen ge-
ſetzet.
§. 1098.
Weil ſich die Menſchen unter einander ver-
bunden ſind dasjenige von ihren Sachen her-
zugeben, was der andere bedarf, ſie aber miſ-
ſen koͤnnen (§. 329.), niemand aber ſchuldig
iſt einem etwas umſonſt zu geben, der gleich-
falls etwas geben kann (§. 473.); ſo hat ein
iegliches Volck das Recht die Sachen,
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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 802. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/838>, abgerufen am 29.12.2024.
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