Jch will mich noch einige Augenblicke bey dieser mir von Jhnen angeführten Entwickelung, die ich die existirende Entwickelung indessen nen- nen will, aufhalten, um Jhnen noch deutlicher zu zeigen, daß dieselbe, von der Entwickelung der Hypothese, wie ich diese nennen will, sehr unterschieden sey, und dadurch folglich klar zu ma- chen, daß die Hypothese eigentlich würklich völlig aus der Luft genommen sey. Jch sage also, Sie können nicht nur gar nicht beweisen, daß diese Entwickelungen, die Sie mir als Exempel solcher Entwicklungen, wie Sie in der Hypothese anneh- men, anführen wollen, dergleichen wären, wie Sie doch, wenn Sie sie als dergleichen Exempel anführen wollten, allerdings thun müsten; son- dern es ist auch offenbar, daß es ganz andere Dinge sind, die die Natur dabey zur Absicht hat, und die mit der Entwickelung der Hypothese gar nichts zu thun haben. Man sieht, sage ich, den Endzweck der Natur, und dasjenige, was sie da- durch bewerkstelliget, gar zu deutlich, als daß man auf die Gedancken gerathen könnte; sie müs- se die ältere Theile zurückschieben, und die jüngere allmählig hervorziehn, weil sie eben auf diese Art erzeugt werden sollen. Sollten die ganz jungen und erst producirten Theile, die so zart und so weich sind, daß sie einem vollkommen flüßigen Wesen sehr nahe kommen, so gleich frey zu liegen kom- men, daß sie der Luft, und allen äusserlichen Ur- sachen ausgesetzt wären; so würde ein Regen, ein Thau, eine kalte Luft, der Wind, ein warmer
Son-
Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
Jch will mich noch einige Augenblicke bey dieſer mir von Jhnen angefuͤhrten Entwickelung, die ich die exiſtirende Entwickelung indeſſen nen- nen will, aufhalten, um Jhnen noch deutlicher zu zeigen, daß dieſelbe, von der Entwickelung der Hypotheſe, wie ich dieſe nennen will, ſehr unterſchieden ſey, und dadurch folglich klar zu ma- chen, daß die Hypotheſe eigentlich wuͤrklich voͤllig aus der Luft genommen ſey. Jch ſage alſo, Sie koͤnnen nicht nur gar nicht beweiſen, daß dieſe Entwickelungen, die Sie mir als Exempel ſolcher Entwicklungen, wie Sie in der Hypotheſe anneh- men, anfuͤhren wollen, dergleichen waͤren, wie Sie doch, wenn Sie ſie als dergleichen Exempel anfuͤhren wollten, allerdings thun muͤſten; ſon- dern es iſt auch offenbar, daß es ganz andere Dinge ſind, die die Natur dabey zur Abſicht hat, und die mit der Entwickelung der Hypotheſe gar nichts zu thun haben. Man ſieht, ſage ich, den Endzweck der Natur, und dasjenige, was ſie da- durch bewerkſtelliget, gar zu deutlich, als daß man auf die Gedancken gerathen koͤnnte; ſie muͤſ- ſe die aͤltere Theile zuruͤckſchieben, und die juͤngere allmaͤhlig hervorziehn, weil ſie eben auf dieſe Art erzeugt werden ſollen. Sollten die ganz jungen und erſt producirten Theile, die ſo zart und ſo weich ſind, daß ſie einem vollkommen fluͤßigen Weſen ſehr nahe kommen, ſo gleich frey zu liegen kom- men, daß ſie der Luft, und allen aͤuſſerlichen Ur- ſachen ausgeſetzt waͤren; ſo wuͤrde ein Regen, ein Thau, eine kalte Luft, der Wind, ein warmer
Son-
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Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
Jch will mich noch einige Augenblicke bey
dieſer mir von Jhnen angefuͤhrten Entwickelung,
die ich die exiſtirende Entwickelung indeſſen nen-
nen will, aufhalten, um Jhnen noch deutlicher
zu zeigen, daß dieſelbe, von der Entwickelung
der Hypotheſe, wie ich dieſe nennen will, ſehr
unterſchieden ſey, und dadurch folglich klar zu ma-
chen, daß die Hypotheſe eigentlich wuͤrklich voͤllig
aus der Luft genommen ſey. Jch ſage alſo, Sie
koͤnnen nicht nur gar nicht beweiſen, daß dieſe
Entwickelungen, die Sie mir als Exempel ſolcher
Entwicklungen, wie Sie in der Hypotheſe anneh-
men, anfuͤhren wollen, dergleichen waͤren, wie
Sie doch, wenn Sie ſie als dergleichen Exempel
anfuͤhren wollten, allerdings thun muͤſten; ſon-
dern es iſt auch offenbar, daß es ganz andere
Dinge ſind, die die Natur dabey zur Abſicht hat,
und die mit der Entwickelung der Hypotheſe gar
nichts zu thun haben. Man ſieht, ſage ich, den
Endzweck der Natur, und dasjenige, was ſie da-
durch bewerkſtelliget, gar zu deutlich, als daß
man auf die Gedancken gerathen koͤnnte; ſie muͤſ-
ſe die aͤltere Theile zuruͤckſchieben, und die juͤngere
allmaͤhlig hervorziehn, weil ſie eben auf dieſe Art
erzeugt werden ſollen. Sollten die ganz jungen
und erſt producirten Theile, die ſo zart und ſo weich
ſind, daß ſie einem vollkommen fluͤßigen Weſen
ſehr nahe kommen, ſo gleich frey zu liegen kom-
men, daß ſie der Luft, und allen aͤuſſerlichen Ur-
ſachen ausgeſetzt waͤren; ſo wuͤrde ein Regen, ein
Thau, eine kalte Luft, der Wind, ein warmer
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Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/70>, abgerufen am 28.07.2024.
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