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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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Streitigkeiten zu endigen.
nun vor wahr hält, was der Zeuge sagt; so
wird von ihm so wohl erfordert, daß
er weiß, was geschehen, als auch daß
er die Wahrheit sagen will
(§. 347.);
damit er nämlich weder sich selbst irre, oder
andern Falsches beybringe (§. 356.); folg-
lich, damit man desto weniger daran zweifeln
kann, daß ihm die Sache bekannt sey, so ist
nöthig, daß er zugegen gewesen, als das ge-
schehen, wornach gefragt wird. Einen Au-
genzeugen
(testis oculatus) nennt man, der
das sagt, was er in seiner Gegenwart wahr-
genommen hat: Einen Zeugen vom Hö-
rensagen
(testis auritus) aber denjenigen,
der nur sagt, was er von andern gehört; ei-
nen wahrhaften Zeugen (testis verus),
welcher die Wahrheit saget, das ist, so wie
er es weiß; einen falschen Zeugen (testis
falsus),
der anders sagt, als was er weiß.
Wenn Gründe vorhanden sind, warum einer
die Wahrheit zu sagen Bedencken tragen kann,
oder um derentwillen vermuthet wird, daß er
sie nicht sagen werde, so heist er ein verdäch-
tiger Zeuge
(testis suspectus); der also
zum Zeugniß nicht zugelassen werden
kann.
Ein Zeuge hingegen, auf welchen
kein Verdacht fällt, daß er nicht moralisch
wahrreden, oder die Wahrheit sagen werde,
ist ein glaubwürdiger Zeuge (testis inte-
ger).
Weil ein Zeuge zum Beweiß dessen,
was geschehen, gebraucht wird; so ist er
von Natur die Wahrheit zu sagen

ver-

Streitigkeiten zu endigen.
nun vor wahr haͤlt, was der Zeuge ſagt; ſo
wird von ihm ſo wohl erfordert, daß
er weiß, was geſchehen, als auch daß
er die Wahrheit ſagen will
(§. 347.);
damit er naͤmlich weder ſich ſelbſt irre, oder
andern Falſches beybringe (§. 356.); folg-
lich, damit man deſto weniger daran zweifeln
kann, daß ihm die Sache bekannt ſey, ſo iſt
noͤthig, daß er zugegen geweſen, als das ge-
ſchehen, wornach gefragt wird. Einen Au-
genzeugen
(teſtis oculatus) nennt man, der
das ſagt, was er in ſeiner Gegenwart wahr-
genommen hat: Einen Zeugen vom Hoͤ-
renſagen
(teſtis auritus) aber denjenigen,
der nur ſagt, was er von andern gehoͤrt; ei-
nen wahrhaften Zeugen (teſtis verus),
welcher die Wahrheit ſaget, das iſt, ſo wie
er es weiß; einen falſchen Zeugen (teſtis
falſus),
der anders ſagt, als was er weiß.
Wenn Gruͤnde vorhanden ſind, warum einer
die Wahrheit zu ſagen Bedencken tragen kann,
oder um derentwillen vermuthet wird, daß er
ſie nicht ſagen werde, ſo heiſt er ein verdaͤch-
tiger Zeuge
(teſtis ſuſpectus); der alſo
zum Zeugniß nicht zugelaſſen werden
kann.
Ein Zeuge hingegen, auf welchen
kein Verdacht faͤllt, daß er nicht moraliſch
wahrreden, oder die Wahrheit ſagen werde,
iſt ein glaubwuͤrdiger Zeuge (teſtis inte-
ger).
Weil ein Zeuge zum Beweiß deſſen,
was geſchehen, gebraucht wird; ſo iſt er
von Natur die Wahrheit zu ſagen

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[571/0607] Streitigkeiten zu endigen. nun vor wahr haͤlt, was der Zeuge ſagt; ſo wird von ihm ſo wohl erfordert, daß er weiß, was geſchehen, als auch daß er die Wahrheit ſagen will (§. 347.); damit er naͤmlich weder ſich ſelbſt irre, oder andern Falſches beybringe (§. 356.); folg- lich, damit man deſto weniger daran zweifeln kann, daß ihm die Sache bekannt ſey, ſo iſt noͤthig, daß er zugegen geweſen, als das ge- ſchehen, wornach gefragt wird. Einen Au- genzeugen (teſtis oculatus) nennt man, der das ſagt, was er in ſeiner Gegenwart wahr- genommen hat: Einen Zeugen vom Hoͤ- renſagen (teſtis auritus) aber denjenigen, der nur ſagt, was er von andern gehoͤrt; ei- nen wahrhaften Zeugen (teſtis verus), welcher die Wahrheit ſaget, das iſt, ſo wie er es weiß; einen falſchen Zeugen (teſtis falſus), der anders ſagt, als was er weiß. Wenn Gruͤnde vorhanden ſind, warum einer die Wahrheit zu ſagen Bedencken tragen kann, oder um derentwillen vermuthet wird, daß er ſie nicht ſagen werde, ſo heiſt er ein verdaͤch- tiger Zeuge (teſtis ſuſpectus); der alſo zum Zeugniß nicht zugelaſſen werden kann. Ein Zeuge hingegen, auf welchen kein Verdacht faͤllt, daß er nicht moraliſch wahrreden, oder die Wahrheit ſagen werde, iſt ein glaubwuͤrdiger Zeuge (teſtis inte- ger). Weil ein Zeuge zum Beweiß deſſen, was geſchehen, gebraucht wird; ſo iſt er von Natur die Wahrheit zu ſagen ver-

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/607>, abgerufen am 22.11.2024.