nun unter dem Begnadigungsrechte das Recht eine Anklage aufzuheben mit begriffen ist (§. 1054.); so kommt dem Oberherrn das Recht Anklagen aufzuheben zu.
§. 1056.
Von der Aufhebung der Anklage ist dasVon der Verges- sung des vorigen Unrechts. Vergessen des vorigen Unrechts(amne- stia) unterschieden, als welche ein auf ewig beschlossenes Vergessen des gethanen Unrechts und verübter Laster ist. Daher wird es auch das Gesetz des Vergessens(lex oblivio- nis) genannt. Derowegen kann niemand wegen des geschehenen angeklagt, und auch nicht gestraft werden, wenn ein- mahl das Vergessen des vorigen Un- rechts feste gesetzt worden ist. Da das Wohl der Republick das höchste Gesetz ist (§. 976.); so muß, wenn es des Staats Vortheil ist, z. E. wenn man durch das Vergessen des vergangenen Unrechts gewisser verhütete, daß nicht neuen und noch grössern Thür und Thor eröfnet würden, oder wenn sie weit sicherer zur Endschaft kommen könn- ten, dafern man die Strafe erliesse, als wenn die schuldige gestrafet würden, das Vergessen des vorigen Unrechts natür- licher Weise erlaubt, und der Ober- herr, weil dies eine Art der Erlassung der Strafe ist, solche zu leisten vermögend seyn. Es lässet sich aber leicht verstehen, daß, wenn der Oberherr in einer Re- bellion das Vergessen des Unrechts zu-
gestehet,
Von den Majeſtaͤtsrechten.
nun unter dem Begnadigungsrechte das Recht eine Anklage aufzuheben mit begriffen iſt (§. 1054.); ſo kommt dem Oberherrn das Recht Anklagen aufzuheben zu.
§. 1056.
Von der Aufhebung der Anklage iſt dasVon der Vergeſ- ſung des vorigen Unrechts. Vergeſſen des vorigen Unrechts(amne- ſtia) unterſchieden, als welche ein auf ewig beſchloſſenes Vergeſſen des gethanen Unrechts und veruͤbter Laſter iſt. Daher wird es auch das Geſetz des Vergeſſens(lex oblivio- nis) genannt. Derowegen kann niemand wegen des geſchehenen angeklagt, und auch nicht geſtraft werden, wenn ein- mahl das Vergeſſen des vorigen Un- rechts feſte geſetzt worden iſt. Da das Wohl der Republick das hoͤchſte Geſetz iſt (§. 976.); ſo muß, wenn es des Staats Vortheil iſt, z. E. wenn man durch das Vergeſſen des vergangenen Unrechts gewiſſer verhuͤtete, daß nicht neuen und noch groͤſſern Thuͤr und Thor eroͤfnet wuͤrden, oder wenn ſie weit ſicherer zur Endſchaft kommen koͤnn- ten, dafern man die Strafe erlieſſe, als wenn die ſchuldige geſtrafet wuͤrden, das Vergeſſen des vorigen Unrechts natuͤr- licher Weiſe erlaubt, und der Ober- herr, weil dies eine Art der Erlaſſung der Strafe iſt, ſolche zu leiſten vermoͤgend ſeyn. Es laͤſſet ſich aber leicht verſtehen, daß, wenn der Oberherr in einer Re- bellion das Vergeſſen des Unrechts zu-
geſtehet,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0801"n="765"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von den Majeſtaͤtsrechten.</hi></fw><lb/>
nun unter dem Begnadigungsrechte das Recht<lb/>
eine Anklage aufzuheben mit begriffen iſt (§.<lb/>
1054.); <hirendition="#fr">ſo kommt dem Oberherrn das<lb/>
Recht Anklagen aufzuheben zu.</hi></p></div><lb/><divn="5"><head>§. 1056.</head><lb/><p>Von der Aufhebung der Anklage iſt das<noteplace="right">Von der<lb/>
Vergeſ-<lb/>ſung des<lb/>
vorigen<lb/>
Unrechts.</note><lb/><hirendition="#fr">Vergeſſen des vorigen Unrechts</hi><hirendition="#aq">(amne-<lb/>ſtia)</hi> unterſchieden, als welche ein auf ewig<lb/>
beſchloſſenes Vergeſſen des gethanen Unrechts<lb/>
und veruͤbter Laſter iſt. Daher wird es auch<lb/>
das <hirendition="#fr">Geſetz des Vergeſſens</hi><hirendition="#aq">(lex oblivio-<lb/>
nis)</hi> genannt. Derowegen <hirendition="#fr">kann niemand<lb/>
wegen des geſchehenen angeklagt, und<lb/>
auch nicht geſtraft werden, wenn ein-<lb/>
mahl das Vergeſſen des vorigen Un-<lb/>
rechts feſte geſetzt worden iſt.</hi> Da das<lb/>
Wohl der Republick das hoͤchſte Geſetz iſt (§.<lb/>
976.); <hirendition="#fr">ſo muß, wenn es des Staats<lb/>
Vortheil iſt,</hi> z. E. wenn man durch das<lb/>
Vergeſſen des vergangenen Unrechts gewiſſer<lb/>
verhuͤtete, daß nicht neuen und noch groͤſſern<lb/>
Thuͤr und Thor eroͤfnet wuͤrden, oder wenn<lb/>ſie weit ſicherer zur Endſchaft kommen koͤnn-<lb/>
ten, dafern man die Strafe erlieſſe, als<lb/>
wenn die ſchuldige geſtrafet wuͤrden, <hirendition="#fr">das<lb/>
Vergeſſen des vorigen Unrechts natuͤr-<lb/>
licher Weiſe erlaubt, und der Ober-<lb/>
herr,</hi> weil dies eine Art der Erlaſſung der<lb/>
Strafe iſt, <hirendition="#fr">ſolche zu leiſten vermoͤgend<lb/>ſeyn.</hi> Es laͤſſet ſich aber leicht verſtehen,<lb/><hirendition="#fr">daß, wenn der Oberherr in einer Re-<lb/>
bellion das Vergeſſen des Unrechts zu-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">geſtehet,</hi></fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[765/0801]
Von den Majeſtaͤtsrechten.
nun unter dem Begnadigungsrechte das Recht
eine Anklage aufzuheben mit begriffen iſt (§.
1054.); ſo kommt dem Oberherrn das
Recht Anklagen aufzuheben zu.
§. 1056.
Von der Aufhebung der Anklage iſt das
Vergeſſen des vorigen Unrechts (amne-
ſtia) unterſchieden, als welche ein auf ewig
beſchloſſenes Vergeſſen des gethanen Unrechts
und veruͤbter Laſter iſt. Daher wird es auch
das Geſetz des Vergeſſens (lex oblivio-
nis) genannt. Derowegen kann niemand
wegen des geſchehenen angeklagt, und
auch nicht geſtraft werden, wenn ein-
mahl das Vergeſſen des vorigen Un-
rechts feſte geſetzt worden iſt. Da das
Wohl der Republick das hoͤchſte Geſetz iſt (§.
976.); ſo muß, wenn es des Staats
Vortheil iſt, z. E. wenn man durch das
Vergeſſen des vergangenen Unrechts gewiſſer
verhuͤtete, daß nicht neuen und noch groͤſſern
Thuͤr und Thor eroͤfnet wuͤrden, oder wenn
ſie weit ſicherer zur Endſchaft kommen koͤnn-
ten, dafern man die Strafe erlieſſe, als
wenn die ſchuldige geſtrafet wuͤrden, das
Vergeſſen des vorigen Unrechts natuͤr-
licher Weiſe erlaubt, und der Ober-
herr, weil dies eine Art der Erlaſſung der
Strafe iſt, ſolche zu leiſten vermoͤgend
ſeyn. Es laͤſſet ſich aber leicht verſtehen,
daß, wenn der Oberherr in einer Re-
bellion das Vergeſſen des Unrechts zu-
geſtehet,
Von der
Vergeſ-
ſung des
vorigen
Unrechts.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 765. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/801>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.