Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Theil 19. Hauptstück.
oder andere Zeichen, hat zu verstehen geben
wollen. Daher ist die Auslegung (inter-
pretatio)
die Erforschung der Gedancken, wel-
che durch Worte und andere Zeichen ange-
deutet worden.

§. 795.
Wenn ei-
ne Aus-
legung
nöthig
ist.

Wenn alle Wörter eine gewisse und
bestimmte Bedeutung hätten,
daß sie
nämlich allezeit in eben demselben Verstande
genommen würden, und nicht itzt mehr, ein
andermahl weniger, oder etwas anders durch
dieselbe angedeutet würde, und wenn die
Redenden allzeit ihre Gedancken durch
dieselben hinlänglich ausdrückten; so
würde keine Auslegung nöthig seyn:
Da
aber das Gegentheil geschieht; so
ist eine Auslegung nöthig.

§. 796.
Ob der
Verspro-
cher, und
der, dem
das Ver-
sprechen
geschieht,
seine
Worte
auslegen
kann.

Weil durch das Versprechen ein Recht er-
langt wird (§. 379.), welches dem andern,
dem es geschehen, nicht genommen werden
kann (§. 100.), sondern wider jenen vor wahr
zu halten ist, was er hinlänglich hat zu verste-
hen gegeben (§. 318.); so kann in den
Versprechen,
folglich auch in den Ver-
trägen niemand seiner eigenen Worte
Ausleger seyn.
Da durch das Annehmen
dessen, was versprochen wird, nicht mehr Recht
erlangt wird, als der ein Recht auf einen
bringt, dem andern hat einräumen wollen
(§. 318.); so ists auch dem, der ein Ver-
sprechen angenommen, nicht zu erlau-

ben,

II. Theil 19. Hauptſtuͤck.
oder andere Zeichen, hat zu verſtehen geben
wollen. Daher iſt die Auslegung (inter-
pretatio)
die Erforſchung der Gedancken, wel-
che durch Worte und andere Zeichen ange-
deutet worden.

§. 795.
Wenn ei-
ne Aus-
legung
noͤthig
iſt.

Wenn alle Woͤrter eine gewiſſe und
beſtimmte Bedeutung haͤtten,
daß ſie
naͤmlich allezeit in eben demſelben Verſtande
genommen wuͤrden, und nicht itzt mehr, ein
andermahl weniger, oder etwas anders durch
dieſelbe angedeutet wuͤrde, und wenn die
Redenden allzeit ihre Gedancken durch
dieſelben hinlaͤnglich ausdruͤckten; ſo
wuͤrde keine Auslegung noͤthig ſeyn:
Da
aber das Gegentheil geſchieht; ſo
iſt eine Auslegung noͤthig.

§. 796.
Ob der
Verſpro-
cher, und
der, dem
das Ver-
ſprechen
geſchieht,
ſeine
Worte
auslegen
kann.

Weil durch das Verſprechen ein Recht er-
langt wird (§. 379.), welches dem andern,
dem es geſchehen, nicht genommen werden
kann (§. 100.), ſondern wider jenen vor wahr
zu halten iſt, was er hinlaͤnglich hat zu verſte-
hen gegeben (§. 318.); ſo kann in den
Verſprechen,
folglich auch in den Ver-
traͤgen niemand ſeiner eigenen Worte
Ausleger ſeyn.
Da durch das Annehmen
deſſen, was verſprochen wird, nicht mehr Recht
erlangt wird, als der ein Recht auf einen
bringt, dem andern hat einraͤumen wollen
(§. 318.); ſo iſts auch dem, der ein Ver-
ſprechen angenommen, nicht zu erlau-

ben,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0624" n="588"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Theil 19. Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
oder andere Zeichen, hat zu ver&#x017F;tehen geben<lb/>
wollen. Daher i&#x017F;t die <hi rendition="#fr">Auslegung</hi> <hi rendition="#aq">(inter-<lb/>
pretatio)</hi> die Erfor&#x017F;chung der Gedancken, wel-<lb/>
che durch Worte und andere Zeichen ange-<lb/>
deutet worden.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 795.</head><lb/>
              <note place="left">Wenn ei-<lb/>
ne Aus-<lb/>
legung<lb/>
no&#x0364;thig<lb/>
i&#x017F;t.</note>
              <p><hi rendition="#fr">Wenn alle Wo&#x0364;rter eine gewi&#x017F;&#x017F;e und<lb/>
be&#x017F;timmte Bedeutung ha&#x0364;tten,</hi> daß &#x017F;ie<lb/>
na&#x0364;mlich allezeit in eben dem&#x017F;elben Ver&#x017F;tande<lb/>
genommen wu&#x0364;rden, und nicht itzt mehr, ein<lb/>
andermahl weniger, oder etwas anders durch<lb/>
die&#x017F;elbe angedeutet wu&#x0364;rde, <hi rendition="#fr">und wenn die<lb/>
Redenden allzeit ihre Gedancken durch<lb/>
die&#x017F;elben hinla&#x0364;nglich ausdru&#x0364;ckten; &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rde keine Auslegung no&#x0364;thig &#x017F;eyn:<lb/>
Da</hi> aber <hi rendition="#fr">das Gegentheil ge&#x017F;chieht; &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t eine Auslegung no&#x0364;thig.</hi></p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 796.</head><lb/>
              <note place="left">Ob der<lb/>
Ver&#x017F;pro-<lb/>
cher, und<lb/>
der, dem<lb/>
das Ver-<lb/>
&#x017F;prechen<lb/>
ge&#x017F;chieht,<lb/>
&#x017F;eine<lb/>
Worte<lb/>
auslegen<lb/>
kann.</note>
              <p>Weil durch das Ver&#x017F;prechen ein Recht er-<lb/>
langt wird (§. 379.), welches dem andern,<lb/>
dem es ge&#x017F;chehen, nicht genommen werden<lb/>
kann (§. 100.), &#x017F;ondern wider jenen vor wahr<lb/>
zu halten i&#x017F;t, was er hinla&#x0364;nglich hat zu ver&#x017F;te-<lb/>
hen gegeben (§. 318.); <hi rendition="#fr">&#x017F;o kann in den<lb/>
Ver&#x017F;prechen,</hi> folglich <hi rendition="#fr">auch in den Ver-<lb/>
tra&#x0364;gen niemand &#x017F;einer eigenen Worte<lb/>
Ausleger &#x017F;eyn.</hi> Da durch das Annehmen<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en, was ver&#x017F;prochen wird, nicht mehr Recht<lb/>
erlangt wird, als der ein Recht auf einen<lb/>
bringt, dem andern hat einra&#x0364;umen wollen<lb/>
(§. 318.); <hi rendition="#fr">&#x017F;o i&#x017F;ts</hi> auch <hi rendition="#fr">dem, der ein Ver-<lb/>
&#x017F;prechen angenommen, nicht zu erlau-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">ben,</hi></fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[588/0624] II. Theil 19. Hauptſtuͤck. oder andere Zeichen, hat zu verſtehen geben wollen. Daher iſt die Auslegung (inter- pretatio) die Erforſchung der Gedancken, wel- che durch Worte und andere Zeichen ange- deutet worden. §. 795. Wenn alle Woͤrter eine gewiſſe und beſtimmte Bedeutung haͤtten, daß ſie naͤmlich allezeit in eben demſelben Verſtande genommen wuͤrden, und nicht itzt mehr, ein andermahl weniger, oder etwas anders durch dieſelbe angedeutet wuͤrde, und wenn die Redenden allzeit ihre Gedancken durch dieſelben hinlaͤnglich ausdruͤckten; ſo wuͤrde keine Auslegung noͤthig ſeyn: Da aber das Gegentheil geſchieht; ſo iſt eine Auslegung noͤthig. §. 796. Weil durch das Verſprechen ein Recht er- langt wird (§. 379.), welches dem andern, dem es geſchehen, nicht genommen werden kann (§. 100.), ſondern wider jenen vor wahr zu halten iſt, was er hinlaͤnglich hat zu verſte- hen gegeben (§. 318.); ſo kann in den Verſprechen, folglich auch in den Ver- traͤgen niemand ſeiner eigenen Worte Ausleger ſeyn. Da durch das Annehmen deſſen, was verſprochen wird, nicht mehr Recht erlangt wird, als der ein Recht auf einen bringt, dem andern hat einraͤumen wollen (§. 318.); ſo iſts auch dem, der ein Ver- ſprechen angenommen, nicht zu erlau- ben,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/624
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/624>, abgerufen am 22.11.2024.