den Rechts zu strafen und sich gegen Gewalt zu wehren, nicht statt finden dürfe (§. 90. 93.). Derowegen haben wir bey den Strafen und Vertheidigun- gen nicht zur Absicht, dem andern Ue- bels zuzufügen; sondern in dem ersten Fall, die künftige Sicherheit; in dem andern Fall, die Vertreibung einer her- annahenden Beleidigung (§. 90. 91. seqq.).
§. 156.
Die Wiedervergeltung(talio) heistVon der Wieder- vergel- tung. die gleiche Rache, da einer nämlich ein so großes Uebel leidet, als er dem andern angethan hat. Da alle Rache unerlaubt ist (§. 155.), so ist auch die Wiedervergeltung unerlaubt; folglich giebt es von Natur kein Wieder- vergeltungs-Recht(jus talionis) (§. 49.); und daher muß man bey den Strafen nicht auf die Wiedervergeltung sehen; folgends muß der, welcher einen andern getödtet hat, nach dem natürlichen Rechte, eben nicht am Leben gestrafer werden.
§. 157.
Der verzeihet oder vergiebt eineVon der Verzei- bung der Krän- ckungen und Er- lassung der Stra- se. Kränckung(offensam condonat), welcher alle Begierde zur Rache fahren läßt. Da nun das Gemüth von aller Rache entfernt seyn soll (§. 155.); so müssen wir zum Verzeihen willig und bereir seyn. Al- lein weil man ohne Rachgier strafen kan und
soll
G 2
des Menſchen gegen andere.
den Rechts zu ſtrafen und ſich gegen Gewalt zu wehren, nicht ſtatt finden duͤrfe (§. 90. 93.). Derowegen haben wir bey den Strafen und Vertheidigun- gen nicht zur Abſicht, dem andern Ue- bels zuzufuͤgen; ſondern in dem erſten Fall, die kuͤnftige Sicherheit; in dem andern Fall, die Vertreibung einer her- annahenden Beleidigung (§. 90. 91. ſeqq.).
§. 156.
Die Wiedervergeltung(talio) heiſtVon der Wieder- vergel- tung. die gleiche Rache, da einer naͤmlich ein ſo großes Uebel leidet, als er dem andern angethan hat. Da alle Rache unerlaubt iſt (§. 155.), ſo iſt auch die Wiedervergeltung unerlaubt; folglich giebt es von Natur kein Wieder- vergeltungs-Recht(jus talionis) (§. 49.); und daher muß man bey den Strafen nicht auf die Wiedervergeltung ſehen; folgends muß der, welcher einen andern getoͤdtet hat, nach dem natuͤrlichen Rechte, eben nicht am Leben geſtrafer werden.
§. 157.
Der verzeihet oder vergiebt eineVon der Verzei- bung der Kraͤn- ckungen und Er- laſſung der Stra- ſe. Kraͤnckung(offenſam condonat), welcher alle Begierde zur Rache fahren laͤßt. Da nun das Gemuͤth von aller Rache entfernt ſeyn ſoll (§. 155.); ſo muͤſſen wir zum Verzeihen willig und bereir ſeyn. Al- lein weil man ohne Rachgier ſtrafen kan und
ſoll
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des Menſchen gegen andere.
den Rechts zu ſtrafen und ſich gegen
Gewalt zu wehren, nicht ſtatt finden
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bey den Strafen und Vertheidigun-
gen nicht zur Abſicht, dem andern Ue-
bels zuzufuͤgen; ſondern in dem erſten
Fall, die kuͤnftige Sicherheit; in dem
andern Fall, die Vertreibung einer her-
annahenden Beleidigung (§. 90. 91.
ſeqq.).
§. 156.
Die Wiedervergeltung (talio) heiſt
die gleiche Rache, da einer naͤmlich ein ſo großes
Uebel leidet, als er dem andern angethan hat.
Da alle Rache unerlaubt iſt (§. 155.), ſo iſt
auch die Wiedervergeltung unerlaubt;
folglich giebt es von Natur kein Wieder-
vergeltungs-Recht (jus talionis) (§. 49.);
und daher muß man bey den Strafen
nicht auf die Wiedervergeltung ſehen;
folgends muß der, welcher einen andern
getoͤdtet hat, nach dem natuͤrlichen
Rechte, eben nicht am Leben geſtrafer
werden.
Von der
Wieder-
vergel-
tung.
§. 157.
Der verzeihet oder vergiebt eine
Kraͤnckung (offenſam condonat), welcher
alle Begierde zur Rache fahren laͤßt. Da
nun das Gemuͤth von aller Rache entfernt
ſeyn ſoll (§. 155.); ſo muͤſſen wir zum
Verzeihen willig und bereir ſeyn. Al-
lein weil man ohne Rachgier ſtrafen kan und
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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/135>, abgerufen am 22.12.2024.
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