F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Empfindung, welche sein gehaltenes Benehmen abzuleugnen schien. Alle Welt dachte, er werde sich mit Emmy verbinden. In seinem Bezeigen lag gleichwohl nichts, was diesen Glauben rechtfertigen konnte. Emmy's angenehmes Aeußere erweckte einen freundlichen Eindruck, er empfand wahre Freundschaft für sie, wer aber für Sophien tiefe, zärtliche Liebe empfunden, konnte diese schwerlich auf Emmy übertragen. Beide mußten für einnehmend und schätzenswerth gelten, aber in Sophien war Alles harmonische Uebereinstimmung, jeder Uebergang des Gefühls, jedes ernste oder milde Bezeigen trat in gehöriger Begründung hervor. Emmy kannte keine Laune, aber sie hing ab vom Eindruck des Augenblicks, und der schnelle Wechsel in den Empfindungen gab ihrem Wesen etwas Unruhiges, Abweichendes. Sie war fast immer anziehend, aber nicht immer befriedigend. So lebte der kleine Kreis eine Weile mit einander fort, und Herr Steffano hatte sich völlig daran gewöhnt, Emmy wie eine liebe, ihm herzlich ergebene Tochter zu betrachten, als eines Abends ein Reisewagen vor dem Hause stille hielt. Ein junger Mann stieg heraus und begab sich, gleich einem alten Bekannten, in Herrn Steffano's Zimmer. Am folgenden Morgen ward Emmy's Verlobung mit Herrn von Steinberg angezeigt. Die Braut lächelte wie das Glück, und der Bräutigam flüsterte ihr neckend zu: Ich hoffte Vieles für das Gelingen meiner Bewerbung von meiner Aehnlichkeit mit R.! -- Diese Ehe ward Empfindung, welche sein gehaltenes Benehmen abzuleugnen schien. Alle Welt dachte, er werde sich mit Emmy verbinden. In seinem Bezeigen lag gleichwohl nichts, was diesen Glauben rechtfertigen konnte. Emmy's angenehmes Aeußere erweckte einen freundlichen Eindruck, er empfand wahre Freundschaft für sie, wer aber für Sophien tiefe, zärtliche Liebe empfunden, konnte diese schwerlich auf Emmy übertragen. Beide mußten für einnehmend und schätzenswerth gelten, aber in Sophien war Alles harmonische Uebereinstimmung, jeder Uebergang des Gefühls, jedes ernste oder milde Bezeigen trat in gehöriger Begründung hervor. Emmy kannte keine Laune, aber sie hing ab vom Eindruck des Augenblicks, und der schnelle Wechsel in den Empfindungen gab ihrem Wesen etwas Unruhiges, Abweichendes. Sie war fast immer anziehend, aber nicht immer befriedigend. So lebte der kleine Kreis eine Weile mit einander fort, und Herr Steffano hatte sich völlig daran gewöhnt, Emmy wie eine liebe, ihm herzlich ergebene Tochter zu betrachten, als eines Abends ein Reisewagen vor dem Hause stille hielt. Ein junger Mann stieg heraus und begab sich, gleich einem alten Bekannten, in Herrn Steffano's Zimmer. Am folgenden Morgen ward Emmy's Verlobung mit Herrn von Steinberg angezeigt. Die Braut lächelte wie das Glück, und der Bräutigam flüsterte ihr neckend zu: Ich hoffte Vieles für das Gelingen meiner Bewerbung von meiner Aehnlichkeit mit R.! — Diese Ehe ward <TEI> <text> <body> <div type="chapter"> <p><pb facs="#f0087"/> Empfindung, welche sein gehaltenes Benehmen abzuleugnen schien. Alle Welt dachte, er werde sich mit Emmy verbinden. In seinem Bezeigen lag gleichwohl nichts, was diesen Glauben rechtfertigen konnte. Emmy's angenehmes Aeußere erweckte einen freundlichen Eindruck, er empfand wahre Freundschaft für sie, wer aber für Sophien tiefe, zärtliche Liebe empfunden, konnte diese schwerlich auf Emmy übertragen. Beide mußten für einnehmend und schätzenswerth gelten, aber in Sophien war Alles harmonische Uebereinstimmung, jeder Uebergang des Gefühls, jedes ernste oder milde Bezeigen trat in gehöriger Begründung hervor. Emmy kannte keine Laune, aber sie hing ab vom Eindruck des Augenblicks, und der schnelle Wechsel in den Empfindungen gab ihrem Wesen etwas Unruhiges, Abweichendes. Sie war fast immer anziehend, aber nicht immer befriedigend. So lebte der kleine Kreis eine Weile mit einander fort, und Herr Steffano hatte sich völlig daran gewöhnt, Emmy wie eine liebe, ihm herzlich ergebene Tochter zu betrachten, als eines Abends ein Reisewagen vor dem Hause stille hielt. Ein junger Mann stieg heraus und begab sich, gleich einem alten Bekannten, in Herrn Steffano's Zimmer. Am folgenden Morgen ward Emmy's Verlobung mit Herrn von Steinberg angezeigt. Die Braut lächelte wie das Glück, und der Bräutigam flüsterte ihr neckend zu: Ich hoffte Vieles für das Gelingen meiner Bewerbung von meiner Aehnlichkeit mit R.! — Diese Ehe ward<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
Empfindung, welche sein gehaltenes Benehmen abzuleugnen schien. Alle Welt dachte, er werde sich mit Emmy verbinden. In seinem Bezeigen lag gleichwohl nichts, was diesen Glauben rechtfertigen konnte. Emmy's angenehmes Aeußere erweckte einen freundlichen Eindruck, er empfand wahre Freundschaft für sie, wer aber für Sophien tiefe, zärtliche Liebe empfunden, konnte diese schwerlich auf Emmy übertragen. Beide mußten für einnehmend und schätzenswerth gelten, aber in Sophien war Alles harmonische Uebereinstimmung, jeder Uebergang des Gefühls, jedes ernste oder milde Bezeigen trat in gehöriger Begründung hervor. Emmy kannte keine Laune, aber sie hing ab vom Eindruck des Augenblicks, und der schnelle Wechsel in den Empfindungen gab ihrem Wesen etwas Unruhiges, Abweichendes. Sie war fast immer anziehend, aber nicht immer befriedigend. So lebte der kleine Kreis eine Weile mit einander fort, und Herr Steffano hatte sich völlig daran gewöhnt, Emmy wie eine liebe, ihm herzlich ergebene Tochter zu betrachten, als eines Abends ein Reisewagen vor dem Hause stille hielt. Ein junger Mann stieg heraus und begab sich, gleich einem alten Bekannten, in Herrn Steffano's Zimmer. Am folgenden Morgen ward Emmy's Verlobung mit Herrn von Steinberg angezeigt. Die Braut lächelte wie das Glück, und der Bräutigam flüsterte ihr neckend zu: Ich hoffte Vieles für das Gelingen meiner Bewerbung von meiner Aehnlichkeit mit R.! — Diese Ehe ward
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Zitationshilfe: | F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/87>, abgerufen am 16.02.2025. |