der gantze weitläuftige Umfang des Rechts der Natur, nach welchem es sich auf alle menschliche Handlungen, welche es auch im- mer sind, erstrecket, bekant worden; und ich habe endlich verstanden, wie die positi- ven Rechte aus dem Rechte der Natur ent- stehen müßen, damit sie frey von allem Ta- del vor dem Richterstuhle der Vernunft nicht besorgen dürfen, daß man wider sie sprechen möchte. Daraus folgt nun gleich- sam von sich selbst, daß nicht weniger bey allem positiven Rechte, als bey dem na- türlichen, Wahrheit sey, und diese durch den Weg des Beweises eingesehen, und mithin was für Recht gehalten wird, oder gehalten werden soll, von dem, was es wircklich ist, gewiß und genau unterschie- den werde. Denn gleichwie das Natur- recht den Willen aller Menschen in eintzel- nen Handlungen lencket; also lencket es auch den Willen des Gesetzgebers, dessen natür- liche Freyheit eben so wenig, als bey ein- tzelnen Menschen, die Verbindlichkeit auf- hebet. Alles dieses nun konte auf keine an- dere Weise ans Licht kommen, als wenn man den Fußtapfen des Euclidis, wel- cher die Gesetze einer wahren Vernunftleh-
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Vorrede.
der gantze weitlaͤuftige Umfang des Rechts der Natur, nach welchem es ſich auf alle menſchliche Handlungen, welche es auch im- mer ſind, erſtrecket, bekant worden; und ich habe endlich verſtanden, wie die poſiti- ven Rechte aus dem Rechte der Natur ent- ſtehen muͤßen, damit ſie frey von allem Ta- del vor dem Richterſtuhle der Vernunft nicht beſorgen duͤrfen, daß man wider ſie ſprechen moͤchte. Daraus folgt nun gleich- ſam von ſich ſelbſt, daß nicht weniger bey allem poſitiven Rechte, als bey dem na- tuͤrlichen, Wahrheit ſey, und dieſe durch den Weg des Beweiſes eingeſehen, und mithin was fuͤr Recht gehalten wird, oder gehalten werden ſoll, von dem, was es wircklich iſt, gewiß und genau unterſchie- den werde. Denn gleichwie das Natur- recht den Willen aller Menſchen in eintzel- nen Handlungen lencket; alſo lencket es auch den Willen des Geſetzgebers, deſſen natuͤr- liche Freyheit eben ſo wenig, als bey ein- tzelnen Menſchen, die Verbindlichkeit auf- hebet. Alles dieſes nun konte auf keine an- dere Weiſe ans Licht kommen, als wenn man den Fußtapfen des Euclidis, wel- cher die Geſetze einer wahren Vernunftleh-
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[0017]
Vorrede.
der gantze weitlaͤuftige Umfang des Rechts
der Natur, nach welchem es ſich auf alle
menſchliche Handlungen, welche es auch im-
mer ſind, erſtrecket, bekant worden; und
ich habe endlich verſtanden, wie die poſiti-
ven Rechte aus dem Rechte der Natur ent-
ſtehen muͤßen, damit ſie frey von allem Ta-
del vor dem Richterſtuhle der Vernunft
nicht beſorgen duͤrfen, daß man wider ſie
ſprechen moͤchte. Daraus folgt nun gleich-
ſam von ſich ſelbſt, daß nicht weniger bey
allem poſitiven Rechte, als bey dem na-
tuͤrlichen, Wahrheit ſey, und dieſe durch
den Weg des Beweiſes eingeſehen, und
mithin was fuͤr Recht gehalten wird, oder
gehalten werden ſoll, von dem, was es
wircklich iſt, gewiß und genau unterſchie-
den werde. Denn gleichwie das Natur-
recht den Willen aller Menſchen in eintzel-
nen Handlungen lencket; alſo lencket es auch
den Willen des Geſetzgebers, deſſen natuͤr-
liche Freyheit eben ſo wenig, als bey ein-
tzelnen Menſchen, die Verbindlichkeit auf-
hebet. Alles dieſes nun konte auf keine an-
dere Weiſe ans Licht kommen, als wenn
man den Fußtapfen des Euclidis, wel-
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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/17>, abgerufen am 23.11.2024.
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