Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Begriff einer Theorie
deckte zuerst die Falle, worinn sich vor ihm alle
Philosophen gefangen hatten. Er sagte, wo ich
mich nicht sehr irre, so sind ja wohl diese Erklä-
rungen keine Erklärungen, er zeigte wie eine
Erklärung aussehen müste, und lehrte wie man
philosophiren müste, wenn man es würklich
thun, und nicht nur den Schein, als ob man es
gethan hätte, haben wollte. Und hierin bestun-
den des des Cartes vornehmste Verdienste. War
es also wohl Wunder, wenn dieser zu philosophische
Geist die anziehende Kraft gar nicht einmahl lei-
den konnte? Allein war ich eben deswegen nicht
blind, wenn mir bey meiner Generation, die noch
niemand erklärt haben sollte, das Buch de Ho-
mine & formato foetu
nicht einfiel? Jch hatte es
nicht, und ich dachte, des Cartes, der noch kei-
ne physische Wahrheit entdeckt hat, wird auch die
Ursachen der organischen Körper nicht entdecken,
vornehmlich da er keine Vergrößerungsgläfer hat,
da er keine Versuche liebt, da er sich um unsere
Welt gar nicht bekümmert. Das war alles rich-
tig, und sehr richtig; allein daß Cartesius die
Sache auch nicht falsch wenigstens erklärt haben
sollte, dieses hätte ich von ihm nicht dencken sollen.
Jch bekam nachhero das Buch de homine & for-
mato foetu,
und lase es der Historie wegen; ich
sahe also daß Cartesius sehr accurat, ob wohl so
falsch als möglich, erklärt hatte.

Jndessen ist Cartesius würcklich der ein-
zige der erklärt und zwar falsch erklärt hat.
Die andern alle haben gar nicht erklärt und

dieses

Begriff einer Theorie
deckte zuerſt die Falle, worinn ſich vor ihm alle
Philoſophen gefangen hatten. Er ſagte, wo ich
mich nicht ſehr irre, ſo ſind ja wohl dieſe Erklaͤ-
rungen keine Erklaͤrungen, er zeigte wie eine
Erklaͤrung ausſehen muͤſte, und lehrte wie man
philoſophiren muͤſte, wenn man es wuͤrklich
thun, und nicht nur den Schein, als ob man es
gethan haͤtte, haben wollte. Und hierin beſtun-
den des des Cartes vornehmſte Verdienſte. War
es alſo wohl Wunder, wenn dieſer zu philoſophiſche
Geiſt die anziehende Kraft gar nicht einmahl lei-
den konnte? Allein war ich eben deswegen nicht
blind, wenn mir bey meiner Generation, die noch
niemand erklaͤrt haben ſollte, das Buch de Ho-
mine & formato fœtu
nicht einfiel? Jch hatte es
nicht, und ich dachte, des Cartes, der noch kei-
ne phyſiſche Wahrheit entdeckt hat, wird auch die
Urſachen der organiſchen Koͤrper nicht entdecken,
vornehmlich da er keine Vergroͤßerungsglaͤfer hat,
da er keine Verſuche liebt, da er ſich um unſere
Welt gar nicht bekuͤmmert. Das war alles rich-
tig, und ſehr richtig; allein daß Carteſius die
Sache auch nicht falſch wenigſtens erklaͤrt haben
ſollte, dieſes haͤtte ich von ihm nicht dencken ſollen.
Jch bekam nachhero das Buch de homine & for-
mato fœtu,
und laſe es der Hiſtorie wegen; ich
ſahe alſo daß Carteſius ſehr accurat, ob wohl ſo
falſch als moͤglich, erklaͤrt hatte.

Jndeſſen iſt Carteſius wuͤrcklich der ein-
zige der erklaͤrt und zwar falſch erklaͤrt hat.
Die andern alle haben gar nicht erklaͤrt und

dieſes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0028" n="6"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Begriff einer Theorie</hi></fw><lb/>
deckte zuer&#x017F;t die Falle, worinn &#x017F;ich vor ihm alle<lb/>
Philo&#x017F;ophen gefangen hatten. Er &#x017F;agte, wo ich<lb/>
mich nicht &#x017F;ehr irre, &#x017F;o &#x017F;ind ja wohl die&#x017F;e Erkla&#x0364;-<lb/>
rungen keine Erkla&#x0364;rungen, er zeigte wie eine<lb/>
Erkla&#x0364;rung aus&#x017F;ehen mu&#x0364;&#x017F;te, und lehrte wie man<lb/>
philo&#x017F;ophiren mu&#x0364;&#x017F;te, wenn man es wu&#x0364;rklich<lb/>
thun, und nicht nur den Schein, als ob man es<lb/>
gethan ha&#x0364;tte, haben wollte. Und hierin be&#x017F;tun-<lb/>
den des <hi rendition="#aq">des Cartes</hi> vornehm&#x017F;te Verdien&#x017F;te. War<lb/>
es al&#x017F;o wohl Wunder, wenn die&#x017F;er zu philo&#x017F;ophi&#x017F;che<lb/>
Gei&#x017F;t die anziehende Kraft gar nicht einmahl lei-<lb/>
den konnte? Allein war ich eben deswegen nicht<lb/>
blind, wenn mir bey meiner Generation, die noch<lb/>
niemand erkla&#x0364;rt haben &#x017F;ollte, das Buch <hi rendition="#aq">de Ho-<lb/>
mine &amp; formato f&#x0153;tu</hi> nicht einfiel? Jch hatte es<lb/>
nicht, und ich dachte, <hi rendition="#aq">des Cartes,</hi> der noch kei-<lb/>
ne phy&#x017F;i&#x017F;che Wahrheit entdeckt hat, wird auch die<lb/>
Ur&#x017F;achen der organi&#x017F;chen Ko&#x0364;rper nicht entdecken,<lb/>
vornehmlich da er keine Vergro&#x0364;ßerungsgla&#x0364;fer hat,<lb/>
da er keine Ver&#x017F;uche liebt, da er &#x017F;ich um un&#x017F;ere<lb/>
Welt gar nicht beku&#x0364;mmert. Das war alles rich-<lb/>
tig, und &#x017F;ehr richtig; allein daß <hi rendition="#fr">Carte&#x017F;ius</hi> die<lb/>
Sache auch nicht fal&#x017F;ch wenig&#x017F;tens erkla&#x0364;rt haben<lb/>
&#x017F;ollte, die&#x017F;es ha&#x0364;tte ich von ihm nicht dencken &#x017F;ollen.<lb/>
Jch bekam nachhero das Buch <hi rendition="#aq">de homine &amp; for-<lb/>
mato f&#x0153;tu,</hi> und la&#x017F;e es der Hi&#x017F;torie wegen; ich<lb/>
&#x017F;ahe al&#x017F;o daß <hi rendition="#fr">Carte&#x017F;ius</hi> &#x017F;ehr accurat, ob wohl &#x017F;o<lb/>
fal&#x017F;ch als mo&#x0364;glich, erkla&#x0364;rt hatte.</p><lb/>
          <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t <hi rendition="#fr">Carte&#x017F;ius</hi> wu&#x0364;rcklich der ein-<lb/>
zige der erkla&#x0364;rt und zwar fal&#x017F;ch erkla&#x0364;rt hat.<lb/>
Die andern alle haben gar nicht erkla&#x0364;rt und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die&#x017F;es</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0028] Begriff einer Theorie deckte zuerſt die Falle, worinn ſich vor ihm alle Philoſophen gefangen hatten. Er ſagte, wo ich mich nicht ſehr irre, ſo ſind ja wohl dieſe Erklaͤ- rungen keine Erklaͤrungen, er zeigte wie eine Erklaͤrung ausſehen muͤſte, und lehrte wie man philoſophiren muͤſte, wenn man es wuͤrklich thun, und nicht nur den Schein, als ob man es gethan haͤtte, haben wollte. Und hierin beſtun- den des des Cartes vornehmſte Verdienſte. War es alſo wohl Wunder, wenn dieſer zu philoſophiſche Geiſt die anziehende Kraft gar nicht einmahl lei- den konnte? Allein war ich eben deswegen nicht blind, wenn mir bey meiner Generation, die noch niemand erklaͤrt haben ſollte, das Buch de Ho- mine & formato fœtu nicht einfiel? Jch hatte es nicht, und ich dachte, des Cartes, der noch kei- ne phyſiſche Wahrheit entdeckt hat, wird auch die Urſachen der organiſchen Koͤrper nicht entdecken, vornehmlich da er keine Vergroͤßerungsglaͤfer hat, da er keine Verſuche liebt, da er ſich um unſere Welt gar nicht bekuͤmmert. Das war alles rich- tig, und ſehr richtig; allein daß Carteſius die Sache auch nicht falſch wenigſtens erklaͤrt haben ſollte, dieſes haͤtte ich von ihm nicht dencken ſollen. Jch bekam nachhero das Buch de homine & for- mato fœtu, und laſe es der Hiſtorie wegen; ich ſahe alſo daß Carteſius ſehr accurat, ob wohl ſo falſch als moͤglich, erklaͤrt hatte. Jndeſſen iſt Carteſius wuͤrcklich der ein- zige der erklaͤrt und zwar falſch erklaͤrt hat. Die andern alle haben gar nicht erklaͤrt und dieſes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/28
Zitationshilfe: Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/28>, abgerufen am 09.11.2024.