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Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764.

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der Gefäße etc.
Blatt ein halbes Jahr alt ist, so dringen alsdann
in ihm gar keine Säfte mehr ein; das Blatt trock-
net zusammen, stirbt, und fällt ab. Zu diesem
Zustande kommt ein Thier niemals; der Mensch
wird im 80sten 90sten Jahre wohl kleiner, allein
er verliert die Kraft, Säfte aufzunehmen, nie-
mals ganz und gar; und, welches wohl zu bemer-
ken, eben so, wie es dem Blatte geht, würde es
sich mit der ganzen Pflanze verhalten, wenn nicht
beständig neue junge Theile wieder in ihr herfür
gebracht würden; der Stamm eines Baumes be-
kommt alle Jahr neue Gefäße, der Baum neue
Blätter, Blüte und Früchte, und man muß ei-
gentlich sagen, daß in einer so genannten peren-
nirenden Pflanze alle Jahr wiederum eine andere
Pflanze vegetirt. Am allerdeutlichsten sieht man
diese Sache bey den Gefäßen, die, weil sie nicht
aus andern Theilen zusammen gesetzt sind, uns
nicht dadurch betrügen können, daß an statt der
vorigen Theile, woraus das Gefäß bestünde, mit
der Zeit andere, und zwar mehrere derselben, zum
Vorschein kämen. Die Gefäße werden also bey
den Pflanzen niemals so groß, daß sie nur mit
bloßen Augen gesehen werden könnten. Bey
den Thieren hingegen werden dieselben zur Dicke
eines Daumes und weiter ausgedehnet.

§. 42.

Und hieraus wird sich unser Pro-Vollständi-
ge Erklärung,
warum die

blema auflösen lassen. Eben diese
Gefäße, die sich nur zu eine so geringe

Weite
M 2

der Gefaͤße ꝛc.
Blatt ein halbes Jahr alt iſt, ſo dringen alsdann
in ihm gar keine Saͤfte mehr ein; das Blatt trock-
net zuſammen, ſtirbt, und faͤllt ab. Zu dieſem
Zuſtande kommt ein Thier niemals; der Menſch
wird im 80ſten 90ſten Jahre wohl kleiner, allein
er verliert die Kraft, Saͤfte aufzunehmen, nie-
mals ganz und gar; und, welches wohl zu bemer-
ken, eben ſo, wie es dem Blatte geht, wuͤrde es
ſich mit der ganzen Pflanze verhalten, wenn nicht
beſtaͤndig neue junge Theile wieder in ihr herfuͤr
gebracht wuͤrden; der Stamm eines Baumes be-
kommt alle Jahr neue Gefaͤße, der Baum neue
Blaͤtter, Bluͤte und Fruͤchte, und man muß ei-
gentlich ſagen, daß in einer ſo genannten peren-
nirenden Pflanze alle Jahr wiederum eine andere
Pflanze vegetirt. Am allerdeutlichſten ſieht man
dieſe Sache bey den Gefaͤßen, die, weil ſie nicht
aus andern Theilen zuſammen geſetzt ſind, uns
nicht dadurch betruͤgen koͤnnen, daß an ſtatt der
vorigen Theile, woraus das Gefaͤß beſtuͤnde, mit
der Zeit andere, und zwar mehrere derſelben, zum
Vorſchein kaͤmen. Die Gefaͤße werden alſo bey
den Pflanzen niemals ſo groß, daß ſie nur mit
bloßen Augen geſehen werden koͤnnten. Bey
den Thieren hingegen werden dieſelben zur Dicke
eines Daumes und weiter ausgedehnet.

§. 42.

Und hieraus wird ſich unſer Pro-Vollſtaͤndi-
ge Erklaͤrung,
warum die

blema aufloͤſen laſſen. Eben dieſe
Gefaͤße, die ſich nur zu eine ſo geringe

Weite
M 2
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[179/0201] der Gefaͤße ꝛc. Blatt ein halbes Jahr alt iſt, ſo dringen alsdann in ihm gar keine Saͤfte mehr ein; das Blatt trock- net zuſammen, ſtirbt, und faͤllt ab. Zu dieſem Zuſtande kommt ein Thier niemals; der Menſch wird im 80ſten 90ſten Jahre wohl kleiner, allein er verliert die Kraft, Saͤfte aufzunehmen, nie- mals ganz und gar; und, welches wohl zu bemer- ken, eben ſo, wie es dem Blatte geht, wuͤrde es ſich mit der ganzen Pflanze verhalten, wenn nicht beſtaͤndig neue junge Theile wieder in ihr herfuͤr gebracht wuͤrden; der Stamm eines Baumes be- kommt alle Jahr neue Gefaͤße, der Baum neue Blaͤtter, Bluͤte und Fruͤchte, und man muß ei- gentlich ſagen, daß in einer ſo genannten peren- nirenden Pflanze alle Jahr wiederum eine andere Pflanze vegetirt. Am allerdeutlichſten ſieht man dieſe Sache bey den Gefaͤßen, die, weil ſie nicht aus andern Theilen zuſammen geſetzt ſind, uns nicht dadurch betruͤgen koͤnnen, daß an ſtatt der vorigen Theile, woraus das Gefaͤß beſtuͤnde, mit der Zeit andere, und zwar mehrere derſelben, zum Vorſchein kaͤmen. Die Gefaͤße werden alſo bey den Pflanzen niemals ſo groß, daß ſie nur mit bloßen Augen geſehen werden koͤnnten. Bey den Thieren hingegen werden dieſelben zur Dicke eines Daumes und weiter ausgedehnet. §. 42. Und hieraus wird ſich unſer Pro- blema aufloͤſen laſſen. Eben dieſe Gefaͤße, die ſich nur zu eine ſo geringe Weite Vollſtaͤndi- ge Erklaͤrung, warum die M 2

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Zitationshilfe: Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/201>, abgerufen am 27.11.2024.